Vor ein paar Tagen war Alfred Döblins Geburts­tag. Eine gute Gele­gen­heit, sich ein paar Grund­sät­ze ins Gedächt­nis zu rufen, die mir eini­ges bedeu­ten und die ins­be­son­de­re beim Schrei­ben von Wolfs­stadt ihre Wir­kung ent­fal­tet haben:

Die Dar­stel­lung erfor­dert bei der unge­heu­ren Men­ge des Geform­ten einen Kino­s­til. In höchs­ter Gedrängt­heit und Prä­zi­si­on hat die Fül­le der Gesich­te vor­bei­zu­zie­hen. Der Spra­che das Aeu­ßers­te der Plas­tik und Leben­dig­keit abzu­rin­gen. Der Erzähl­schlen­dri­an hat im Roman kei­nen Platz; man erzählt nicht, son­dern baut. Der Erzäh­ler hat sei­ne bäu­ri­sche Ver­trau­lich­keit. Knapp­heit, Spar­sam­keit der Wor­te ist nötig; fri­sche Wen­dun­gen. Von Peri­oden, die das Neben­ein­an­der des Kom­ple­xen wie das Hin­ter­ein­an­der rasch zusam­men­fas­sen erlau­ben, ist umfäng­li­cher Gebrauch zu machen. Rapi­de Abläu­fe, Durch­ein­an­der in blo­ßen Stich­wor­ten; wie über­haupt an allen Stel­len die höchs­te Exakt­heit in sug­ges­ti­ven Wen­dun­gen zu errei­chen gesucht wer­den muß. Das Gan­ze darf nicht erschei­nen wie gespro­chen son­dern wie vor­han­den. Die Wort­kunst muss sich nega­tiv zei­gen, in dem was sie ver­mei­det: ein feh­len­der Schmuck, im Feh­len der Absicht, im Feh­len des bloß sprach­lich schö­nen oder schwung­haf­ten, im Fern­hal­ten der Mani­riert­heit. Bil­der sind gefähr­lich und nur gele­gent­lich anzu­wen­den; man muß sich an die Ein­zig­ar­tig­keit jedes Vor­gangs her­an­spü­ren, die Phy­sio­gno­mie und das beson­de­re Wachs­tum eines Ereig­nis­ses begrei­fen und scharf und sach­lich geben; Bil­der sind bequem.

Die Hege­mo­nie des Autors ist zu bre­chen; nicht weit genug kann der Fana­tis­mus der Selbst­ver­leug­nung getrie­ben wer­den. Oder der Fana­tis­mus der Ent­äu­ße­rung: ich bin nicht ich, son­dern die Stra­ße, die Later­nen, dies und dies Ereig­nis, wei­ter nichts. Das ist es, was ich den stei­ner­nen Stil nenne.

[…]

Der Natu­ra­lis­mus ist kein his­to­ri­scher Ismus, son­dern das Sturz­bad, das immer wie­der über die Kunst her­ein­bricht und her­ein­bre­chen muß. Der Psy­cho­lo­gis­mus, der Ero­tis­mus muß fort­ge­schwemmt wer­den; Ent­selbstung, Ent­äu­ße­rung des Autors, Deper­so­na­ti­on. Die Erde muß wie­der damp­fen. Los vom Men­schen! Mut zur kine­ti­schen Phan­ta­sie und zum Erken­nen der unglaub­li­chen rea­len Kon­tu­ren! Tat­sa­chen­phan­ta­sie! Der Roman muß sei­ne Wie­der­ge­burt erle­ben als Kunst­wert und moder­nes Epos.

(Alfred Döblin: An Roman­au­toren und ihre Kri­ti­ker, in: Der Sturm, Mai 1913)