Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich in Mitteleuropa zwei bis an die Zähne bewaffnete Machtblöcke gegenüberstanden und Deutschland durch eine schwer bewachte Grenze geteilt war, »hinter der Soldaten, Panzer und Atombomber darauf lauern, was wohl die Soldaten, Panzer und Atombomber auf dieser Seite des Stacheldrahts im Schilde führen«, wie es an einer Stelle von Das Schattencorps heißt.
Nicht alle diese Soldaten kämpften mit offenem Visier. Der eigentliche »Kalte Krieg« wurde von Geheimagenten und Diplomaten geführt, und irgendwo in den zwielichtigen Seitenstraßen der geschichtlichen Überlieferung findet man auch noch den einen oder anderen Haufen verwegener Gestalten, die auf kommunistischer ebenso wie auf westlicher Seite als Kommandotruppen im Verborgenen dienten.
Erst vor ein paar Jahren etwa kam heraus, dass 1949 ein gewisser Oberst Schnez (er sollte später Generalinspekteur der Bundeswehr werden) im Südwesten Deutschlands mit Unterstützung der Amerikaner unter dem Tarnnamen »Selbsthilfe« eine geheime Truppe von 2000 ehemaligen Wehrmachts- und Waffen-SS-Offizieren aufstellte, die zum Kern einer 40.000 Mann starken Armee werden sollte. Man lebte damals in extremer Angst vor einem Überraschungsangriff der Sowjetunion, und die kampferprobten deutschen Veteranen sollten im Ernstfall die Westmächte unterstützen.
Weniger bekannt ist, dass Otto Skorzeny, Idol der NS-Propaganda bis 1945 und der westeuropäischen Neonazis danach, in seinem spanischen Exil ähnliche Pläne hegte. Aus den deutschen und österreichischen Kriegsverbrechern, die im Franco-Staat Unterschlupf gefunden hatten, sollte eine »Legión Carlos V« gebildet werden, in der 200.000 Mann als Truppenreserve für den Kriegsschauplatz Deutschland bereitstehen würden. Skorzeny biederte sich mit dem Vorhaben sogar bei Bundeskanzler Adenauer an, aber letztendlich blieb wohl alles ein Hirngespinst.
Nicht im Planungsstadium stecken blieben hingegen die verschiedenen paramilitärischen Organisationen, die von beiden Seiten heimlich aufgestellt wurden, um im Kriegsfall als Partisanenverbände in den vom Feind besetzten Gebieten operieren zu können (»Stay-behind«). Auf östlicher Seite war dies beispielsweise die »Gruppe Ralf Forster«, bei der von 1969 bis 1989 ausgewählte Genossen der DKP den »Umgang mit Handfeuerwaffen, Handgranaten und Panzerfäusten, [den] Umgang und [den] Einsatz von Brand- und Sprengmitteln sowie das lautlose Beseitigen von Gegnern« auf Truppenübungsplätzen in der DDR lernten. Im Ernstfall hätten sie Sabotageakte gegen Infrastruktur- und Bundeswehr-Einrichtungen ausgeführt und die Gegenseite über westliche Truppenbewegungen informiert.
Die Westmächte unterstützten einerseits antikommunistische Aktivisten wie die West-Berliner »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«, die Anschläge in der DDR ausführte und dort illegale Propaganda betrieb. Andererseits verließen sie sich wie üblich auf ihre Verbindungen zu Kreisen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere und zum damaligen Neonazi-Untergrund – wobei es hier natürlich diverse Überschneidungen gab. Die Amerikaner initiierten gleich mehrere Stay-behind-Netze, etwa in Westberlin das mit der Organisation Gehlen verknüpfte »F‑Netz« oder in Südwestdeutschland das von Oberst a.D. Walter Kopp geleitete »Kiebitz«-Netzwerk. Auch die Franzosen, die Niederländer und die Briten unterhielten ähnliche Untergrundorganisationen in Westdeutschland, von denen allerdings weder Name noch Umfang bekannt ist.
Die größte Schattenarmee war der »Technische Dienst«, offiziell eine Untergruppierung des rechtsextremen »Bund Deutscher Jugend« (BDJ), in Wirklichkeit ein Sammelbecken für ehemalige Wehrmachts- und Waffen-SS-Soldaten, die bei den Amerikanern anheuerten, um weiter gegen den alten Feind »Bolschewismus« kämpfen zu können. Die Organisation flog 1952 auf, als ein BDJ-Funktionär bei der hessischen Polizei auftauchte und auspackte. Man hatte nicht nur im US-Auftrag einen geheimen Partisanenkrieg vorbereitet, sondern gleich auch noch Schwarze Listen angelegt, auf denen die im Kriegsfall zu liquidierenden politischen Feinde wie Herbert Wehner oder der damalige SPD-Parteichef Erich Ollenhauer standen.
Der BDJ wurde 1953 verboten, und ab 1955 übernahm der aus der Organisation Gehlen hervorgegangene Bundesnachrichtendienst die entsprechenden Aktivitäten in Westdeutschland. Es setzte eine gewisse Professionalisierung ein: Die paramilitärischen Einheiten wurden als Fernspähtruppe der Bundeswehr getarnt, und als Stay-behind-Agenten vor Ort wurden unauffällige Bürger ausgewählt, die für den Kriegsfall mit Funkgeräten und ausgestattet wurden und beispielsweise mit dem Fallschirm abgesprungene Agenten bei sich aufgenommen hätten. (Das zumindest war der Plan – in Wirklichkeit wusste die Stasi natürlich längst Bescheid …)
Heute geistern all diese Untergrundtruppen und Kampfeinheiten unter den Namen »Gladio« durch diverse Verschwörungstheorien, die wahlweise die »Rote Armee Fraktion« oder die Hintermänner des Oktoberfest-Attentats von ihnen unterwandert sehen. Für diese Hypothesen sind schlagkräftige Beweise bis jetzt ausgeblieben, aber trotzdem ist natürlich die Frage interessant, was wohl aus den zwielichtigen Schattenkriegern geworden ist, die in den frühen 1950ern die Szene beherrschten. Einige werden zur Bundeswehr gegangen sein, andere zur französischen Fremdenlegion, um in Indochina zu kämpfen. Wiederum andere dürften Familien gegründet und sich ins Privatleben zurückgezogen haben.
Auf Hans Barkhusen, den Protagonisten von Das Schattencorps, trifft nichts davon zu. Anfang der 1960er vagabundiert er immer noch ruhelos durch die Hafenstädte Norddeutschlands und hat keinen Anschluss an das bürgerliche Leben gefunden. Vor Jahren war er Kampftaucher bei der »Kings German Legion«, einer von den Briten in Deutschland aufgestellten Stay-behind-Truppe, die auch in diverse andere Geheimdienstaktivitäten verwickelt war. Als Barkhusen für die Suche nach dem sagenumwobenen »Rommel-Schatz« angeheuert wird, taucht plötzlich sein früherer Agentenführer wieder auf, seine alten Kameraden scheinen neuen Herren zu dienen, und die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen …
Wer mehr wissen will:
Erich Schmidt-Eenboom, Ulrich Stoll: Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946–1991, Berlin 2015
Norbert Juretzko: Bedingt dienstbereit, Berlin 2004
Thomas Auerbach: Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front: Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1999
Das CIA-Archiv im Internet – einfach mal nach »Otto Skorzeny« oder »Walter Kopp« suchen (hier ein Überblick)