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Kategorie: Religion und Mythologie (Seite 1 von 2)

Damals unter den Taliban

Ich mecke­re ja immer ganz ger­ne über die­ses und jenes und fin­de an der moder­nen Welt viel Anlass zu Kri­tik. Ande­rer­seits bin ich aber heil­froh, dass ich nicht im Jahr 1898 gelebt habe, als der hie­si­ge Kir­chen­vor­stand fol­gen­den klei­nen Antrag auf der Bezirks-Syn­ode einbrachte:

Syn­ode wol­le der über­hand­neh­men­den Zucht­lo­sig­keit der Dienst­bo­ten bei­der­lei Geschlechts, wel­che sich nament­lich dar­in zeigt, dass die­sel­ben des Abends ohne Erlaub­nis der Herr­schaf­ten den herr­schaft­li­chen Hof ver­las­sen, sich auf den Stra­ßen umher­trei­ben und an bestimm­ten Plät­zen sich zusam­men­scha­ren, um mit scham­lo­sen Redens­ar­ten und nur zu leicht fol­gen­den Schlech­tig­kei­ten sich die Zeit zu ver­trei­ben und ihr See­len­heil zu ver­scher­zen, dadurch zu weh­ren suchen, dass sie nicht bloß die Kir­chen­vor­stän­de, son­dern alle Haus­vä­ter und Herr­schaf­ten der gan­zen Inspec­tion ernst­lich ver­mahnt, gegen die­ses Unwe­sen, gegen das ein Ein­zel­ner und auch eine ein­zel­ne Gemein­de nichts aus­zu­rich­ten ver­mag, weil in sol­chem Fal­le die Dienst­bo­ten sofort kün­di­gen wür­den, gemein­sam vor­zu­ge­hen und mit aller Stren­ge durch­füh­ren, dass kein Dienst­bo­te abends ohne Erlaub­nis den herr­schaft­li­chen Hof ver­las­sen darf, kei­ner die Erlaub­nis bekommt, sich zu sol­chen abend­li­chen Umher­schwei­fen zu betei­li­gen, fre­che Zuwi­der­hand­lun­gen aber min­des­tens im Dienst­buch ver­merkt wer­den, und wegen sol­cher Zuwi­der­hand­lun­gen etwa ent­las­se­ne Dienst­bo­ten nicht von andern Herr­schaf­ten wie­der in Dienst genom­men werden.

Der Kir­chen­vor­stand von …

Was neben dem Wet­ter wohl die zwei­te Ursa­che ist, war­um hier­zu­lan­de auch im Som­mer nicht gera­de süd­län­disch-fro­hes Trei­ben auf den Dorf­stra­ßen herrscht…

Der Kohlestrom des Bösen

Kohlekraftwerk Mehrum

Neu­lich frag­ten die Kin­der, wie eigent­lich Ver­schwö­rungs­theo­rien ent­ste­hen. Auch in unse­rem ver­träum­ten klei­nen Dorf kein unge­wöhn­li­ches The­ma, denn es gibt wohl nichts, von dem unse­re Zeit so beses­sen wäre, wie die Vor­stel­lung, irgend­wel­che fins­te­ren Mäch­te wür­den im Hin­ter­grund die Fäden zie­hen. Auch unter den Alters­ka­me­ra­den unse­res Nach­wuch­ses haben sich schon gewis­se Zwei­fel an Neil Arm­strongs Mond­spa­zier­gang oder der Unge­fähr­lich­keit von Kon­dens­strei­fen breit­ge­macht, und spä­te­re His­to­ri­ker wer­den unse­re Epo­che sicher als »Kon­spi­ra­ti­ve« bezeichnen.

Nun hät­te ich ein­fach ant­wor­ten kön­nen, dass es eben manch­mal Ver­schwö­run­gen gibt – Water­ga­te, Sad­dam Hus­seins angeb­li­che Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen oder die Rol­le der CIA bei der För­de­rung der abs­trak­ten Kunst. Und bei den übli­cher­wei­se als »Theo­rie« bezeich­ne­ten Ver­schwö­run­gen wis­se man es nur noch nicht so genau. Aber gemeint waren natür­lich Gedan­ken­kon­struk­te, die so weit jen­seits der Plau­si­bi­li­tät ange­sie­delt sind, dass ande­re Fak­to­ren im Spiel sein müs­sen: außer­ir­di­sche Rep­ti­lo­ide, Area 51, Prieu­ré de Sion und der­glei­chen. Ich kram­te also zusam­men, was mir so ein­fiel: die mensch­li­che Nei­gung zur Reduk­ti­on kom­ple­xer Zusam­men­hän­ge auf »Gut gegen Böse«, die unbe­wuss­te Pro­jek­ti­on der eige­nen schlech­ten Eigen­schaf­ten auf ande­re (C. G. Jungs »Schat­ten«), die Selbst­sti­li­sie­rung der Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen zu Teil­ha­bern von eli­tä­rem »Geheim­wis­sen« und die Nei­gung, in Stress­si­tua­tio­nen Kau­sa­li­tä­ten zu sehen, wo kei­ne sind. So rich­tig zufrie­den war ich damit aller­dings selbst nicht.

Bis dann eini­ge Tage spä­ter im Lokal­teil unse­rer Zei­tung eine Mel­dung ins Haus flat­ter­te, die mir eine unver­hoff­te Erleuch­tung ver­schaff­te. Dazu muss ich erläu­tern, dass der Teil Nord­deutsch­lands, in dem wir leben, in den letz­ten zwan­zig Jah­ren mit nicht uner­heb­li­chen Men­gen von Wind­rä­dern voll­ge­stellt wor­den ist, deren Strom nun dort­hin trans­por­tiert wer­den soll, wo er gebraucht wird – also in der Regel ein paar hun­dert Kilo­me­ter wei­ter süd­lich. Wenn man Strom an Orten erzeugt, wo vor­her kein Strom erzeugt wur­de, ist es nur logisch, dass man neue Strom­tras­sen und Umspann­wer­ke bau­en muss, bei­des ist bei­spiels­wei­se in der Nähe unse­res ver­träum­ten klei­nen Dor­fes geplant. Ich selbst bin abso­lut dage­gen und habe auch kei­ne mora­li­schen Bauch­schmer­zen des­we­gen – es ist nichts ver­kehrt an dem Wunsch, die Strom­pro­duk­ti­on auf erneu­er­ba­re Quel­len umzu­stel­len, aber solan­ge es kei­ne tech­nisch zuver­läs­si­gen, kos­ten­güns­ti­gen Spei­cher­mög­lich­kei­ten und kei­ne wirk­lich trag­fä­hi­ge Neu­kon­zep­ti­on des Strom­net­zes gibt, ist das alles nur plan- und kopf­lo­ser Aktio­nis­mus, der ver­träum­te klei­ne Dör­fer in einen rie­si­gen, trost­lo­sen Indus­trie­park verwandelt.

Ener­gie­wen­de am Spätnachmittag

Ähn­li­cher Ansicht, so ver­riet es mir jeden­falls das Lokal­blatt, scheint ein Rats­mit­glied in einer nahen Klein­stadt zu sein, an der eben­falls eine der neu geplan­ten Strom­tras­sen vor­bei­füh­ren soll. Die Gewährs­per­son (nähe­re Anga­ben spa­re ich mir) hat sogar eine Online-Peti­ti­on gestar­tet, in der das Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­um auf­ge­for­dert wird, den Hoch­span­nungs-Tras­sen­bau umge­hend zu stop­pen. Etwas ver­wir­rend ist aller­dings, dass es sich dabei um das Mit­glied einer Par­tei han­delt, die in ihrem Namen die Far­be fri­schen Gra­ses führt und eben jenes »Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Gesetz« mit auf den Weg gebracht hat, dem wir das meta­sta­sen­ar­ti­ge Wachs­tum von Wind­parks und neu­en Lei­tun­gen über­haupt zu ver­dan­ken haben. Noch ver­wir­ren­der: Das besag­te Rats­mit­glied sitzt sogar im Vor­stand einer ört­li­chen Genos­sen­schaft, deren Zweck die »Errich­tung und Unter­hal­tung von Anla­gen zur Erzeu­gung rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien, ins­be­son­de­re Solar­an­la­gen und Wind­kraft­an­la­gen« ist.

Und am ver­wir­rends­ten ist schließ­lich die Begrün­dung für die Online-Peti­on. Dort wird näm­lich behaup­tet, dass zwei von drei der neu­en Tras­sen dem Trans­port von Koh­le­strom dien­ten.

Wei­ter­le­sen

Gefangen auf Sol 3

Mit 14 ver­liert man sich ger­ne in Phä­no­me­nen, die einem spä­ter herz­lich pein­lich sind: Tee­nie-Musik, Elek­tronik­bas­teln, Bibel­kreis. Oder, in mei­nem Fall, Sci­ence-Fic­tion. Woche um Woche fie­ber­te ich dem Erschei­nen der neu­en Per­ry-Rho­dan-Heft­chen (1. und 4. Auf­la­ge) ent­ge­gen, ver­schlang alles aus Heynes SF-Taschen­buch­rei­he, das ich in die Fin­ger bekam, und saß atem­los auf der vor­de­ren Kan­te des Kino­sit­zes, wäh­rend Offi­zier Ripley sich mit den Krea­tio­nen H. R. Gigers her­um­schlug (die Kino­le­u­te nah­men es damals mit der FSK nicht so genau). Ganz zu schwei­gen von den zahl­rei­chen Fol­gen Raum­schiff Enter­pri­se und Mond­ba­sis Alpha, in denen Abge­sand­te der Mensch­heit frei­wil­lig oder unfrei­wil­lig mit Warp-Antrieb oder durch “Wurm­lö­cher” beschleu­nigt durchs Uni­ver­sum düs­ten und sich mit den ver­schie­dens­ten außer­ir­di­schen Kul­tu­ren her­um­schlu­gen. Sogar Cap­tain Future habe ich mir noch gegeben.

Irgend­wann legt man das ab wie den Par­ka und die Puma-Turn­schu­he, ohne die sich unser­eins damals nicht aus dem Hau­se trau­te. Trotz­dem blieb ich dem Welt­raum­fie­ber, das ich mir schon im Grund­schul­al­ter bei der Live-Über­tra­gung der letz­ten Mond­lan­dun­gen zuge­zo­gen hat­te, noch ein paar Jah­re län­ger treu, wenn auch in einem etwas rea­lis­ti­sche­ren Modus. Ich träum­te davon, als Astro­naut auf der von Prä­si­dent Rea­gan ange­kün­dig­ten inter­na­tio­na­len Raum­sta­ti­on (die damals noch Free­dom hei­ßen soll­te) zu arbei­ten, und begann ein Stu­di­um der Lauft- und Raum­fahrt­tech­nik – das ich bald wie­der hin­warf, da man schon im Prak­ti­kum genö­tigt wur­de, an irgend­wel­chen Kampf­jets her­um­zu­schrau­ben, was mir die tat­säch­li­chen Berufs­per­spek­ti­ven in die­sem Bereich nur all­zu dras­tisch vor Augen führ­te: Maschi­nen bau­en, die töten. Nach ein paar Semes­tern Phy­sik hat­te ich end­gül­tig die Nase voll von Tech­nik und Welt­all und fand mei­ne wah­re Beru­fung dort, wo ich heu­te bin: bei Geschich­te, Spra­chen und Öko­lo­gie. Als die ISS end­lich zusam­men­ge­schraubt war und im Orbit schweb­te, war mir das so pie­pe­gal, als ob in Kan­ton ein Reis­korn vom Tisch gefal­len wäre.

Ande­re sind nicht so leicht davon­ge­kom­men. Wei­ter­le­sen

Gärten des Grauens

Jeder kennt das: Der Rasen sieht aus wie ein Tep­pich. Die gehark­ten Wege drum her­um ver­lau­fen wie mit dem Line­al gezo­gen. Damit das Gras nicht über die Rän­der wuchert, hat man es mit Spe­zi­al­werk­zeug gestutzt und zur Sicher­heit noch genau gleich­mä­ßig den Rand des Sodens neben der Weg­ein­fas­sung abge­sto­chen. Auf den Bee­ten fin­det sich nicht eine ein­zi­ge ver­welk­te Blü­te, dafür ist alles hübsch in Torf ein­ge­packt, und an den schat­ti­gen Stel­len kommt die che­mi­sche Keu­le zum Ein­satz, um den Giersch aus­zu­mer­zen. Pas­send dazu eine Gar­ten­mö­bel­gar­ni­tur, von deren leder­nen Sitz­flä­chen man essen könn­te, und eine Hecke, die alle zwei Wochen mit der Nagel­sche­re auf 1 Meter 55 gehal­ten wird. Im Herbst nicht ein ein­zi­ges Blatt Laub. Und wenn doch, wird sofort die Höl­len­ma­schi­ne ange­wor­fen, um es wegzublasen.

War­um macht man so etwas? Muss das sein? Ist das schön? Sicher, auch Hip­pie-Gär­ten brau­chen Pfle­ge, und dass der Giersch sich über­all breit macht, ist nir­gend­wo ger­ne gese­hen. Aber war­um muss alles so geord­net und geo­me­trisch sein? Was treibt Men­schen dazu, viel Schweiß und Arbeit dar­in zu inves­tie­ren, jedes biss­chen Leben­dig­keit aus ihren Gär­ten zu vertreiben?

Gut, sagt ihr, das sind Spie­ßer, und Spie­ßer sind eben so. Aber da macht man es sich in biss­chen leicht. Was ist das schließ­lich über­haupt, ein Spie­ßer? Und war­um mag er kei­nen Wild­wuchs? Er könn­te sich ja vor den Fern­se­her hän­gen (ja, es han­delt sich meist um älte­re Zeit­ge­nos­sen), ein Bier auf­ma­chen und in Ruhe das Gras wach­sen las­sen. Was stört ihn daran?

Und was mag er da in Wirk­lich­keit nicht? Gehen wir in der Zeit zurück, ein paar hun­dert oder tau­send Jah­re. Da gab es noch wirk­li­che Wild­nis, rie­si­ge Wäl­der vol­ler gefähr­li­cher Tie­re und wild wuchern­der Natur. Und dann kamen Leu­te mit Stein­äx­ten, spä­ter waren sie aus Metall, und fäll­ten Bäu­me, bau­ten aus dem Holz und Lehm geo­me­trisch sau­ber geord­ne­te Struk­tu­ren, in denen sie leb­ten, und teil­ten das gero­de­te Land in vier­ecki­ge Stü­cke, auf denen Sie Boh­nen oder Ein­korn anbau­ten und die sie mit Flecht­zäu­ne gegen das im Wald wei­den­de Vieh und fre­che Rehe schütz­ten. Jedes ein­ge­zäun­te Stück Land war ein Sieg über die Natur, die das Men­schen­tier in sei­ner Inkar­na­ti­on als Jäger und Samm­ler nur recht dürf­tig an ihren Schät­zen teil­ha­ben ließ. Gera­de Lini­en sind prak­tisch, um beim Pflü­gen nicht die Ori­en­tie­rung zu ver­lie­ren, und wer sein Gemü­se von Wild­kräu­tern über­wu­chern lässt, wird im nächs­ten Win­ter Pro­ble­me haben, an aus­rei­chend Vit­ami­ne zu kommen.

So weit, so gut. Aber, so sagt ihr zu Recht, das gilt heu­te doch gar nicht mehr. Drau­ßen, jen­seits des Gar­ten­zauns erstreckt sich kei­ne wuchern­de Wild­nis, son­dern ein eben­so geo­me­trisch geord­ne­tes Acker­land, auf dem hekt­ar­wei­se öde Mono­kul­tu­ren aus Raps, Wei­zen oder Mais anein­an­der­ge­reiht ste­hen. In Deutsch­land gibt es nicht ein ein­zi­ges Fle­cken Erde, dass dem Gestal­tungs­wil­len des Men­schen ent­kom­men wäre, sogar “Natio­nal­parks” muss man ein­rich­ten und so ummo­deln, dass sie aus­se­hen wie der Urwald, von dem die Städ­ter träu­men. Und trotz­dem wird der eige­ne Gar­ten gehegt und gepflegt, als gel­te es immer noch, die böse Natur im Schach zu hal­ten, die einem die Früch­te schweiß­trei­ben­der Feld­ar­beit weg­neh­men will. Haben sich die Leu­te nur irgend­wie im Jahr­hun­dert geirrt oder kön­nen ein­fach nicht von alten Gewohn­hei­ten lassen?

Die Ant­wort dürf­te tief in den dunk­len Geheim­nis­sen der deut­schen See­le, ja der See­le des Euro­pä­ers schlecht­hin ver­bor­gen lie­gen. Nein, ich kom­me jetzt nicht mit Freuds ana­ler Pha­se und Ador­nos auto­ri­tä­rem Cha­rak­ter. Sehen wir uns lie­ber an, was C.G. Jung in Traum und Traum­deu­tung über die Bezie­hung des Unbe­wuss­ten zur Natur zu sagen hatte:

Wir haben kei­ne Busch­see­le mehr, die uns mit einem wil­den Tier iden­ti­fi­ziert. Unse­re direk­te Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Natur ist zusam­men mit der damit ver­bun­de­nen beträcht­li­chen emo­tio­na­len Ener­gie im Unbe­wuss­ten versunken.

Soll­te der Gar­ten des Grau­ens also eine Art unbe­wuss­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Natur sein? Noch zen­tra­ler ist hier wohl der Vor­gang der Pro­jek­ti­on: Die Inhal­te des Unbe­wuss­ten kön­nen wir direkt nicht erfas­sen (sonst wäre es ja nicht unbe­wusst), son­dern nur auf dem Wege der Pro­ji­zie­rung die­ser Inhal­te auf die Objek­te der Außen­welt. Die­se Pro­ji­zie­rung funk­tio­niert ganz auto­ma­tisch, und sie funk­tio­niert des­halb, weil es irgend­et­was in die­ser Außen­welt gibt, das über eine asso­zia­ti­ve gedank­li­che Ver­knüp­fung mit einem Inhalt der unbe­wuss­ten Psy­che par­al­lel gesetzt wer­den kann.

Was aber fin­den wir, wenn wir tief in das Unbe­wuss­te des abend­län­di­schen Chris­ten­men­schen eben­so wie in das sei­nes athe­is­tisch-auf­ge­klär­ten Vet­ters schau­en? All jene müh­sam ver­dräng­te Wild­heit, Grau­sam­keit und Unbän­dig­keit, die wir tra­di­tio­nell der “Natur” zuschrei­ben (mit his­to­risch durch­aus guten Grün­den, sie­he oben), und die vom Chris­ten­tum zu den Wer­ken des Satans gezählt, von der Auf­klä­rung aber in die Schmud­del­ecke des Aso­zia­len ver­wie­sen wird – mit jeweils ähn­li­chem Resul­tat. C.G. Jung zufol­ge ist das gro­ße Pro­blem der euro­päi­schen Kul­tur die feh­len­de Inte­gra­ti­on die­ses “Schat­ten­ar­che­typs” in die Gesamt­per­sön­lich­keit, d. h. die ein­sei­ti­ge Beto­nung des Chris­tus­vor­bilds, das noch im Ide­al des auf­ge­klär­ten Men­schen wei­ter­wirkt, der sich Tech­nik und Natur­wis­sen­schaf­ten bedient, um die Welt sei­nem Wil­len zu unter­wer­fen. Ein voll ent­wi­ckel­tes “Selbst” kann erst ent­ste­hen, wenn der Schat­ten im Ver­lauf einer Indi­vi­dua­ti­on bewusst und zum akzep­tier­ten Teil der Per­sön­lich­keit wird – ohne die­se zu beherr­schen und ohne die Fähig­keit des Men­schen zum Leben in Gemein­schaft mit ande­ren zu beeinträchtigen.

Das ist natür­lich eine schwie­ri­ge Kunst, die der Psy­che eini­ges an Ener­gie abver­langt (“Es muss aller­dings aner­kannt wer­den, daß man nichts schwe­rer erträgt als sich selbst.”, C.G. Jung: Die Bezie­hun­gen zwi­schen dem Ich und dem Unbe­wuß­ten, Zwei­ter Teil, Die Indi­vi­dua­ti­on, S. 110), und so ver­wun­dert es nicht, dass man den gan­zen Plun­der am liebs­ten ein­fach in den Kel­ler trägt, mit gött­li­chem Bei­stand die Tür zum Auf­gang ver­ram­melt und hofft, ihn dadurch los­zu­wer­den. Was natür­lich nie­mals gelingt.

Denn der Schat­ten klopft sofort wie­der an der Vor­der­tür an und will her­ein, dies­mal aber nicht als offen­sicht­li­cher Teil der eige­nen Per­sön­lich­keit, son­dern in Gestalt des macht­lüs­ter­nen Aus­län­ders (die eige­ne Macht­lust!), des hab­gie­ri­gen Juden (die eige­ne Hab­gier!), des gei­zi­gen Kapi­ta­lis­ten (der eige­ne Geiz!) oder eben in Form der wild wuchern­den Natur, die man unbe­dingt in Schach hal­ten muss, um die eige­ne Wild­heit nicht aner­ken­nen zu müs­sen. So wird doch auf recht ein­fa­che Wei­se ein Schuh draus – der Gar­ten Eden in der west­li­chen Tra­di­ti­on ist nun mal ein Gar­ten, kein Urwald. Man fin­det die­se Men­ta­li­tät nicht zufäl­lig beson­ders aus­ge­prägt in den pro­tes­tan­ti­schen Gebie­ten, wo der Kampf mit dem Teu­fel bekannt­lich im eige­nen Gewis­sen aus­ge­foch­ten wer­den muss, wäh­rend man katho­li­scher­seits wie üblich ein biss­chen g’schlamperter sein kann, weil man’s in der Beich­te dann ja eh wie­der loswird.

Wie die­se Men­ta­li­tät in den letz­ten zwei­hun­dert Jah­ren die Umwand­lung Deutsch­lands in die wohl­ge­ord­ne­te Ödnis unse­rer Gegen­wart vor­an­ge­trie­ben hat, wird ein­ge­hend – wenn auch ohne die Bezug­nah­me auf das Unbe­wuss­te und die Ana­ly­ti­sche Psy­cho­lo­gie – in dem sehr erhel­len­den Buch Die Erobe­rung der Natur: Eine Geschich­te der Deut­schen Land­schaft des bri­ti­schen His­to­ri­kers David Black­bourne beschrie­ben. Wir sehen hier in dem Spie­gel, den uns ein aus­län­di­scher Wis­sen­schaft­ler vor­hält, all jene “gro­ßen Pro­jek­te”, mit denen die Deut­schen ihre Natur unter­wor­fen haben – von der Begra­di­gung des Rheins durch Tul­la über die Tro­cken­le­gung des Oder­bruchs und die Ein­dei­chung der nord­west­deut­schen See­mar­schen bis hin zu den Kul­ti­vie­rungs­pro­jek­ten der Nazis im besetz­ten Ost­eu­ro­pa. Zwar sahen eini­ge Zeit­ge­nos­sen auch den enor­men Ver­lust an Bio­di­ver­si­tät, den etwa Theo­dor Fon­ta­ne am Bei­spiel des Oder­bruchs als “Ver­nich­tungs­krieg gegen Wild­bret und Geflü­gel” bezeich­ne­te, aber viel wich­ti­ger ist das Gefühl der neu­en Sied­ler und ihrer Nach­kom­men, nun in einem “Para­dies” zu leben (das dann im Fall der Gebie­te öst­lich der Oder nach 1945 zu einem “ver­lo­re­nen” Para­dies wur­de), das von Men­schen­hand in Über­ein­stim­mung mit dem gött­li­chen Plan geschaf­fen wor­den war.

Zwangs­läu­fig konn­ten Ver­trie­ben­en­dich­ter wie Agnes Mie­gel die Abtre­tung der Hei­mat an Polen und die Sowjet­uni­on auch nicht anders sehen als unter dem Vor­zei­chen einer vor­geb­li­chen Rück­kehr der Wildnis:

O kalt weht der Wind über lee­res Land,
O leich­ter weht Asche als Staub und Sand!
Und die Nes­sel wächst hoch an geborst­ner Wand,
Aber höher die Dis­tel am Ackerrand!

Frü­her aber:

Da wog­te der Rog­gen wie See so weit,
Da klang aus den Erlen der Spros­ser Sin­gen
Wenn Her­de und Foh­len zur Trän­ke gin­gen,
Hof auf, Hof ab, wie ein Herz so sacht,
Klang das Klop­fen der Sen­sen in hel­ler Nacht,
Und Heu­kahn an Heu­kahn lag still auf dem Strom

[…]

Gar­be an Gar­be im Fel­de stand.
Hügel auf, Hügel ab, bis zum Hünen­grab
Stan­den die Hocken, brot­duf­tend und hoch,

(Agnes Mie­gel, Es war ein Land)

Hier klingt das Bild einer wohl­ge­ord­ne­ten, grü­nen Kul­tur­land­schaft an, die der wil­den Natur abge­run­gen wur­de, und die nun wie­der, unter sowje­ti­scher Herr­schaft, in den Zustand der wil­den, zügel­lo­sen Natur zurück­kehrt, der die deut­schen Sied­ler einst­mals Ein­halt gebo­ten hatten.

Das also ist das anfangs beschrie­be­ne Spieß­er­glück: ein Gar­ten Eden, aus dem alles Böse und Wil­de ver­trie­ben wur­de und des­sen Gren­zen stän­dig gegen den Wie­der­ein­fall der ver­dräng­ten Dämo­nen des eige­nen Unbe­wuss­ten ver­tei­digt wer­den müs­sen. Him­mel hilf den armen, ver­lo­re­nen See­len! Jungs gro­ßes Pro­jekt der Indi­vi­dua­ti­on und der Inte­gra­ti­on des Schat­tens ist so nötig wie eh und je, und mit jedem Tag wächst die Sehn­sucht nach Wildnis.

Trotz­dem muss ich jetzt mal raus und das Aus­le­ger­wirr­war im Erd­beer­beet besei­ti­gen. Man muss halt irgend­wie die Balan­ce finden…

 

 

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