Autorenblog

Kategorie: Wolfsstadt (Seite 1 von 3)

Ratschlag für Autoren, die nicht im Herdenbuch stehen

Vor ein paar Tagen war Alfred Döblins Geburts­tag. Eine gute Gele­gen­heit, sich ein paar Grund­sät­ze ins Gedächt­nis zu rufen, die mir eini­ges bedeu­ten und die ins­be­son­de­re beim Schrei­ben von Wolfs­stadt ihre Wir­kung ent­fal­tet haben:

Die Dar­stel­lung erfor­dert bei der unge­heu­ren Men­ge des Geform­ten einen Kino­s­til. In höchs­ter Gedrängt­heit und Prä­zi­si­on hat die Fül­le der Gesich­te vor­bei­zu­zie­hen. Der Spra­che das Aeu­ßers­te der Plas­tik und Leben­dig­keit abzu­rin­gen. Der Erzähl­schlen­dri­an hat im Roman kei­nen Platz; man erzählt nicht, son­dern baut. Der Erzäh­ler hat sei­ne bäu­ri­sche Ver­trau­lich­keit. Knapp­heit, Spar­sam­keit der Wor­te ist nötig; fri­sche Wen­dun­gen. Von Peri­oden, die das Neben­ein­an­der des Kom­ple­xen wie das Hin­ter­ein­an­der rasch zusam­men­fas­sen erlau­ben, ist umfäng­li­cher Gebrauch zu machen. Rapi­de Abläu­fe, Durch­ein­an­der in blo­ßen Stich­wor­ten; wie über­haupt an allen Stel­len die höchs­te Exakt­heit in sug­ges­ti­ven Wen­dun­gen zu errei­chen gesucht wer­den muß. Das Gan­ze darf nicht erschei­nen wie gespro­chen son­dern wie vor­han­den. Die Wort­kunst muss sich nega­tiv zei­gen, in dem was sie ver­mei­det: ein feh­len­der Schmuck, im Feh­len der Absicht, im Feh­len des bloß sprach­lich schö­nen oder schwung­haf­ten, im Fern­hal­ten der Mani­riert­heit. Bil­der sind gefähr­lich und nur gele­gent­lich anzu­wen­den; man muß sich an die Ein­zig­ar­tig­keit jedes Vor­gangs her­an­spü­ren, die Phy­sio­gno­mie und das beson­de­re Wachs­tum eines Ereig­nis­ses begrei­fen und scharf und sach­lich geben; Bil­der sind bequem.

Die Hege­mo­nie des Autors ist zu bre­chen; nicht weit genug kann der Fana­tis­mus der Selbst­ver­leug­nung getrie­ben wer­den. Oder der Fana­tis­mus der Ent­äu­ße­rung: ich bin nicht ich, son­dern die Stra­ße, die Later­nen, dies und dies Ereig­nis, wei­ter nichts. Das ist es, was ich den stei­ner­nen Stil nenne.

[…]

Der Natu­ra­lis­mus ist kein his­to­ri­scher Ismus, son­dern das Sturz­bad, das immer wie­der über die Kunst her­ein­bricht und her­ein­bre­chen muß. Der Psy­cho­lo­gis­mus, der Ero­tis­mus muß fort­ge­schwemmt wer­den; Ent­selbstung, Ent­äu­ße­rung des Autors, Deper­so­na­ti­on. Die Erde muß wie­der damp­fen. Los vom Men­schen! Mut zur kine­ti­schen Phan­ta­sie und zum Erken­nen der unglaub­li­chen rea­len Kon­tu­ren! Tat­sa­chen­phan­ta­sie! Der Roman muß sei­ne Wie­der­ge­burt erle­ben als Kunst­wert und moder­nes Epos.

(Alfred Döblin: An Roman­au­toren und ihre Kri­ti­ker, in: Der Sturm, Mai 1913)

Greta und die Energiesklaven

Die jun­ge Schwe­din hat etwas bewirkt, das muss man ihr las­sen. Man weiß nie so recht, ob sie sich das alles selbst aus­ge­dacht hat oder nur ein cle­ve­res PR-Pro­dukt ist, aber immer­hin reden wir dank ihrer Aktio­nen wie­der über Din­ge, die wich­tig sind, anstatt über Trumps Haar­tol­le. Was mich etwas irri­tiert, ist die­se eben­so pani­sche wie fol­gen­lo­se Hys­te­rie, die um sich greift – plötz­lich reden alle auf­ge­regt vom »Kli­ma­not­stand« und trom­pe­ten hal­lu­zi­nie­ren­de For­de­run­gen wie »Koh­le­aus­stieg jetzt!« in die Welt, ohne dass man den Ein­druck hat, dass sie sich mit den tie­fe­ren Dimen­sio­nen des Pro­blems wirk­lich beschäf­tigt haben. Und offen­bar ohne dass sie für sich selbst Kon­se­quen­zen dar­aus zie­hen – frei­tags für die Future, mitt­wochs zu Feri­en­be­ginn in den Flie­ger.

Welche Dimen­sio­nen das wären? Man kann sich der Ange­le­gen­heit von meh­reren Sei­ten nähern. Eine davon ist das simp­le Ein­ge­ständ­nis, dass die Erzeu­gung von Koh­len­di­oxid durch Ver­hei­zen fos­si­ler Brenn­stof­fe einen Rie­sen­spaß macht, den Hori­zont erwei­tert und zur Per­sön­lich­keits­bil­dung beiträgt. Bei einen Flug Frank­furt-Rio hin und zurück bei­spiels­wei­se wer­den über sechs Ton­nen CO2 in die Atmo­sphä­re gebla­sen (wer’s nach­rech­nen will: www.klimanko.de), aber die Rei­se, die ich vor vie­len Jah­ren auf die­se Wei­se gemacht habe, war eine der prä­gen­den Erfah­run­gen mei­nes Lebens. Ich habe gro­ße Tei­le Bra­si­li­ens und auch ein biss­chen von Argen­ti­ni­en und Para­gu­ay gese­hen, die Was­ser­fäl­le von Igua­çu, die Rui­nen der Jesui­ten-Mis­sio­nen am Paraná, den Pelour­in­ho von Sal­va­dor, den Mons­ter-Ver­kehrs­stau von São Pau­lo und und und. Ich habe an einem Can­dom­blé-Ritu­al teil­ge­nom­men und in einer Repú­b­li­ca gewohnt. Ich habe jede Men­ge Bra­si­lia­ner ken­nen­ge­lernt und – wie schon Jah­re zuvor in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten – rela­tiv ernüch­tert fest­stel­len müs­sen, dass man ein Land nicht ver­steht, bloß weil man sei­ne Popu­lär­mu­sik hört und ein paar sei­ner Autoren gele­sen hat. Und gelernt, dass man in Rio nachts nicht an roten Ampeln hält, weil sonst ein paar üble Bur­schen mit Maschi­nen­pis­to­len kom­men und einem an Geld­beu­tel und Leben wol­len … Ich wäre nicht der­sel­be Mensch, wenn ich die­se Rei­se damals nicht gemacht hät­te. Aber es blei­ben die sechs Ton­nen CO2 (die dazugehö­ri­gen bra­si­lia­ni­schen Inlands­flü­ge habe ich jetzt geschickt unter­schla­gen), und es war weiß Gott nicht der ein­zi­ge Lang­stre­cken­flug mei­nes Lebens.

Der Autor als jun­ger Spund vor Grauman’s Chi­ne­se Theatre

 Das glei­che gilt natür­lich auch für ein­fa­che­re Ver­gnü­gun­gen wie den spon­ta­nen Auto-Aus­flug an den Chiem­see, die Fahrt über kur­vi­ge Küs­ten­stra­ßen in Kam­pa­ni­en und den All-Ame­ri­can Road­t­rip von New York nach Kali­for­ni­en. Wie wäre wohl eine Welt, in der sol­che Freu­den ver­bo­ten oder so teu­er wären, dass nur ein paar Rei­che das nöti­ge Klein­geld dafür auf­brin­gen könn­ten? Ein eher tris­ter Ort, neh­me ich an, da kann man mir die Vor­tei­le von »Loca­lism« und »Slow-Bewe­gung« in noch so glü­hen­den Far­ben aus­ma­len. Es ist ja kein Wun­der, dass die Vor­sit­zen­de der baye­ri­schen Grü­nen ger­ne über den Jah­res­wech­sel nach San Die­go jet­tet, um dort ein Eis zu löf­feln … Die­se Schein­hei­lig­keit kennt man aus zwei Jahr­tau­sen­den Chris­ten­tum zur Genü­ge, und man darf anneh­men, dass die »Kli­ma­be­we­gung« bei ihrem Vor­ha­ben, den Durch­schnitts­men­schen auf den rech­ten Pfad der Dekar­bo­ni­sie­rung zu brin­gen, genau­so erfolg­los sein wird wie die­ses, wenn die Sün­de doch so schön ist.

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Ein ande­rer Aspekt des Dilem­mas besteht dar­in, dass fos­si­le Brenn­stof­fe nicht nur Spaß machen, son­dern auch Kräf­te ver­lei­hen, die unse­re Vor­fah­ren nur aus Mär­chen und phan­tas­ti­schen Erzäh­lun­gen kann­ten. Sie­ben­mei­len­stie­fel? Easy­Jet wür­de mich nächs­ten Monat für schlap­pe 30 Euro in zwei Stun­den von Ham­burg nach Niz­za brin­gen. Rie­sen, die Zyklo­pen­mau­ern auf­tür­men? Macht heu­te der Rau­pen­kran LR 13000 mit 3000 Ton­nen Trag­kraft und 1000 Kilo­watt Motor­leis­tung. Feu­er­spei­en­de Dra­chen? Die F‑22 Rap­tor ver­brei­tet ihre töd­li­che Fracht viel schnel­ler und effi­zi­en­ter.

Das hat einen ein­fa­chen Grund: Ein kör­per­lich arbei­ten­der Mensch bringt lang­fris­tig eine durch­schnitt­li­che phy­si­ka­li­sche Leis­tung von aller­höchs­tens 100 Watt aufs Tapet (Leis­tungs­sport­ler kurz­fris­tig viel mehr, sie­he unten das Video). Um täg­lich eine ein­zi­ge, müde Kilo­watt­stun­de zusam­men­zu­be­kom­men, muss er also schon zwei Über­stun­den machen. Und die unge­fähr drei Kilo­watt­stun­den, die an nutz­ba­rer Ener­gie in einem beschei­de­nen Liter Die­sel ste­cken (bei 30 % Wir­kungs­grad des Motors), hal­ten ihn drei bis vier Tage auf Trab. Im Gegen­satz dazu set­zen wir Geis­tes­ar­bei­ter ein Viel­fa­ches die­ser Leis­tung auf Knopf­druck frei, ohne auch nur dar­über nach­zu­den­ken. Eben mal kurz den Staub­sauger anwer­fen? Sechs oder sie­ben unsicht­ba­re Hel­fer à 100 Watt sau­gen mit. Das Gas­pe­dal durch­drü­cken, um den SUV auf die Über­hol­spur zu brin­gen? Bei 100 Kilo­watt Motor­leis­tung sind es min­des­tens tau­send Mann, die hin­ten schie­ben. Und der oben erwähn­te LR 13000 setzt eine gan­ze Klein­stadt an vir­tu­el­len Hel­fern ein, um sei­ne Ton­nen­las­ten zu stemmen.

Die­se Über­le­gun­gen wur­den schon vor Jahr­zehn­ten von dem US-Autor Richard Buck­mins­ter Ful­ler in dem Begriff der »Ener­gies­kla­ven« zusam­men­ge­fasst, die jedem für uns stän­dig zu Diens­ten sind, um die Viel­zahl von Maschi­nen zu bewe­gen, deren Arbeit wir unser Mär­chen­da­sein ver­dan­ken. Nach Berech­nun­gen des deut­schen Phy­si­kers Hans-Peter Dürr arbei­ten dem­nach für jeden Ame­ri­ka­ner 110 sol­cher unsicht­ba­ren Skla­ven, für jeden Euro­pä­er immer noch 60. Eine jün­ge­re, etwas detail­lier­te­re Rech­nung kommt sogar auf eine Trup­pe von 400 Mann für den durch­schnitt­li­chen Franzosen.

Und die­se freund­li­chen, all­zeit berei­ten Hel­fer sind spott­bil­lig! Im Gegen­satz zu tat­säch­li­chen Skla­ven, die viel mehr Ener­gie in Form von Nah­rung ver­brau­chen wür­den, als sie Arbeit leis­ten könn­ten, ent­hal­ten fos­si­le Brenn­stof­fe ein Mehr­fa­ches der Ener­gie, die in ihre Gewin­nung inves­tiert wer­den muss. Bei in den USA geför­der­tem Erd­öl liegt die­ses auch als »Ern­te­fak­tor« oder »EROEI« (Ener­gy Retur­ned on Ener­gy Inves­ted) bezeich­ne­te Ver­hält­nis zwi­schen 10:1 und 20:1, wäh­rend deut­sche Koh­le- oder Gas­kraft­wer­ke sogar um die 30:1 bie­ten. Auch hier­für ist der Grund ganz ein­fach: Fos­si­le Brenn­stof­fe sind im Grun­de nichts wei­ter als gespei­cher­tes Son­nen­licht, das in Form von toten Tie­ren und Pflan­zen über geo­lo­gi­sche Zeit­räu­me hin­weg im Erd­in­nern kon­zen­triert wur­de, ohne dass irgend­je­mand etwas dafür tun muss­te. Es ist, als hät­te der Pla­net für uns meh­re­re Mil­lio­nen Jah­re lang jedes Jahr die Sum­me ange­spart, die man durch ehr­li­che Arbeit erwirt­schaf­ten kann, und dann waren ein­fach irgend­wann meh­re­re Fan­tas­til­li­ar­den auf dem Kon­to, für deren Gewin­nung man nur noch ein paar Löcher in den Boden gra­ben muss­te. Wir konn­ten der Ver­su­chung nicht wider­ste­hen und haben kon­se­quen­ter­wei­se in den letz­ten Jahr­zehn­ten einen gro­ßen Teil die­ses unver­hofft geerb­ten Ver­mö­gens hem­mungs­los durchgebracht.

Könn­ten wir dar­auf ver­zich­ten? Wie denn wohl … Wir alle leben in Umstän­den, die ohne die jeder­zei­ti­ge Ver­füg­bar­keit von Unmen­gen bil­li­ger Ener­gie nicht denk­bar wären. 50 oder 70 Kilo­me­ter Arbeits­weg? Kein Pro­blem. Eine Rie­sen-Gefrier­tru­he, um nicht so oft ein­kau­fen zu müs­sen? Kein Pro­blem. Trotz­dem ein gro­ßes Auto, weil man ja auch mal mit den Kin­dern und ihren Freun­den in den Frei­zeit­park fah­ren will? Kein Pro­blem. Der neu­es­te Rie­sen­fern­se­her aus Korea? Kein Pro­blem. Wein­trau­ben aus Chi­le? Kein Pro­blem. Die schö­nen Boden­flie­sen aus Ita­li­en? Kein Pro­blem. Ein Shop­ping-Wochen­en­de im Big Apple? Kein Pro­blem. Wir kön­nen uns das alles leis­ten, weil wir selbst Maschi­nen für uns arbei­ten las­sen und die Pro­duk­te unse­rer Fabri­ken in die gan­ze Welt ver­kau­fen. Alles, was irgend­je­mand irgend­wo mit Hil­fe von Maschi­nen und fos­si­ler Ener­gie her­stellt, anbaut oder trans­por­tiert, ist so bil­lig, dass kein Erzeug­nis von unmit­tel­ba­rer Men­schen­hand damit kon­kur­rie­ren kann. Das kli­ma­neu­tra­le Gemü­se, das wir im eige­nen Gar­ten zie­hen, oder der Pul­li aus Wol­le von eige­nen Scha­fen sind viel­mehr Kno­chen­jobs mit höchs­tens 100 Watt.

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Nach einem Wort des US-Sozio­lo­gen Wil­liam Cat­ton macht uns die­se Maschi­nen­welt mit der hun­dert­fa­chen Ver­stär­kung unse­rer Kör­per­kräf­te zu Homo colos­sus, und selbst wenn wir öko­lo­gisch kor­rekt ein­kau­fen, nur noch öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel benut­zen und das Wohn­zim­mer mit ein­hei­mi­schem Buchen­holz hei­zen, schaf­fen wir es damit gera­de mal, zu Homo colos­sus infe­ri­or zu schrump­fen. Von ech­ter »Nach­hal­tig­keit« blei­ben wir weit entfernt.

Bleibt also, und das ist die drit­te Sicht­wei­se auf das Pro­blem, die Hoff­nung, unse­re Ener­gies­kla­ven irgend­wie anders als mit fos­si­len Brenn­stof­fen zu füt­tern. Um die damit ver­bun­de­ne Her­aus­for­de­rung zu ver­ste­hen, ist es nütz­lich, kurz auf den Kirch­turm unse­res klei­nen, beschau­li­chen Dor­fes zu stei­gen, der einen guten Blick auf die Umge­bung bie­tet. Wir befin­den uns hier in einer wei­ten, von Schmelz­was­sern der vor­letz­ten Eis­zeit geschaf­fe­nen Ebe­ne (für Ken­ner: ein Teil des Bres­lau-Mag­de­burg-Bre­mer Urstrom­tals), über der öfter mal ein ganz hübsch stei­fer West­wind weht. Wie man sich den­ken kann, hat die­ser Umstand die Gegend in den ver­gan­ge­nen zwan­zig Jah­ren für eine bestimm­te Art von Bau­pro­jekt inter­es­sant gemacht.

Das ers­te davon sehen wir knapp zwei Kilo­me­ter süd­lich des Dor­fes: 12 Wind­rä­der eines klei­nen Wind­parks, von denen die jüngs­ten bei­den vom neu­es­ten Typ und so hoch sind, dass sie seit ihrer Errich­tung das Dorf optisch erschla­gen. In sie­ben Kilo­me­ter Ent­fer­nung in Rich­tung West-Nord­west fol­gen 22 Wind­rä­der des nächs­ten Wind­parks, direkt im Wes­ten ste­hen in zwölf Kilo­me­ter Ent­fer­nung wei­te­re 8 Anla­gen, und mit vier Kilo­me­tern wie­der näher dran befin­den sich eben­falls 22 Wind­rä­der im Nord­wes­ten des Dor­fes. Im Nor­den und Osten exis­tiert auf­grund des Weser­laufs eine gewis­se Wind­rad­lü­cke, aber mit 2 Anla­gen in Rich­tung Nord­ost (2,5 km Ent­fer­nung) und 15 Wind­rä­dern im Süd­os­ten (8–10 km Ent­fer­nung) arbei­tet man dar­an, auch die­sen Bereich mit ein­zu­be­zie­hen. Bei kla­rer Sicht kann man sogar noch wei­ter ent­fern­te grö­ße­re Wind­parks aus­ma­chen, aber die klei­ne Aus­wahl soll­te wohl für einen ers­ten Ein­druck genü­gen. Dem­nächst kom­men noch eine neue Hoch­span­nungs­lei­tung und ein gro­ßes Umspann­werk hin­zu, weil der Strom natür­lich auch irgend­wie dort­hin muss, wo er gebraucht wird.

Nur ein paar Windparks

Wie effek­tiv ist das alles? 2018 kamen den Zah­len der Arbeits­ge­mein­schaft Ener­gie­bi­lan­zen zufol­ge 35 Pro­zent des gesam­ten in Deutsch­land erzeug­ten Brut­to-Stroms aus erneu­er­ba­ren Quel­len, davon gut 17 Pro­zent von Wind­kraft­an­la­gen und 7 Pro­zent aus Foto­vol­ta­ik. Das klingt zunächst mal ganz gut – aller­dings nur, bis einem ein­fällt, dass Strom nur eine von vie­len Ener­gie­for­men ist. Häu­ser wer­den zumeist mit Erd­gas oder Heiz­öl geheizt, Autos fah­ren mit Ben­zin oder Die­sel, und in der Indus­trie braucht man neben Strom auch Erd­gas und wei­te­re Brenn­stof­fe, um Pro­zess­wär­me zu erzeu­gen und ande­re Auf­ga­ben zu erle­di­gen. Wenn man alles zusam­men­zählt, kommt man zu dem depri­mie­ren­den Ergeb­nis, dass laut Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft 2017 (die genau­en Daten für 2018 feh­len noch) der Anteil von Wind- und Solar­strom zusam­men­ge­rech­net beschä­mend gerin­ge 4 Pro­zent des Gesamt-Pri­mär­ener­gie­ver­brauchs betrug, wäh­rend 80 Pro­zent wei­ter­hin durch fos­si­le Brenn­stof­fe erzeugt wurden.

Als ich das gele­sen habe, muss­te ich mich erst mal set­zen. Der gan­ze WKA-Wald, der hier um das Dorf her­um ent­stan­den ist, die gan­zen Solar­parks, mit denen man in Süd­deutsch­land noch die letz­te Schaf­wei­de bebaut hat, und dann ein der­art bla­ma­bles Ergeb­nis …?!? Und es kommt noch schlim­mer: Wenn man, was ja der neu­es­te Plan der Regie­rung zu sein scheint, das gesam­te Land bis 2050 »kli­ma­neu­tral« machen möch­te, müs­sen die kli­ma­wirk­sa­men 80 Pro­zent ent­we­der abge­schafft oder durch irgend­et­was ande­res ersetzt wer­den. Was könn­te das sein? Sie­ben Pro­zent des Brut­to­stroms wer­den mit Hil­fe von Bio­gas erzeugt, ein knap­pes Pro­zent der Pri­mär­ener­gie stammt aus Bio­sprit. Für bei­de Ener­gie­for­men zusam­men wer­den aller­dings bereits 20 Pro­zent des deut­schen Acker­lands ver­wen­det, sodass nach oben wohl nicht mehr all­zu viel Luft ist. Irgend­et­was wol­len wir ja auch noch essen, und noch mehr Import von Bio­sprit aus Palm­öl könn­te das end­gül­ti­ge Ende des tro­pi­schen Regen­walds bedeu­ten … Als nächs­tes wür­de einem dem­entspre­chend der ein­hei­mi­sche Wald ein­fal­len. Aber hier wer­den bereits 87 % des jähr­lich nach­wach­sen­den Roh­hol­zes für ande­re Zwe­cke genutzt (Bau­holz, Möbel, Brenn­holz für den Wohn­zim­mer­ka­min usw.), es ist also so gut wie über­haupt kein Aus­bau­po­ten­zi­al mehr vor­han­den. Zudem ist ein Trans­port von Holz von vie­len ver­schie­de­nen Stand­or­ten zu einem zen­tra­len Kraft­werk öko­no­misch nicht beson­ders sinn­voll; bereits bei Braun­koh­le, die einen etwas höhe­ren Heiz­wert auf­weist, wer­den ja die Kraft­wer­ke mög­lichst direkt neben den Gru­ben gebaut, um die Trans­port­kos­ten zu mini­mie­ren. Eben­so wenig darf man auf einen Aus­bau der Was­ser­kraft hof­fen: Laut Umwelt-Bun­des­amt hat auch die­se Art der Ener­gie­er­zeu­gung ihr Poten­zi­al wei­test­ge­hend aus­ge­schöpft. Und ernst­haft – woll­ten wir wirk­lich Rhein, Donau und Elbe durch Stau­stu­fen mit Lauf­was­ser­kraft­wer­ken so kana­li­sie­ren, wie es im 20. Jahr­hun­dert mit der Weser gesche­hen ist, um den Preis, hin­ter­her öko­lo­gisch tote Flüs­se zu haben …?

Blei­ben Wind und Son­ne. Und eine ein­fa­che Kopf­re­chen­auf­ga­be: Wenn momen­tan 4 Pro­zent der Pri­mär­ener­gie aus die­sen bei­den Quel­len stam­men und wei­te­re 86 Pro­zent dadurch ersetzt wer­den sol­len (die zusätz­lich nöti­gen 6 Pro­zent stam­men von den still­zu­le­gen­den Kern­kraft­wer­ken), um wel­chen Fak­tor müss­te die Zahl der Wind­rä­der und Solar­an­la­gen dann stei­gen …? Wie vie­le Groß-Strom­spei­cher und Was­ser­stoff­an­la­gen bräuch­te man, um die Schwan­kun­gen von Wind und Son­ne aus­zu­glei­chen? Und wie sähe nach­her die Umge­bung unse­res klei­nen, beschau­li­chen Dor­fes aus? Oder bes­ser gesagt, wie sähe dann das gan­ze Land aus? Man hät­te es zer­stört, um es zu retten.

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Für einen vier­ten – und letz­ten – Aspekt muss ich noch­mal auf mei­ne ein­gangs erwähn­ten Fern­rei­sen zurück­kom­men. Eini­ge davon führ­ten mich im Abstand von jeweils meh­re­ren Jah­ren nach Süd­ost­asi­en, und ich hat­te Gele­gen­heit, vor Ort ein anschau­li­ches Bild davon zu gewin­nen, was »wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung« bedeu­ten kann. Ich den­ke da ins­be­son­de­re an eine Insel im süd­chi­ne­si­schen Meer, die bei Back­pa­ckern damals recht beliebt war, weil sie dank des güns­ti­gen Wech­sel­kur­ses auch für klei­nes Geld ein para­die­sisch-tro­pi­sches Feri­en­er­leb­nis ermög­lich­te. Bei mei­nem ers­ten ers­ten Besuch, das muss 1993 gewe­sen sein, kamen wir in einer Stel­zen­hüt­te mit Palm­blatt­dach unter, die mei­ner Erin­ne­rung nach den Gegen­wert von unge­fähr 5 US-Dol­lar die Nacht kos­te­te. Auch der Besit­zer der Hüt­ten­an­la­ge, ein Thai mit chi­ne­si­schen Wur­zeln, wohn­te mit sei­ner Fami­lie unter ähn­li­chen Umstän­den. Eigent­lich han­del­te es sich um einen alten Kokos­pal­men­hain, und er hat­te sich nicht die Mühe gemacht, die Bäu­me zu fäl­len, sodass es den gan­zen Tag über schön schat­tig war. Die Rezep­ti­on bestand aus einem Fens­ter mit Klapp­la­den, an dem man auch Bestel­lun­gen für das zuge­hö­ri­ge Restau­rant auf­ge­ben sowie Geträn­ke und Snacks kau­fen konn­te. Man hat­te nicht das Gefühl, dass die Besit­zer­fa­mi­lie sich tot­ar­bei­te­te, und wir Tou­ris­ten übten uns in Ent­schleu­ni­gung und tro­pi­scher Los­ge­löst­heit vom Rum­mel zu Hau­se in Euro­pa oder Nord­ame­ri­ka. Was soll­te sich an die­sem zeit­lo­sen Ort jemals ändern …?

In den 1990ern sehr gemütlich

Wie man sich täu­schen kann. Zwei Jah­re spä­ter waren die Pal­men im öst­li­chen Teil des Gelän­des ver­schwun­den und eine Rei­he von weiß ver­putz­ten Bun­ga­lows an ihre Stel­le getre­ten. Noch­mal fünf Jah­re spä­ter habe ich dort die ers­te Fas­sung von Wolfs­stadt geschrie­ben, und jetzt gab es nur noch Bun­ga­lows und ein aus Beton errich­te­tes neu­es Restau­rant direkt am Meer. Der Sohn des Besit­zers war erwach­sen gewor­den und hat­te eine hüb­sche Papa­ya-Ver­käu­fe­rin gehei­ra­tet, die aus dem Nor­den auf die Insel gekom­men war. Er fuhr einen nigel­na­gel­neu­en BMW und hat­te ziem­li­ches Über­ge­wicht; die Zahl der Pal­men war hin­ge­gen deut­lich zurück­ge­gan­gen. Ein Jahr spä­ter war das Restau­rant einer Sturm­flut zum Opfer gefal­len, wur­de aber gera­de viel grö­ßer und schö­ner neu errich­tet. Und als ich vor kur­zem im Inter­net nach­ge­schaut habe, was aus der Ecke so gewor­den ist, muss­te ich eini­ger­ma­ßen schlu­cken: Am Ort des gemüt­li­chen Kokos­pal­men­hains mit Stel­zen­hüt­ten macht sich jetzt ein 5‑S­ter­ne-Beach-Resort mit Innen­ar­chi­tek­tur und Pri­vat­pool-Bun­ga­lows breit, in denen eine Über­nach­tung mehr als hun­dert­mal so viel kos­tet wie damals.

Die Anla­ge wird mitt­ler­wei­le von einem inter­na­tio­na­len Hotel­kon­zern betrie­ben, aber man macht es sich all­zu leicht, wenn man das Gesche­hen ein­fach dem bösen west­li­chen Kapi­ta­lis­mus anlas­tet: Der jet­zi­ge Zustand ist ja nur der logi­sche End­punkt einer Ent­wick­lung, die bereits unter den ein­hei­mi­schen Besit­zern begon­nen hat. Die Wahr­heit dürf­te viel­mehr dar­in bestehen, dass die­se Men­schen der Ver­su­chung, zu Homo colos­sus zu wer­den, eben­so wenig wider­ste­hen kön­nen wie wir. Anders ist wohl nicht zu erklä­ren, war­um etwa die Regie­rung von Ban­gla­desch gera­de dabei ist, in genau jenem Gan­ges-Del­ta, das bei einem Anstieg des Mee­res­spie­gels als ers­tes über­flu­tet wür­de, ein rie­si­ges Koh­le­kraft­werk zu bau­en. Oder war­um in Indi­en für die nächs­ten 15 Jah­re der Bau von 100 neu­en Flug­hä­fen geplant ist. Oder war­um chi­ne­si­sche Tou­ris­ten mitt­ler­wei­le ein Fünf­tel der welt­wei­ten Tou­ris­mus­aus­ga­ben täti­gen. Wäh­rend wir hier­zu­lan­de über das Abschal­ten von 45 Giga­watt Koh­le­strom strei­ten, wer­den welt­weit 399 Giga­watt an neu­en Koh­le­kraft­wer­ken gebaut. Wol­len wir es den betref­fen­den Län­dern ver­bie­ten, weil wir selbst schon so viel CO2 pro­du­ziert haben …?

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Um es noch­mal zusam­men­zu­fas­sen: Homo colos­sus müss­te, um den von ihm ver­ur­sach­ten Kli­ma­wan­del zu stop­pen, ent­we­der auf­ge­ben und in die 100-Watt-Welt sei­ner Vor­fah­ren zurück­keh­ren oder einen neu­en Weg fin­den, sei­ne Maschi­nen anzu­trei­ben. Momen­tan sind all unse­re Anstren­gun­gen auf das zwei­te Ziel gerich­tet, aber es zeich­net sich schon ab, dass der dabei ver­folg­te Weg hoff­nungs­los inad­äquat ist. Zudem wird jeder Fort­schritt an Dekar­bo­ni­sie­rung, der durch den Ein­satz rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien oder per­sön­li­chen Ver­zicht ent­steht, durch den Wunsch der rest­li­chen Welt, mög­lichst rasch unse­rem Vor­bild zu fol­gen, wie­der zunich­te gemacht.

Was also tun? Zunächst mal: Ruhe bewah­ren. Der Welt­un­ter­gang wur­de in den letz­ten Jahr­zehn­ten schon ziem­lich oft ange­kün­digt, um dann doch nicht ein­zu­tre­ten. Ins­be­son­de­re Inter­net­mel­dun­gen des Kali­bers »Wenn wir nicht inner­halb von10 Jah­ren kein CO2 mehr aus­sto­ßen, läuft die glo­ba­le Erwär­mung völ­lig aus dem Ruder und die Erde ist 2050 unbe­wohn­bar« sind mit äußers­ter Vor­sicht zu genie­ßen. Ob die für die jewei­li­ge Pro­gno­se ver­wen­de­te Modell­rech­nung wirk­lich stimmt, wer­den wir erst in ein paar Jahr­zehn­ten sicher wis­sen. Trotz­dem soll­te man natür­lich nicht die Hän­de in den Schoß legen – dass die Pro­gno­sen kom­plett dane­ben­lie­gen, kann man eben­so wenig bewei­sen wie ihre hun­dert­pro­zen­ti­ge Rich­tig­keit. Zudem ist es mit­tel- bis lang­fris­tig sinn­voll, sich von den fos­si­len Brenn­stof­fen zu ver­ab­schie­den, schließ­lich wer­den sie nicht ewig rei­chen. Dafür hät­te ich einen Vor­schlag: Wir geben uns alle mal einen Ruck und akzep­tie­ren, dass Flug­rei­sen, gro­ße Autos, Kreuz­fahr­ten, Fleisch­kon­sum und über­haupt alle Nicht-Lebens­not­wen­dig­kei­ten besteu­ert wer­den, dass es quietscht (womit ich mei­ne: viel stär­ker, als es momen­tan Robert Habeck vor­schwebt). Das hat nichts mit Aske­se zu tun, denn das dadurch ein­ge­nom­me­ne Geld muss in die Grund­la­gen­for­schung gesteckt wer­den, um neue Quel­len bil­li­ger, hoch­kon­zen­trier­ter Ener­gie zu erschlie­ßen: Kern­fu­si­on, hoch­ef­fi­zi­en­te Was­ser­stoff-Elek­tro­ly­seu­re, was auch immer. Man müss­te zwar den Gür­tel enger schnal­len, hät­te aber die Aus­sicht, dass sich als Beloh­nung ein neu­er Weg auf­tut, unse­re High­tech-Welt anzu­trei­ben. Einer, dem der Rest der Welt dann auch wie­der bereit­wil­li­ger folgt als unse­rer chao­ti­schen Wind- und Solar­park-Bau­wut. Das wäre es doch wert, oder?

In die­sem Zusam­men­hang lie­ße sich übri­gens erwäh­nen, dass Kern­kraft­wer­ke laut der oben ver­link­ten Stu­die einen Ern­te­fak­tor von nicht weni­ger als 75:1 auf­wei­sen, von daher wären die 520 Mil­li­ar­den Euro, die die Ener­gie­wen­de bis 2025 kos­ten soll, viel­leicht bes­ser dafür aus­ge­ge­ben wor­den, die­se Tech­nik so wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, dass die Anla­gen nicht mehr durch­ge­hen kön­nen, kein Waf­fen­ma­te­ri­al pro­du­zie­ren und den bereits ange­fal­le­nen Atom­müll als Brenn­stoff nut­zen kön­nen. Nur so mei­ne beschei­de­ne Mei­nung, aber zumin­dest kurz­zei­tig scheint das ja auch Gre­ta auf­ge­fal­len zu sein …

Auf der Blutbeeren-Brücke

Ein Lied, das ich gera­de dau­ernd höre, ver­rät einem wahr­schein­lich mehr über die Aus­sich­ten, dass wir jemals die »Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Euro­pa« grün­den wer­den, als sämt­li­che Wahl­pro­gram­me zur Euro­pa­wahl zusam­men. Dabei hat es gar nichts mit der EU zu tun, son­dern stammt aus einem 2007 erschie­ne­nen Kon­zept­al­bum der pol­ni­schen Sän­ge­rin Aga Zaryan über den Auf­stand der »Pol­ni­schen Hei­mat­ar­mee« gegen die deut­schen Besat­zer im Spät­som­mer und Herbst 1944. Wer jetzt brech­tisch-bier­man­nes­ke Bedeu­tungs­hu­be­rei erwar­tet, liegt aller­dings völ­lig dane­ben: Zaryan ist als Jazz-Inter­pre­tin weit über die Gren­zen ihres Hei­mat­lands hin­aus bekannt, die musi­ka­li­sche Umset­zung ist dem­entspre­chend, und der Text ist weder hero­isch-patrio­tisch, noch pran­gert er in flam­men­den Far­ben die apo­ka­lyp­ti­sche Zer­stö­rungs­wut an, mit der in jenem Jahr Wehr­macht, SS und ihre ost­eu­ro­päi­schen Hilfs­trup­pen (von Leh­mann in Wolfs­stadt immer als »Kosa­ken oder Kal­mü­cken oder so« ver­un­glimpft) die pol­ni­sche Haupt­stadt überzogen.

Statt­des­sen wird hier ein Gedicht der außer­halb ihres Hei­mat­lands mehr oder weni­ger unbe­kann­ten Dich­te­rin Kry­sty­na Kra­hels­ka ver­tont, die wäh­ren der deut­schen Besat­zung selbst bei den Par­ti­sa­nen kämpf­te, am War­schau­er Auf­stand als Sani­tä­te­rin der Hei­mat­ar­mee teil­nahm und dabei gleich in den ers­ten August­ta­gen ihr Leben las­sen muss­te. Hier eine Ad-hoc-Über­set­zung der ers­ten Strophen:

Ich ging über die Blutbeeren-Brücke
Die Blut­bee­ren-Brü­cke schaukelte
Der Wind pfiff ein Lied über das Schilf
Und schrieb mit Federn in das Wasser

Die roten Bee­ren fielen
Bis auf den Grund des dunk­len Wassers
Ich ging über die Blutbeeren-Brücke
Die Blut­bee­ren-Brü­cke bog sich nach unten

Ich woll­te mich an dich erinnern
Aber du bist mir nicht eingefallen
Da waren Räder auf dem dunk­len Wasser
Da war ein Blut­bee­ren-Herz in mir

Man denkt unwill­kür­lich an die düs­te­re Welt, in der Andrzej Sap­kow­skis Roma­ne und The Wit­cher spie­len, und in der Tat ist Kali­nowy Most, die »Schnee­ball-« oder »Blut­bee­ren-Brü­cke«, in den alt­sla­wi­schen Mär­chen und Hel­den­sa­gen eine Brü­cke zwi­schen der Welt der Leben­den und der Toten und der Ort des Kamp­fes zwi­schen Gut und Böse. Eine düs­te­re Vor­ah­nung des eige­nen Todes liegt in Kra­hels­kas Zei­len eben­so wie die Angst des Sol­da­ten am Abend vor dem Angriff, die Trau­er um tote Kame­ra­den und die Schwe­re des Schick­sals, das auf dem Land las­tet. Auf deut­sche Ver­hält­nis­se über­tra­gen: als wür­de Lisa Bas­sen­ge ein Lied über die Münch­ner Räte­re­pu­blik sin­gen, in dem die rechts­ra­di­ka­len Frei­korps mit Mus­pells Söh­nen beim Ragna­r­ök ver­gli­chen werden.

Ein sol­ches Lied wer­den wir wohl nie­mals zu hören bekom­men, was schon auf einen gewich­ti­gen Unter­schied beim Blick auf die eige­ne Geschich­te und Über­lie­fe­rung dies- und jen­seits der Oder hin­deu­tet: In Polen schämt man sich nicht für sei­ne Vor­fah­ren, man ist stolz drauf, nie das Haupt gebeugt zu haben – selbst wenn kei­ne der zahl­rei­chen Erhe­bun­gen zur Zeit der Par­ti­tio­nen oder dann im Kom­mu­nis­mus jemals von Erfolg gekrönt war. Und der sou­ve­rä­ne Natio­nal­staat wird weit­hin nicht als Quel­le allen Übels gese­hen, son­dern als end­lich ein­ge­lös­tes Ver­spre­chen nach einer lan­gen Durst­stre­cke, wäh­rend derer man unter der Knu­te der mäch­ti­gen Nach­barn stand und nicht ein­mal einen eige­nen Staat vor­wei­sen konn­te. Geschwei­ge denn, dass man sei­ne Flag­ge auf fer­nen Kon­ti­nen­ten auf­ge­pflanzt oder mit afri­ka­ni­schen Skla­ven gehan­delt hätte.

Man sagt ja, dass jedes Land sei­ne eige­ne Erwar­tun­gen an das geein­te Euro­pa hat: Für die Fran­zo­sen sei es ein Mit­tel, ihren eige­nen Ein­fluss in der Welt halb­wegs auf dem von frü­her gewohn­ten Niveau zu hal­ten, für die Süd­län­der ein Weg zum Reich­tum des Nor­dens, für die Deut­schen die Hoff­nung, kei­ne Deut­schen mehr sein zu müs­sen, son­dern »Euro­pä­er«. Für Polen und die ande­ren klei­nen Län­der Ost­mit­tel­eu­ro­pas ist es ein siche­rer Hafen, in dem sie vor den Zumu­tun­gen des gro­ßen öst­li­chen Nach­barn geschützt sind. Aber eben ein Hafen, in dem man anle­gen kann; kein Schiffs­fried­hof, auf dem man abwra­cken muss. Die Wahr­schein­lich­keit, dass sie sich jemals in Bun­des­staa­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Euro­pa ver­wan­deln wer­den, ist prak­tisch null. Was also wer­den die Pan-Euro­pä­er tun, wenn sie ihren Wil­len nicht bekom­men, die Pan­zer wie­der in Bewe­gung set­zen und dort einmarschieren …?

Klei­ner Nach­trag: Anna Maria Jop­ek haut in die glei­che Kerbe …

 

 

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Die Sache mit den Wölfen

Inter­es­sant. Jemand schreibt ein Sach­buch über die ers­ten Jah­re in Deutsch­land nach dem 2. Welt­krieg und gibt dem Gan­zen den Titel Wolfs­zeit – ein Fall von Jung’scher Synchronizität …?

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