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Kategorie: Reisen (Seite 1 von 2)

Greta und die Energiesklaven

Die jun­ge Schwe­din hat etwas bewirkt, das muss man ihr las­sen. Man weiß nie so recht, ob sie sich das alles selbst aus­ge­dacht hat oder nur ein cle­ve­res PR-Pro­dukt ist, aber immer­hin reden wir dank ihrer Aktio­nen wie­der über Din­ge, die wich­tig sind, anstatt über Trumps Haar­tol­le. Was mich etwas irri­tiert, ist die­se eben­so pani­sche wie fol­gen­lo­se Hys­te­rie, die um sich greift – plötz­lich reden alle auf­ge­regt vom »Kli­ma­not­stand« und trom­pe­ten hal­lu­zi­nie­ren­de For­de­run­gen wie »Koh­le­aus­stieg jetzt!« in die Welt, ohne dass man den Ein­druck hat, dass sie sich mit den tie­fe­ren Dimen­sio­nen des Pro­blems wirk­lich beschäf­tigt haben. Und offen­bar ohne dass sie für sich selbst Kon­se­quen­zen dar­aus zie­hen – frei­tags für die Future, mitt­wochs zu Feri­en­be­ginn in den Flie­ger.

Welche Dimen­sio­nen das wären? Man kann sich der Ange­le­gen­heit von meh­reren Sei­ten nähern. Eine davon ist das simp­le Ein­ge­ständ­nis, dass die Erzeu­gung von Koh­len­di­oxid durch Ver­hei­zen fos­si­ler Brenn­stof­fe einen Rie­sen­spaß macht, den Hori­zont erwei­tert und zur Per­sön­lich­keits­bil­dung beiträgt. Bei einen Flug Frank­furt-Rio hin und zurück bei­spiels­wei­se wer­den über sechs Ton­nen CO2 in die Atmo­sphä­re gebla­sen (wer’s nach­rech­nen will: www.klimanko.de), aber die Rei­se, die ich vor vie­len Jah­ren auf die­se Wei­se gemacht habe, war eine der prä­gen­den Erfah­run­gen mei­nes Lebens. Ich habe gro­ße Tei­le Bra­si­li­ens und auch ein biss­chen von Argen­ti­ni­en und Para­gu­ay gese­hen, die Was­ser­fäl­le von Igua­çu, die Rui­nen der Jesui­ten-Mis­sio­nen am Paraná, den Pelour­in­ho von Sal­va­dor, den Mons­ter-Ver­kehrs­stau von São Pau­lo und und und. Ich habe an einem Can­dom­blé-Ritu­al teil­ge­nom­men und in einer Repú­b­li­ca gewohnt. Ich habe jede Men­ge Bra­si­lia­ner ken­nen­ge­lernt und – wie schon Jah­re zuvor in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten – rela­tiv ernüch­tert fest­stel­len müs­sen, dass man ein Land nicht ver­steht, bloß weil man sei­ne Popu­lär­mu­sik hört und ein paar sei­ner Autoren gele­sen hat. Und gelernt, dass man in Rio nachts nicht an roten Ampeln hält, weil sonst ein paar üble Bur­schen mit Maschi­nen­pis­to­len kom­men und einem an Geld­beu­tel und Leben wol­len … Ich wäre nicht der­sel­be Mensch, wenn ich die­se Rei­se damals nicht gemacht hät­te. Aber es blei­ben die sechs Ton­nen CO2 (die dazugehö­ri­gen bra­si­lia­ni­schen Inlands­flü­ge habe ich jetzt geschickt unter­schla­gen), und es war weiß Gott nicht der ein­zi­ge Lang­stre­cken­flug mei­nes Lebens.

Der Autor als jun­ger Spund vor Grauman’s Chi­ne­se Theatre

 Das glei­che gilt natür­lich auch für ein­fa­che­re Ver­gnü­gun­gen wie den spon­ta­nen Auto-Aus­flug an den Chiem­see, die Fahrt über kur­vi­ge Küs­ten­stra­ßen in Kam­pa­ni­en und den All-Ame­ri­can Road­t­rip von New York nach Kali­for­ni­en. Wie wäre wohl eine Welt, in der sol­che Freu­den ver­bo­ten oder so teu­er wären, dass nur ein paar Rei­che das nöti­ge Klein­geld dafür auf­brin­gen könn­ten? Ein eher tris­ter Ort, neh­me ich an, da kann man mir die Vor­tei­le von »Loca­lism« und »Slow-Bewe­gung« in noch so glü­hen­den Far­ben aus­ma­len. Es ist ja kein Wun­der, dass die Vor­sit­zen­de der baye­ri­schen Grü­nen ger­ne über den Jah­res­wech­sel nach San Die­go jet­tet, um dort ein Eis zu löf­feln … Die­se Schein­hei­lig­keit kennt man aus zwei Jahr­tau­sen­den Chris­ten­tum zur Genü­ge, und man darf anneh­men, dass die »Kli­ma­be­we­gung« bei ihrem Vor­ha­ben, den Durch­schnitts­men­schen auf den rech­ten Pfad der Dekar­bo­ni­sie­rung zu brin­gen, genau­so erfolg­los sein wird wie die­ses, wenn die Sün­de doch so schön ist.

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Ein ande­rer Aspekt des Dilem­mas besteht dar­in, dass fos­si­le Brenn­stof­fe nicht nur Spaß machen, son­dern auch Kräf­te ver­lei­hen, die unse­re Vor­fah­ren nur aus Mär­chen und phan­tas­ti­schen Erzäh­lun­gen kann­ten. Sie­ben­mei­len­stie­fel? Easy­Jet wür­de mich nächs­ten Monat für schlap­pe 30 Euro in zwei Stun­den von Ham­burg nach Niz­za brin­gen. Rie­sen, die Zyklo­pen­mau­ern auf­tür­men? Macht heu­te der Rau­pen­kran LR 13000 mit 3000 Ton­nen Trag­kraft und 1000 Kilo­watt Motor­leis­tung. Feu­er­spei­en­de Dra­chen? Die F‑22 Rap­tor ver­brei­tet ihre töd­li­che Fracht viel schnel­ler und effi­zi­en­ter.

Das hat einen ein­fa­chen Grund: Ein kör­per­lich arbei­ten­der Mensch bringt lang­fris­tig eine durch­schnitt­li­che phy­si­ka­li­sche Leis­tung von aller­höchs­tens 100 Watt aufs Tapet (Leis­tungs­sport­ler kurz­fris­tig viel mehr, sie­he unten das Video). Um täg­lich eine ein­zi­ge, müde Kilo­watt­stun­de zusam­men­zu­be­kom­men, muss er also schon zwei Über­stun­den machen. Und die unge­fähr drei Kilo­watt­stun­den, die an nutz­ba­rer Ener­gie in einem beschei­de­nen Liter Die­sel ste­cken (bei 30 % Wir­kungs­grad des Motors), hal­ten ihn drei bis vier Tage auf Trab. Im Gegen­satz dazu set­zen wir Geis­tes­ar­bei­ter ein Viel­fa­ches die­ser Leis­tung auf Knopf­druck frei, ohne auch nur dar­über nach­zu­den­ken. Eben mal kurz den Staub­sauger anwer­fen? Sechs oder sie­ben unsicht­ba­re Hel­fer à 100 Watt sau­gen mit. Das Gas­pe­dal durch­drü­cken, um den SUV auf die Über­hol­spur zu brin­gen? Bei 100 Kilo­watt Motor­leis­tung sind es min­des­tens tau­send Mann, die hin­ten schie­ben. Und der oben erwähn­te LR 13000 setzt eine gan­ze Klein­stadt an vir­tu­el­len Hel­fern ein, um sei­ne Ton­nen­las­ten zu stemmen.

Die­se Über­le­gun­gen wur­den schon vor Jahr­zehn­ten von dem US-Autor Richard Buck­mins­ter Ful­ler in dem Begriff der »Ener­gies­kla­ven« zusam­men­ge­fasst, die jedem für uns stän­dig zu Diens­ten sind, um die Viel­zahl von Maschi­nen zu bewe­gen, deren Arbeit wir unser Mär­chen­da­sein ver­dan­ken. Nach Berech­nun­gen des deut­schen Phy­si­kers Hans-Peter Dürr arbei­ten dem­nach für jeden Ame­ri­ka­ner 110 sol­cher unsicht­ba­ren Skla­ven, für jeden Euro­pä­er immer noch 60. Eine jün­ge­re, etwas detail­lier­te­re Rech­nung kommt sogar auf eine Trup­pe von 400 Mann für den durch­schnitt­li­chen Franzosen.

Und die­se freund­li­chen, all­zeit berei­ten Hel­fer sind spott­bil­lig! Im Gegen­satz zu tat­säch­li­chen Skla­ven, die viel mehr Ener­gie in Form von Nah­rung ver­brau­chen wür­den, als sie Arbeit leis­ten könn­ten, ent­hal­ten fos­si­le Brenn­stof­fe ein Mehr­fa­ches der Ener­gie, die in ihre Gewin­nung inves­tiert wer­den muss. Bei in den USA geför­der­tem Erd­öl liegt die­ses auch als »Ern­te­fak­tor« oder »EROEI« (Ener­gy Retur­ned on Ener­gy Inves­ted) bezeich­ne­te Ver­hält­nis zwi­schen 10:1 und 20:1, wäh­rend deut­sche Koh­le- oder Gas­kraft­wer­ke sogar um die 30:1 bie­ten. Auch hier­für ist der Grund ganz ein­fach: Fos­si­le Brenn­stof­fe sind im Grun­de nichts wei­ter als gespei­cher­tes Son­nen­licht, das in Form von toten Tie­ren und Pflan­zen über geo­lo­gi­sche Zeit­räu­me hin­weg im Erd­in­nern kon­zen­triert wur­de, ohne dass irgend­je­mand etwas dafür tun muss­te. Es ist, als hät­te der Pla­net für uns meh­re­re Mil­lio­nen Jah­re lang jedes Jahr die Sum­me ange­spart, die man durch ehr­li­che Arbeit erwirt­schaf­ten kann, und dann waren ein­fach irgend­wann meh­re­re Fan­tas­til­li­ar­den auf dem Kon­to, für deren Gewin­nung man nur noch ein paar Löcher in den Boden gra­ben muss­te. Wir konn­ten der Ver­su­chung nicht wider­ste­hen und haben kon­se­quen­ter­wei­se in den letz­ten Jahr­zehn­ten einen gro­ßen Teil die­ses unver­hofft geerb­ten Ver­mö­gens hem­mungs­los durchgebracht.

Könn­ten wir dar­auf ver­zich­ten? Wie denn wohl … Wir alle leben in Umstän­den, die ohne die jeder­zei­ti­ge Ver­füg­bar­keit von Unmen­gen bil­li­ger Ener­gie nicht denk­bar wären. 50 oder 70 Kilo­me­ter Arbeits­weg? Kein Pro­blem. Eine Rie­sen-Gefrier­tru­he, um nicht so oft ein­kau­fen zu müs­sen? Kein Pro­blem. Trotz­dem ein gro­ßes Auto, weil man ja auch mal mit den Kin­dern und ihren Freun­den in den Frei­zeit­park fah­ren will? Kein Pro­blem. Der neu­es­te Rie­sen­fern­se­her aus Korea? Kein Pro­blem. Wein­trau­ben aus Chi­le? Kein Pro­blem. Die schö­nen Boden­flie­sen aus Ita­li­en? Kein Pro­blem. Ein Shop­ping-Wochen­en­de im Big Apple? Kein Pro­blem. Wir kön­nen uns das alles leis­ten, weil wir selbst Maschi­nen für uns arbei­ten las­sen und die Pro­duk­te unse­rer Fabri­ken in die gan­ze Welt ver­kau­fen. Alles, was irgend­je­mand irgend­wo mit Hil­fe von Maschi­nen und fos­si­ler Ener­gie her­stellt, anbaut oder trans­por­tiert, ist so bil­lig, dass kein Erzeug­nis von unmit­tel­ba­rer Men­schen­hand damit kon­kur­rie­ren kann. Das kli­ma­neu­tra­le Gemü­se, das wir im eige­nen Gar­ten zie­hen, oder der Pul­li aus Wol­le von eige­nen Scha­fen sind viel­mehr Kno­chen­jobs mit höchs­tens 100 Watt.

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Nach einem Wort des US-Sozio­lo­gen Wil­liam Cat­ton macht uns die­se Maschi­nen­welt mit der hun­dert­fa­chen Ver­stär­kung unse­rer Kör­per­kräf­te zu Homo colos­sus, und selbst wenn wir öko­lo­gisch kor­rekt ein­kau­fen, nur noch öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel benut­zen und das Wohn­zim­mer mit ein­hei­mi­schem Buchen­holz hei­zen, schaf­fen wir es damit gera­de mal, zu Homo colos­sus infe­ri­or zu schrump­fen. Von ech­ter »Nach­hal­tig­keit« blei­ben wir weit entfernt.

Bleibt also, und das ist die drit­te Sicht­wei­se auf das Pro­blem, die Hoff­nung, unse­re Ener­gies­kla­ven irgend­wie anders als mit fos­si­len Brenn­stof­fen zu füt­tern. Um die damit ver­bun­de­ne Her­aus­for­de­rung zu ver­ste­hen, ist es nütz­lich, kurz auf den Kirch­turm unse­res klei­nen, beschau­li­chen Dor­fes zu stei­gen, der einen guten Blick auf die Umge­bung bie­tet. Wir befin­den uns hier in einer wei­ten, von Schmelz­was­sern der vor­letz­ten Eis­zeit geschaf­fe­nen Ebe­ne (für Ken­ner: ein Teil des Bres­lau-Mag­de­burg-Bre­mer Urstrom­tals), über der öfter mal ein ganz hübsch stei­fer West­wind weht. Wie man sich den­ken kann, hat die­ser Umstand die Gegend in den ver­gan­ge­nen zwan­zig Jah­ren für eine bestimm­te Art von Bau­pro­jekt inter­es­sant gemacht.

Das ers­te davon sehen wir knapp zwei Kilo­me­ter süd­lich des Dor­fes: 12 Wind­rä­der eines klei­nen Wind­parks, von denen die jüngs­ten bei­den vom neu­es­ten Typ und so hoch sind, dass sie seit ihrer Errich­tung das Dorf optisch erschla­gen. In sie­ben Kilo­me­ter Ent­fer­nung in Rich­tung West-Nord­west fol­gen 22 Wind­rä­der des nächs­ten Wind­parks, direkt im Wes­ten ste­hen in zwölf Kilo­me­ter Ent­fer­nung wei­te­re 8 Anla­gen, und mit vier Kilo­me­tern wie­der näher dran befin­den sich eben­falls 22 Wind­rä­der im Nord­wes­ten des Dor­fes. Im Nor­den und Osten exis­tiert auf­grund des Weser­laufs eine gewis­se Wind­rad­lü­cke, aber mit 2 Anla­gen in Rich­tung Nord­ost (2,5 km Ent­fer­nung) und 15 Wind­rä­dern im Süd­os­ten (8–10 km Ent­fer­nung) arbei­tet man dar­an, auch die­sen Bereich mit ein­zu­be­zie­hen. Bei kla­rer Sicht kann man sogar noch wei­ter ent­fern­te grö­ße­re Wind­parks aus­ma­chen, aber die klei­ne Aus­wahl soll­te wohl für einen ers­ten Ein­druck genü­gen. Dem­nächst kom­men noch eine neue Hoch­span­nungs­lei­tung und ein gro­ßes Umspann­werk hin­zu, weil der Strom natür­lich auch irgend­wie dort­hin muss, wo er gebraucht wird.

Nur ein paar Windparks

Wie effek­tiv ist das alles? 2018 kamen den Zah­len der Arbeits­ge­mein­schaft Ener­gie­bi­lan­zen zufol­ge 35 Pro­zent des gesam­ten in Deutsch­land erzeug­ten Brut­to-Stroms aus erneu­er­ba­ren Quel­len, davon gut 17 Pro­zent von Wind­kraft­an­la­gen und 7 Pro­zent aus Foto­vol­ta­ik. Das klingt zunächst mal ganz gut – aller­dings nur, bis einem ein­fällt, dass Strom nur eine von vie­len Ener­gie­for­men ist. Häu­ser wer­den zumeist mit Erd­gas oder Heiz­öl geheizt, Autos fah­ren mit Ben­zin oder Die­sel, und in der Indus­trie braucht man neben Strom auch Erd­gas und wei­te­re Brenn­stof­fe, um Pro­zess­wär­me zu erzeu­gen und ande­re Auf­ga­ben zu erle­di­gen. Wenn man alles zusam­men­zählt, kommt man zu dem depri­mie­ren­den Ergeb­nis, dass laut Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft 2017 (die genau­en Daten für 2018 feh­len noch) der Anteil von Wind- und Solar­strom zusam­men­ge­rech­net beschä­mend gerin­ge 4 Pro­zent des Gesamt-Pri­mär­ener­gie­ver­brauchs betrug, wäh­rend 80 Pro­zent wei­ter­hin durch fos­si­le Brenn­stof­fe erzeugt wurden.

Als ich das gele­sen habe, muss­te ich mich erst mal set­zen. Der gan­ze WKA-Wald, der hier um das Dorf her­um ent­stan­den ist, die gan­zen Solar­parks, mit denen man in Süd­deutsch­land noch die letz­te Schaf­wei­de bebaut hat, und dann ein der­art bla­ma­bles Ergeb­nis …?!? Und es kommt noch schlim­mer: Wenn man, was ja der neu­es­te Plan der Regie­rung zu sein scheint, das gesam­te Land bis 2050 »kli­ma­neu­tral« machen möch­te, müs­sen die kli­ma­wirk­sa­men 80 Pro­zent ent­we­der abge­schafft oder durch irgend­et­was ande­res ersetzt wer­den. Was könn­te das sein? Sie­ben Pro­zent des Brut­to­stroms wer­den mit Hil­fe von Bio­gas erzeugt, ein knap­pes Pro­zent der Pri­mär­ener­gie stammt aus Bio­sprit. Für bei­de Ener­gie­for­men zusam­men wer­den aller­dings bereits 20 Pro­zent des deut­schen Acker­lands ver­wen­det, sodass nach oben wohl nicht mehr all­zu viel Luft ist. Irgend­et­was wol­len wir ja auch noch essen, und noch mehr Import von Bio­sprit aus Palm­öl könn­te das end­gül­ti­ge Ende des tro­pi­schen Regen­walds bedeu­ten … Als nächs­tes wür­de einem dem­entspre­chend der ein­hei­mi­sche Wald ein­fal­len. Aber hier wer­den bereits 87 % des jähr­lich nach­wach­sen­den Roh­hol­zes für ande­re Zwe­cke genutzt (Bau­holz, Möbel, Brenn­holz für den Wohn­zim­mer­ka­min usw.), es ist also so gut wie über­haupt kein Aus­bau­po­ten­zi­al mehr vor­han­den. Zudem ist ein Trans­port von Holz von vie­len ver­schie­de­nen Stand­or­ten zu einem zen­tra­len Kraft­werk öko­no­misch nicht beson­ders sinn­voll; bereits bei Braun­koh­le, die einen etwas höhe­ren Heiz­wert auf­weist, wer­den ja die Kraft­wer­ke mög­lichst direkt neben den Gru­ben gebaut, um die Trans­port­kos­ten zu mini­mie­ren. Eben­so wenig darf man auf einen Aus­bau der Was­ser­kraft hof­fen: Laut Umwelt-Bun­des­amt hat auch die­se Art der Ener­gie­er­zeu­gung ihr Poten­zi­al wei­test­ge­hend aus­ge­schöpft. Und ernst­haft – woll­ten wir wirk­lich Rhein, Donau und Elbe durch Stau­stu­fen mit Lauf­was­ser­kraft­wer­ken so kana­li­sie­ren, wie es im 20. Jahr­hun­dert mit der Weser gesche­hen ist, um den Preis, hin­ter­her öko­lo­gisch tote Flüs­se zu haben …?

Blei­ben Wind und Son­ne. Und eine ein­fa­che Kopf­re­chen­auf­ga­be: Wenn momen­tan 4 Pro­zent der Pri­mär­ener­gie aus die­sen bei­den Quel­len stam­men und wei­te­re 86 Pro­zent dadurch ersetzt wer­den sol­len (die zusätz­lich nöti­gen 6 Pro­zent stam­men von den still­zu­le­gen­den Kern­kraft­wer­ken), um wel­chen Fak­tor müss­te die Zahl der Wind­rä­der und Solar­an­la­gen dann stei­gen …? Wie vie­le Groß-Strom­spei­cher und Was­ser­stoff­an­la­gen bräuch­te man, um die Schwan­kun­gen von Wind und Son­ne aus­zu­glei­chen? Und wie sähe nach­her die Umge­bung unse­res klei­nen, beschau­li­chen Dor­fes aus? Oder bes­ser gesagt, wie sähe dann das gan­ze Land aus? Man hät­te es zer­stört, um es zu retten.

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Für einen vier­ten – und letz­ten – Aspekt muss ich noch­mal auf mei­ne ein­gangs erwähn­ten Fern­rei­sen zurück­kom­men. Eini­ge davon führ­ten mich im Abstand von jeweils meh­re­ren Jah­ren nach Süd­ost­asi­en, und ich hat­te Gele­gen­heit, vor Ort ein anschau­li­ches Bild davon zu gewin­nen, was »wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung« bedeu­ten kann. Ich den­ke da ins­be­son­de­re an eine Insel im süd­chi­ne­si­schen Meer, die bei Back­pa­ckern damals recht beliebt war, weil sie dank des güns­ti­gen Wech­sel­kur­ses auch für klei­nes Geld ein para­die­sisch-tro­pi­sches Feri­en­er­leb­nis ermög­lich­te. Bei mei­nem ers­ten ers­ten Besuch, das muss 1993 gewe­sen sein, kamen wir in einer Stel­zen­hüt­te mit Palm­blatt­dach unter, die mei­ner Erin­ne­rung nach den Gegen­wert von unge­fähr 5 US-Dol­lar die Nacht kos­te­te. Auch der Besit­zer der Hüt­ten­an­la­ge, ein Thai mit chi­ne­si­schen Wur­zeln, wohn­te mit sei­ner Fami­lie unter ähn­li­chen Umstän­den. Eigent­lich han­del­te es sich um einen alten Kokos­pal­men­hain, und er hat­te sich nicht die Mühe gemacht, die Bäu­me zu fäl­len, sodass es den gan­zen Tag über schön schat­tig war. Die Rezep­ti­on bestand aus einem Fens­ter mit Klapp­la­den, an dem man auch Bestel­lun­gen für das zuge­hö­ri­ge Restau­rant auf­ge­ben sowie Geträn­ke und Snacks kau­fen konn­te. Man hat­te nicht das Gefühl, dass die Besit­zer­fa­mi­lie sich tot­ar­bei­te­te, und wir Tou­ris­ten übten uns in Ent­schleu­ni­gung und tro­pi­scher Los­ge­löst­heit vom Rum­mel zu Hau­se in Euro­pa oder Nord­ame­ri­ka. Was soll­te sich an die­sem zeit­lo­sen Ort jemals ändern …?

In den 1990ern sehr gemütlich

Wie man sich täu­schen kann. Zwei Jah­re spä­ter waren die Pal­men im öst­li­chen Teil des Gelän­des ver­schwun­den und eine Rei­he von weiß ver­putz­ten Bun­ga­lows an ihre Stel­le getre­ten. Noch­mal fünf Jah­re spä­ter habe ich dort die ers­te Fas­sung von Wolfs­stadt geschrie­ben, und jetzt gab es nur noch Bun­ga­lows und ein aus Beton errich­te­tes neu­es Restau­rant direkt am Meer. Der Sohn des Besit­zers war erwach­sen gewor­den und hat­te eine hüb­sche Papa­ya-Ver­käu­fe­rin gehei­ra­tet, die aus dem Nor­den auf die Insel gekom­men war. Er fuhr einen nigel­na­gel­neu­en BMW und hat­te ziem­li­ches Über­ge­wicht; die Zahl der Pal­men war hin­ge­gen deut­lich zurück­ge­gan­gen. Ein Jahr spä­ter war das Restau­rant einer Sturm­flut zum Opfer gefal­len, wur­de aber gera­de viel grö­ßer und schö­ner neu errich­tet. Und als ich vor kur­zem im Inter­net nach­ge­schaut habe, was aus der Ecke so gewor­den ist, muss­te ich eini­ger­ma­ßen schlu­cken: Am Ort des gemüt­li­chen Kokos­pal­men­hains mit Stel­zen­hüt­ten macht sich jetzt ein 5‑S­ter­ne-Beach-Resort mit Innen­ar­chi­tek­tur und Pri­vat­pool-Bun­ga­lows breit, in denen eine Über­nach­tung mehr als hun­dert­mal so viel kos­tet wie damals.

Die Anla­ge wird mitt­ler­wei­le von einem inter­na­tio­na­len Hotel­kon­zern betrie­ben, aber man macht es sich all­zu leicht, wenn man das Gesche­hen ein­fach dem bösen west­li­chen Kapi­ta­lis­mus anlas­tet: Der jet­zi­ge Zustand ist ja nur der logi­sche End­punkt einer Ent­wick­lung, die bereits unter den ein­hei­mi­schen Besit­zern begon­nen hat. Die Wahr­heit dürf­te viel­mehr dar­in bestehen, dass die­se Men­schen der Ver­su­chung, zu Homo colos­sus zu wer­den, eben­so wenig wider­ste­hen kön­nen wie wir. Anders ist wohl nicht zu erklä­ren, war­um etwa die Regie­rung von Ban­gla­desch gera­de dabei ist, in genau jenem Gan­ges-Del­ta, das bei einem Anstieg des Mee­res­spie­gels als ers­tes über­flu­tet wür­de, ein rie­si­ges Koh­le­kraft­werk zu bau­en. Oder war­um in Indi­en für die nächs­ten 15 Jah­re der Bau von 100 neu­en Flug­hä­fen geplant ist. Oder war­um chi­ne­si­sche Tou­ris­ten mitt­ler­wei­le ein Fünf­tel der welt­wei­ten Tou­ris­mus­aus­ga­ben täti­gen. Wäh­rend wir hier­zu­lan­de über das Abschal­ten von 45 Giga­watt Koh­le­strom strei­ten, wer­den welt­weit 399 Giga­watt an neu­en Koh­le­kraft­wer­ken gebaut. Wol­len wir es den betref­fen­den Län­dern ver­bie­ten, weil wir selbst schon so viel CO2 pro­du­ziert haben …?

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Um es noch­mal zusam­men­zu­fas­sen: Homo colos­sus müss­te, um den von ihm ver­ur­sach­ten Kli­ma­wan­del zu stop­pen, ent­we­der auf­ge­ben und in die 100-Watt-Welt sei­ner Vor­fah­ren zurück­keh­ren oder einen neu­en Weg fin­den, sei­ne Maschi­nen anzu­trei­ben. Momen­tan sind all unse­re Anstren­gun­gen auf das zwei­te Ziel gerich­tet, aber es zeich­net sich schon ab, dass der dabei ver­folg­te Weg hoff­nungs­los inad­äquat ist. Zudem wird jeder Fort­schritt an Dekar­bo­ni­sie­rung, der durch den Ein­satz rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien oder per­sön­li­chen Ver­zicht ent­steht, durch den Wunsch der rest­li­chen Welt, mög­lichst rasch unse­rem Vor­bild zu fol­gen, wie­der zunich­te gemacht.

Was also tun? Zunächst mal: Ruhe bewah­ren. Der Welt­un­ter­gang wur­de in den letz­ten Jahr­zehn­ten schon ziem­lich oft ange­kün­digt, um dann doch nicht ein­zu­tre­ten. Ins­be­son­de­re Inter­net­mel­dun­gen des Kali­bers »Wenn wir nicht inner­halb von10 Jah­ren kein CO2 mehr aus­sto­ßen, läuft die glo­ba­le Erwär­mung völ­lig aus dem Ruder und die Erde ist 2050 unbe­wohn­bar« sind mit äußers­ter Vor­sicht zu genie­ßen. Ob die für die jewei­li­ge Pro­gno­se ver­wen­de­te Modell­rech­nung wirk­lich stimmt, wer­den wir erst in ein paar Jahr­zehn­ten sicher wis­sen. Trotz­dem soll­te man natür­lich nicht die Hän­de in den Schoß legen – dass die Pro­gno­sen kom­plett dane­ben­lie­gen, kann man eben­so wenig bewei­sen wie ihre hun­dert­pro­zen­ti­ge Rich­tig­keit. Zudem ist es mit­tel- bis lang­fris­tig sinn­voll, sich von den fos­si­len Brenn­stof­fen zu ver­ab­schie­den, schließ­lich wer­den sie nicht ewig rei­chen. Dafür hät­te ich einen Vor­schlag: Wir geben uns alle mal einen Ruck und akzep­tie­ren, dass Flug­rei­sen, gro­ße Autos, Kreuz­fahr­ten, Fleisch­kon­sum und über­haupt alle Nicht-Lebens­not­wen­dig­kei­ten besteu­ert wer­den, dass es quietscht (womit ich mei­ne: viel stär­ker, als es momen­tan Robert Habeck vor­schwebt). Das hat nichts mit Aske­se zu tun, denn das dadurch ein­ge­nom­me­ne Geld muss in die Grund­la­gen­for­schung gesteckt wer­den, um neue Quel­len bil­li­ger, hoch­kon­zen­trier­ter Ener­gie zu erschlie­ßen: Kern­fu­si­on, hoch­ef­fi­zi­en­te Was­ser­stoff-Elek­tro­ly­seu­re, was auch immer. Man müss­te zwar den Gür­tel enger schnal­len, hät­te aber die Aus­sicht, dass sich als Beloh­nung ein neu­er Weg auf­tut, unse­re High­tech-Welt anzu­trei­ben. Einer, dem der Rest der Welt dann auch wie­der bereit­wil­li­ger folgt als unse­rer chao­ti­schen Wind- und Solar­park-Bau­wut. Das wäre es doch wert, oder?

In die­sem Zusam­men­hang lie­ße sich übri­gens erwäh­nen, dass Kern­kraft­wer­ke laut der oben ver­link­ten Stu­die einen Ern­te­fak­tor von nicht weni­ger als 75:1 auf­wei­sen, von daher wären die 520 Mil­li­ar­den Euro, die die Ener­gie­wen­de bis 2025 kos­ten soll, viel­leicht bes­ser dafür aus­ge­ge­ben wor­den, die­se Tech­nik so wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, dass die Anla­gen nicht mehr durch­ge­hen kön­nen, kein Waf­fen­ma­te­ri­al pro­du­zie­ren und den bereits ange­fal­le­nen Atom­müll als Brenn­stoff nut­zen kön­nen. Nur so mei­ne beschei­de­ne Mei­nung, aber zumin­dest kurz­zei­tig scheint das ja auch Gre­ta auf­ge­fal­len zu sein …

Am Golf der Dichter

Das Schö­ne an der Zeit vor dem Inter­net war, dass man noch von Weg abkom­men konn­te. Neh­men wir bei­spiels­wei­se Pfings­ten 1987 – ich hat­te aus irgend­ei­nem Grund, der mir ent­fal­len ist, in Mün­chen ein Phy­sik­stu­di­um auf­ge­nom­men, und muss­te nun eine grö­ße­re Zahl von Ver­suchs­pro­to­kol­len aus­ar­bei­ten, um für die zuge­hö­ri­ge  Lehr­ver­an­stal­tung einen Schein zu bekom­men. Ich glau­be, bereits vor­han­de­ne Pro­to­kol­le aus den vor­an­ge­gan­ge­nen Semes­tern spiel­ten dabei eine nicht uner­heb­li­che Rol­le (schum­meln konn­te man auch ohne Goog­le), aber dar­auf woll­te ich jetzt eigent­lich nicht hinaus.

Ent­schei­dend ist, dass ich für ein paar Tage nach Ita­li­en her­un­ter­tramp­te, um die läs­ti­ge Auf­ga­be wenigs­tens in ange­neh­mer Umge­bung hin­ter mich zu brin­gen. Dabei spiel­te auch eine gewis­se Kath­rin eine Rol­le – ich glau­be, sie stu­dier­te Son­der­päd­ago­gik –, die mit einer Freun­din gera­de süd­lich der Alpen unter­wegs war und über die Fei­er­ta­ge eine Jugend­her­ber­ge süd­lich von La Spe­zia ansteu­ern woll­te. Ich rech­ne­te mir einen gewis­sen Über­rum­pe­lungs­ef­fekt aus, wenn ich nun unan­ge­kün­digt in die­ser Jugend­her­ber­ge auf­tau­chen wür­de, um mei­ne Chan­cen bei der jun­gen Dame zu erhö­hen, und ach­te­te beim Tram­pen dar­auf, dass die Mit­fahr­ge­le­gen­hei­ten in die rich­ti­ge Rich­tung gingen.

Lei­der hat­te ich ver­ges­sen, wie der Ort genau hieß, in dem sich das Ziel­ob­jekt befand. Heu­te wäre das natür­lich kein Pro­blem – man geht auf die Web­site des inter­na­tio­na­len Jugend­her­bergs­ver­bands und guckt kurz nach. Oder man steu­ert La Spe­zia in der Kar­ten-App an und schaut, ob man süd­lich davon einen ent­spre­chen­den Ort fin­det. (Es han­del­te sich übri­gens um Mari­na di Mas­sa.) Aber 1987? Hät­te ich viel­leicht extra zu Hugen­du­bel fah­ren sol­len, um im Regal mit den Rei­se­füh­rern die Adres­se zu fin­den? Teu­res Geld für eine Kar­te aus­ge­ben? Ach was, ein­fach mal drauf­los, in La Spe­zia wis­sen sie schon Bescheid …

Wuss­ten sie lei­der nicht. Die Dame im dor­ti­gen Tou­ris­mus-Büro offen­bar­te beim The­ma »ostel­li del­la gio­ven­tù« eine boden­los tie­fe Wis­sens­lü­cke und konn­te sich nur düs­ter erin­nern, irgend­wann mal etwas von einer ent­spre­chen­den Ein­rich­tung in Leri­ci gehört zu haben, einem alten Fischer­nest am Süd­ende des Gol­fes von La Spe­zia, dort soll­te ich mich doch am bes­ten selbst umschau­en. Immer­hin konn­te sie mir sagen, wel­che Bus­li­nie ich dafür neh­men muss­te, also mach­te ich mich auf den Weg.

Und dann – na ja, mei­ne ers­ten Ein­drü­cke habe ich spä­ter so beschrieben:

Gott, er lieb­te das…! Der Bus don­ner­te im Kami­ka­ze-Tem­po die engen Ser­pen­ti­nen zum Meer hin­un­ter, und wenn man dabei die Ori­en­tie­rung behielt, konn­te man die­ses unglaub­li­che Blau zwi­schen den Bäu­men hin­durch­schim­mern sehen: Tür­kis, Him­mels­far­ben, Aqua­ma­rin, tie­fes Dun­kel wie Samt, ver­mischt mit dem Umbra der Fel­sen und dem Ocker der Sand­bän­ke, unter­bro­chen vom schat­ti­gen Grün der Zypres­sen und Pini­en, oran­ge­nen, gel­ben und roten Fle­cken; Mau­er­stü­cke, Zie­gel. Ein rich­ti­ges Postkartenglück.

Das Städt­chen hieß Leri­ci und lag recht male­risch um eine klei­ne Bucht am Süd­ende der ita­lie­ni­schen Rivie­ra her­um ver­teilt. Einer von die­sen bei­den eng­li­schen Hel­den der Roman­tik, war es Byron oder Shel­ley, soll­te hier vor Urzei­ten beim Baden im Meer ertrun­ken sein, also war es nicht beson­ders über­ra­schend, dass jedes zwei­te Hotel Shel­ley, Pal­ma di Byron oder Byron di Shel­ley hieß, ganz abge­se­hen von den Mas­sen ält­li­cher Eng­län­de­rin­nen, die anschei­nend einen guten Teil ihrer Bil­dungs­rei­se durch das Land, wo die Zitro­nen blüh­ten, damit ver­brach­ten, hier die Ufer­pro­me­na­de auf- und abzu­lau­fen. Wahr­schein­lich hoff­ten sie dar­auf, auf mys­ti­sche Wei­se einen Hauch der See­le des ver­stor­be­nen Dich­ters auf­zu­schnap­pen; die­se aber schweb­te gelang­weilt über den Was­sern und igno­rier­te sie.

Die Sze­ne­rie war so, wie man sich’s wünsch­te. An den bei­den Ecken der Bucht stan­den ein paar burg­ar­ti­ge Über­res­te von alten, genue­si­schen Fes­tungs­an­la­gen, im Hafen schau­kel­ten fried­lich diver­se Yach­ten und Segel­boo­te vor sich hin, die Häu­ser hat­ten alle so einen leicht ange­gilb­ten, süd­li­chen Charme, gleich dahin­ter stie­gen die dicht­be­wach­se­nen Fel­sen auf – und über­haupt, wenn er je im Leben von Ita­li­en geträumt hat­te, muss­te das genau­so aus­ge­se­hen haben wie Lerici.

Mit ande­ren Wor­ten: Es war Lie­be auf den ers­ten Blick. Wie ich spä­ter her­aus­fand, hat­te die Jugend­her­ber­ge in der alten Burg bereits Ende der 1960er zuge­macht, jetzt befand sich ein Muse­um für Palä­on­to­lo­gie in dem Gemäu­er. Aber das war mir egal. Ich such­te mir ein Hotel­zim­mer, das ich mir gera­de noch so leis­ten konn­te, und schweb­te durch die Gas­sen wie von Elfen ver­zau­bert. Die­se Far­ben! Die­ser Duft! Die­se Men­schen! Sogar Kath­rin ver­gaß ich umge­hend und lern­te dafür Gian­na ken­nen, mit der ich ein paar­mal die Mole auf- und ablief, immer zwi­schen dem Blick auf das wei­te Meer und dem in ihre reh­brau­nen Augen hin und her­pen­delnd. Lei­der beherrsch­te ich die Lan­des­spra­che nicht und sie nur die­se, sodass wir nur non­ver­bal kom­mu­ni­zie­ren konn­ten. Aber wird Spra­che nicht ohne­hin überbewertet …?

Leri­ci in den frü­hen 1960ern

Wie man sich den­ken kann, war ich spä­ter noch öfter in dem klei­nen Städt­chen, das außer bei eng­li­schen Shel­ley-Fans nie den Sta­tus des Geheim­tipps ver­lo­ren hat. Die typi­schen deut­schen Tou­ris­ten wan­dern lie­ber auf der ande­ren Sei­te des »Gol­fo dei Poei­ti« in den Cin­que Terre, weil man sich da so hübsch an der uri­gen Armut der Oli­ven­bau­ern wei­den kann, und wer ligu­ri­sche Fischer­dorfro­man­tik pur will, fährt eben nach Portofino.

Ich nicht. Im Lau­fe der Jah­re erfuhr ich, dass die bewuss­te Jugend­her­ber­ge eigent­lich ein Künst­ler­treff gewe­sen war, in dem sich in den 1950ern Heming­way und ande­re Grö­ßen die Klin­ke in die Hand gege­ben hat­ten. Die Kas­tel­lanin und Her­bergs­mut­ter Mad­da­le­na Di Car­lo, eine etwas exzen­tri­sche alte Dame, war bekannt dafür, nachts die Kat­zen von Leri­ci mit den Spa­get­ti­res­ten des Abend­essens zu füt­tern, ihr Zim­mer war ein Sam­mel­su­ri­um von Kunst­wer­ken und Kit­sch­ob­jek­ten, die ihr Gäs­te aus aller Welt geschickt hat­ten, sie stieg sogar gele­gent­lich auf den Berg­fried und bete­te zu den Wind­göt­tern. Alle Welt nann­te sie »Regi­na dei vag­abo­ni«, die Köni­gin der Vaga­bun­den. Viel­leicht kann­te sie Rudolf Jacobs, einen aus Bre­men stam­men­den Archi­tek­ten, der im 2. Welt­krieg als Offi­zier für die Fes­tungs­bau­ten im Golf von La Spe­zia zustän­dig war und in Leri­ci wohn­te. Als er die Gräu­el­ta­ten von SS und Mus­so­li­nis Schwarz­hem­den nicht mehr ertrug, lief er zu den ita­lie­ni­schen Par­ti­sa­nen über und kam bei einer Akti­on im nahen Sarzana ums Leben. Noch heu­te ver­eh­ren ihn die Ita­lie­ner als Helden.

Ansons­ten gibt es gar nicht so viel berich­ten aus die­ser Ecke der Welt. Der Hafen war vor lan­ger Zeit im Mit­tel­al­ter von einer gewis­sen Bedeu­tung, weil sich hier die Genue­sen mit den Pisanern strit­ten und die hin­ter den Ber­gen lie­gen­de Luni­gia­na einen Zugang zum Meer brauch­te. Dan­te hat die Burg mal irgend­wo erwähnt, Arnold Böck­lin leb­te für kur­ze Zeit in der Gegend, genau­so D.H. Law­rence und Emma Orc­zy. In der Lite­ra­tur spielt der Ort kei­ne gro­ße Rolle.

Ich fand, es war mal Zeit, das zu ändern …

Die weiße Stadt, viele Jahre später

Es ist immer ein biss­chen gefähr­lich, nach so lan­ger Zeit an einen Ort zurück­zu­keh­ren, der im eige­nen Leben eine, sagen wir mal, nicht ganz unbe­deu­ten­de Rol­le gespielt hat. Der ers­te Anfall von sau­da­de erfasst mich beim Blick aus dem Fens­ter der Unter­kunft, der vom Gra­ça-Hügel nach Süd­os­ten hin­un­ter zum Fluss geht. Ist da am Ufer nicht irgend­wo San­ta Apolô­nia, wo ich als jun­ger Spund mit einem alten Bun­des­wehr­ruck­sack auf dem Rücken aus dem Zug von Madrid gestol­pert bin und zum ers­ten Mal die Luft am West­rand Euro­pas geschnup­pert habe? Und ist hier in Gra­ça nicht irgend­wo das muf­fi­ge Sechs­bett­zim­mer, in das mich die zahn­lo­se Alte geschleppt hat, der ich vor dem Bahn­hof in die Fän­ge gelau­fen war? Das Leben vor dem Inter­net war weni­ger orga­ni­siert, dafür in der Regel spannender …

Spä­ter gehen wir zum nächst­ge­le­ge­nen Mira­dou­ro, und es kommt noch schlim­mer. Da hin­ten links die Gegend, in der mir mei­ne zukünf­ti­ge Ex-Frau gezeigt hat, was »um café e um baga­ço« bedeu­tet. Wei­ter rechts, in der Unter­stadt, die Alt­bau­woh­nung von José, dem schwu­len Rechts­an­walt, der mir (zu Recht) pro­phe­zei­te, dass ich mich irgend­wann wie­der mit mei­nen Eltern aus­söh­nen wür­de. Noch wei­ter rechts, schon oben im Chia­do, die Pra­ça Camões, war da nicht die Vor­stel­lung der Zir­kus­schu­le, mit der Pau­la und Fer­nan­da irgend­wie zu tun hat­ten? Spuck­te da nicht irgend­wer Feu­er? Fing nicht mein Freund Chris­ti­an sel­bi­ges für eine der Lusi­ta­nie­rin­nen, als sie uns spä­ter in Deutsch­land besuchten?

Gleich dane­ben das »Pal­pi­ta-me«, in dem João Osó­rio (der Name muss mal an die Öffent­lich­keit) mir einen der pein­lichs­ten Momen­te mei­nes Lebens ver­schaff­te. Wei­ter­le­sen

Neulich im dicken, fetten B

Ich weiß gar nicht so genau, wor­an es liegt. Viel­leicht an dem Schwall aus Urin und Erbro­che­nem, der einem aus dem U‑Bahn-Auf­gang an der Möckern­brü­cke ent­ge­gen­ge­weht kommt. Oder an den Halb­star­ken, die laut­stark und aggres­siv auf Ara­bisch durch den Wag­gon pöbeln und sich dabei kei­nen Deut um die ande­ren Fahr­gäs­te sche­ren. An den jun­gen Tür­kin­nen auf dem Kott­bus­ser Damm, die Kopf­tü­cher und knö­chel­lan­ge Män­tel tra­gen und mit ihren Kin­dern wie gewohnt in der Mut­ter­spra­che Prä­si­dent Erdoğans reden. An den Pro­le­ten in Jog­ging­an­zü­gen, die am hel­lich­ten Tag ihre Bier­fla­schen auf­ma­chen und einen aus wäss­rig-grau­en Augen lau­ernd anstar­ren, jeder­zeit bereit zur Explo­si­on. An die obli­ga­to­ri­schen Matrat­zen, die selbst über die Oster­fei­er­ta­ge die Bür­ger­stei­ge voll­mül­len. An der unbe­zähm­ba­ren Lust der Bewoh­ner die­ser Stadt, auch die schöns­te Ein­gangs­tür und den glän­zends­ten neu­en Haus­an­strich ohne Umschwei­fe mit häss­li­chem Geschreib­sel zu über­zie­hen. An dem blei­er­nen Him­mel, der einen selbst bei früh­lings­haf­ter Wär­me in die Depres­si­on treibt.

In Wirk­lich­keit ist es wahr­schein­lich ent­täusch­te Lie­be. Als ich vor Jahr und Tag das schreck­lich rei­che und auf­ge­räum­te Mün­chen ver­ließ, um mei­ne Zel­te an der Spree auf­zu­schla­gen, gab es das alles auch schon, aber es hat mich eigent­lich nicht wei­ter gestört. Im Gegen­teil, schien es sich doch um typi­sche Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten einer ech­ten Metro­po­le zu han­deln, allen­falls um Geburts­we­hen einer groß­ar­ti­gen, neu­en Zeit, die hier her­auf­däm­mer­te und mir einen Logen­platz im gro­ßen Thea­ter der Welt­ge­schich­te bie­ten wür­de. All die jun­gen Leu­te aus aller Her­ren Län­der, all der fri­sche Wind nach vier Jahr­zehn­ten sozia­lis­ti­schem Mief! Die gan­ze Stadt war irgend­wie auf Anfang, und man konn­te davon träu­men, dass sie an ihre eige­nen gro­ßen Zei­ten in den 1920ern wie­der anknüp­fen wür­de, an das Paris der Lost Genera­ti­on, Sina­tras New York oder Swin­ging London.

Wie albern einem das heu­te erscheint … Wei­ter­le­sen

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