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Kategorie: Geschichte (Seite 4 von 6)

Eine Kerze für Doktor Fabian

Eines mei­ner Lieb­lings­bü­cher spielt in den spä­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Repu­blik. Sein Held (oder viel­mehr Anti-Held) ist ein pro­mo­vier­ter Ger­ma­nist, der sich in der Welt­wirt­schafts­kri­se als Wer­be­tex­ter durch­schlägt, bis er auch die­sen Job ver­liert und der Staat ihm »eine klei­ne Pen­si­on bewil­ligt«. Ziel­los mäan­dert er durch ein Ber­lin, in dem die Poli­zei auf strei­ken­de Arbei­ter ein­prü­gelt und des­sen Bür­ger­tum gera­de­zu sehn­süch­tig dar­auf war­tet, end­lich von sei­ner eige­nen mora­li­schen Ver­kom­men­heit erlöst zu wer­den. Was nicht heißt, dass die unte­ren Schich­ten in Erich Käs­t­ners 1931 erschie­ne­nen Roman bes­ser davonkommen:

Soweit die­se rie­si­ge Stadt aus Stein besteht, ist sie fast noch wie einst. Hin­sicht­lich der Bewoh­ner gleicht sie längst einem Irren­haus. Im Osten resi­diert das Ver­bre­chen, im Nor­den das Elend, im Wes­ten die Unzucht, und in allen Him­mels­rich­tun­gen wohnt der Untergang.

Beim Besuch einer Zei­tungs­re­dak­ti­on wird Dr. phil. Jakob Fabi­an unge­wollt Zeu­ge einer frü­hen Ver­si­on der »Lügen­pres­se«:

»Aber«, sag­te Herr Irr­gang betre­ten, »nun sind doch in der Spal­te fünf Zei­len frei.«

»Was tut man in einem so außer­ge­wöhn­li­chen Fall?« frag­te Münzer.

»Man füllt die Spal­te«, erklär­te der Volontär.

Mün­zer nick­te. »Steht nichts im Satz?« Er wühl­te in den Bürs­ten­ab­zü­gen. »Aus­ver­kauft«, erklär­te er. »Sau­re Gur­ken­zeit.« Dann prü­fe er die Mel­dun­gen, die er eben bei­sei­te gelegt hat­te, und schüt­tel­te den Kopf.

»Viel­leicht kommt noch etwas Brauch­ba­res her­ein«, schlug der jun­ge Mann vor.

»Sie hät­ten Säu­len­hei­li­ger wer­den sol­len«, sag­te Mün­zer. »Oder Unter­su­chungs­ge­fan­ge­ner, oder sonst ein Mensch mit viel Zeit. Wenn man eine Notiz braucht und kei­ne hat, erfin­det man sie. Pas­sen Sie mal auf!«

Am Ende sind dann in Kal­kut­ta vier­zehn Men­schen bei Stra­ßen­kämp­fen zwi­schen Mus­li­men und Hin­dus gestor­ben, wer woll­te das damals schon so genau nach­prü­fen …? Fabi­an erhält ein Job­an­ge­bot als Zer­be­rus eines Män­ner­bor­dells, lehnt dan­kend ab, irr­lich­tert durch Amü­sier­hal­len und Künst­ler­ate­liers und lernt schließ­lich eine jun­ge Dame ken­nen und lie­ben, die dann aber doch lie­ber Film­kar­rie­re im Bett eines Vor­gän­gers von Har­vey Wein­stein macht. Am Ende begeht auch noch sein bes­ter Freund Selbst­mord, mit dem zusam­men er kurz vor­her noch am Mär­ki­schen Muse­um einen Kom­mu­nis­ten und einen Nazi davon abge­hal­ten hat, sich gegen­sei­tig tot­zu­schie­ßen. Die Aus­sich­ten sind nicht gera­de rosig:

[…] nächs­tens wird ein gigan­ti­scher Kampf ein­set­zen, erst um die But­ter aufs Brot, und spä­ter ums Plüsch­so­fa; die einen wol­len es behal­ten, die ande­ren wol­len es erobern, und sie wer­den sich wie die Tita­nen ohr­fei­gen, und sie wer­den schließ­lich das Sofa zer­ha­cken, damit es kei­ner kriegt. Unter den Anfüh­rern wer­den auf allen Sei­ten Markt­schrei­er ste­hen, die stol­ze Paro­len erfin­den und die das eige­ne Gebrüll besof­fen macht. Viel­leicht wer­den sogar zwei oder drei wirk­li­che Män­ner dar­un­ter sein. Soll­ten sie zwei­mal hin­ter­ein­an­der die Wahr­heit sagen, wird man sie aufhängen.

War­um mir das gera­de durch den Kopf geht? Viel­leicht des­halb. Oder des­halb (die­ses Mal ohne mich). Oder des­halb. Oder des­halb. Oder des­halb. Oder des­halb. Oder des­halb. Oder des­halb. Auf jeden Fall des­halb. Wei­te­re Ein­zel­hei­ten ent­neh­men Sie bit­te Ihrem bevor­zug­ten Internet-Nachrichtenportal.

Frü­her hieß es immer, ein Zusam­men­bruch der Demo­kra­tie wie in der Wei­ma­rer Repu­blik sei heu­te nicht mög­lich, weil der ent­schei­den­de nega­ti­ve Ein­fluss der Welt­wirt­schafts­kri­se feh­le. Wie mir scheint, krie­gen wir das auch ohne hin.

Fabian - Cover 1931

Die Geheimarmeen des Kalten Kriegs

Es ist noch gar nicht so lan­ge her, dass sich in Mit­tel­eu­ro­pa zwei bis an die Zäh­ne bewaff­ne­te Macht­blö­cke gegen­über­stan­den und Deutsch­land durch eine schwer bewach­te Gren­ze geteilt war, »hin­ter der Sol­da­ten, Pan­zer und Atom­bom­ber dar­auf lau­ern, was wohl die Sol­da­ten, Pan­zer und Atom­bom­ber auf die­ser Sei­te des Sta­chel­drahts im Schil­de füh­ren«, wie es an einer Stel­le von Das Schat­ten­corps heißt.

By U.S. Army pho­toPho­to Credit: USAMHI [Public domain], via Wiki­me­dia Commons

Nicht alle die­se Sol­da­ten kämpf­ten mit offe­nem Visier. Der eigent­li­che »Kal­te Krieg« wur­de von Geheim­agen­ten und Diplo­ma­ten geführt, und irgend­wo in den zwie­lich­ti­gen Sei­ten­stra­ßen der geschicht­li­chen Über­lie­fe­rung fin­det man auch noch den einen oder ande­ren Hau­fen ver­we­ge­ner Gestal­ten, die auf kom­mu­nis­ti­scher eben­so wie auf west­li­cher Sei­te als Kom­man­do­trup­pen im Ver­bor­ge­nen dienten.

Erst vor ein paar Jah­ren etwa kam her­aus, dass 1949 ein gewis­ser Oberst Schnez (er soll­te spä­ter Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr wer­den) im Süd­wes­ten Deutsch­lands mit Unter­stüt­zung der Ame­ri­ka­ner unter dem Tarn­na­men »Selbst­hil­fe« eine gehei­me Trup­pe von 2000 ehe­ma­li­gen Wehr­machts- und Waf­fen-SS-Offi­zie­ren auf­stell­te, die zum Kern einer 40.000 Mann star­ken Armee wer­den soll­te. Man leb­te damals in extre­mer Angst vor einem Über­ra­schungs­an­griff der Sowjet­uni­on, und die kampf­erprob­ten deut­schen Vete­ra­nen soll­ten im Ernst­fall die West­mäch­te unterstützen.

Weni­ger bekannt ist, dass Otto Skor­ze­ny, Idol der NS-Pro­pa­gan­da bis 1945 und der west­eu­ro­päi­schen Neo­na­zis danach, in sei­nem spa­ni­schen Exil ähn­li­che Plä­ne heg­te. Aus den deut­schen und öster­rei­chi­schen Kriegs­ver­bre­chern, die im Fran­co-Staat Unter­schlupf gefun­den hat­ten, soll­te eine »Legión Car­los V« gebil­det wer­den, in der 200.000 Mann als Trup­pen­re­ser­ve für den Kriegs­schau­platz Deutsch­land bereit­ste­hen wür­den. Skor­ze­ny bie­der­te sich mit dem Vor­ha­ben sogar bei Bun­des­kanz­ler Ade­nau­er an, aber letzt­end­lich blieb wohl alles ein Hirngespinst.

Bericht über Skor­ze­ny in einer spa­ni­schen Zei­tung 1958

Nicht im Pla­nungs­sta­di­um ste­cken blie­ben hin­ge­gen die ver­schie­de­nen para­mi­li­tä­ri­schen Orga­ni­sa­tio­nen, die von bei­den Sei­ten heim­lich auf­ge­stellt wur­den, um im Kriegs­fall als Par­ti­sa­nen­ver­bän­de in den vom Feind besetz­ten Gebie­ten ope­rie­ren zu kön­nen (»Stay-behind«). Auf öst­li­cher Sei­te war dies bei­spiels­wei­se die »Grup­pe Ralf Fors­ter«, bei der von 1969 bis 1989 aus­ge­wähl­te Genos­sen der DKP den »Umgang mit Hand­feu­er­waf­fen, Hand­gra­na­ten und Pan­zer­fäus­ten, [den] Umgang und [den] Ein­satz von Brand- und Spreng­mit­teln sowie das laut­lo­se Besei­ti­gen von Geg­nern« auf Trup­pen­übungs­plät­zen in der DDR lern­ten. Im Ernst­fall hät­ten sie Sabo­ta­ge­ak­te gegen Infra­struk­tur- und Bun­des­wehr-Ein­rich­tun­gen aus­ge­führt und die Gegen­sei­te über west­li­che Trup­pen­be­we­gun­gen informiert.

Die West­mäch­te unter­stütz­ten einer­seits anti­kom­mu­nis­ti­sche Akti­vis­ten wie die West-Ber­li­ner »Kampf­grup­pe gegen Unmensch­lich­keit«, die Anschlä­ge in der DDR aus­führ­te und dort ille­ga­le Pro­pa­gan­da betrieb. Ande­rer­seits ver­lie­ßen sie sich wie üblich auf ihre Ver­bin­dun­gen zu Krei­sen ehe­ma­li­ger Wehr­machts­of­fi­zie­re und zum dama­li­gen Neo­na­zi-Unter­grund – wobei es hier natür­lich diver­se Über­schnei­dun­gen gab. Die Ame­ri­ka­ner initi­ier­ten gleich meh­re­re Stay-behind-Net­ze, etwa in West­ber­lin das mit der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len ver­knüpf­te »F‑Netz« oder in Süd­west­deutsch­land das von Oberst a.D. Wal­ter Kopp gelei­te­te »Kiebitz«-Netzwerk. Auch die Fran­zo­sen, die Nie­der­län­der und die Bri­ten unter­hiel­ten ähn­li­che Unter­grund­or­ga­ni­sa­tio­nen in West­deutsch­land, von denen aller­dings weder Name noch Umfang bekannt ist.

Abbil­dung aus einem alten Hand­buch für Guerillakampf

Die größ­te Schat­ten­ar­mee war der »Tech­ni­sche Dienst«, offi­zi­ell eine Unter­grup­pie­rung des rechts­ex­tre­men »Bund Deut­scher Jugend« (BDJ), in Wirk­lich­keit ein Sam­mel­be­cken für ehe­ma­li­ge Wehr­machts- und Waf­fen-SS-Sol­da­ten, die bei den Ame­ri­ka­nern anheu­er­ten, um wei­ter gegen den alten Feind »Bol­sche­wis­mus« kämp­fen zu kön­nen. Die Orga­ni­sa­ti­on flog 1952 auf, als ein BDJ-Funk­tio­när bei der hes­si­schen Poli­zei auf­tauch­te und aus­pack­te. Man hat­te nicht nur im US-Auf­trag einen gehei­men Par­ti­sa­nen­krieg vor­be­rei­tet, son­dern gleich auch noch Schwar­ze Lis­ten ange­legt, auf denen die im Kriegs­fall zu liqui­die­ren­den poli­ti­schen Fein­de wie Her­bert Weh­ner oder der dama­li­ge SPD-Par­tei­chef Erich Ollen­hau­er standen.

Der BDJ wur­de 1953 ver­bo­ten, und ab 1955 über­nahm der aus der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len her­vor­ge­gan­ge­ne Bun­des­nach­rich­ten­dienst die ent­spre­chen­den Akti­vi­tä­ten in West­deutsch­land. Es setz­te eine gewis­se Pro­fes­sio­na­li­sie­rung ein: Die para­mi­li­tä­ri­schen Ein­hei­ten wur­den als Fern­späh­trup­pe der Bun­des­wehr getarnt, und als Stay-behind-Agen­ten vor Ort wur­den unauf­fäl­li­ge Bür­ger aus­ge­wählt, die für den Kriegs­fall mit Funk­ge­rä­ten und aus­ge­stat­tet wur­den und bei­spiels­wei­se mit dem Fall­schirm abge­sprun­ge­ne Agen­ten bei sich auf­ge­nom­men hät­ten. (Das zumin­dest war der Plan – in Wirk­lich­keit wuss­te die Sta­si natür­lich längst Bescheid …)

Heu­te geis­tern all die­se Unter­grund­trup­pen und Kampf­ein­hei­ten unter den Namen »Gla­dio« durch diver­se Ver­schwö­rungs­theo­rien, die wahl­wei­se die »Rote Armee Frak­ti­on« oder die Hin­ter­män­ner des Okto­ber­fest-Atten­tats von ihnen unter­wan­dert sehen. Für die­se Hypo­the­sen sind schlag­kräf­ti­ge Bewei­se bis jetzt aus­ge­blie­ben, aber trotz­dem ist natür­lich die Fra­ge inter­es­sant, was wohl aus den zwie­lich­ti­gen Schat­ten­krie­gern gewor­den ist, die in den frü­hen 1950ern die Sze­ne beherrsch­ten. Eini­ge wer­den zur Bun­des­wehr gegan­gen sein, ande­re zur fran­zö­si­schen Frem­den­le­gi­on, um in Indo­chi­na zu kämp­fen. Wie­der­um ande­re dürf­ten Fami­li­en gegrün­det und sich ins Pri­vat­le­ben zurück­ge­zo­gen haben.

Auf Hans Bark­hu­sen, den Prot­ago­nis­ten von Das Schat­ten­corps, trifft nichts davon zu. Anfang der 1960er vaga­bun­diert er immer noch ruhe­los durch die Hafen­städ­te Nord­deutsch­lands und hat kei­nen Anschluss an das bür­ger­li­che Leben gefun­den. Vor Jah­ren war er Kampf­tau­cher bei der »Kings Ger­man Legi­on«, einer von den Bri­ten in Deutsch­land auf­ge­stell­ten Stay-behind-Trup­pe, die auch in diver­se ande­re Geheim­dienst­ak­ti­vi­tä­ten ver­wi­ckelt war. Als Bark­hu­sen für die Suche nach dem sagen­um­wo­be­nen »Rom­mel-Schatz« ange­heu­ert wird, taucht plötz­lich sein frü­he­rer Agen­ten­füh­rer wie­der auf, sei­ne alten Kame­ra­den schei­nen neu­en Her­ren zu die­nen, und die Ereig­nis­se begin­nen sich zu überschlagen …

 

Wer mehr wis­sen will:

Erich Schmidt-Een­boom, Ulrich Stoll: Die Par­ti­sa­nen der NATO. Stay-Behind-Orga­ni­sa­tio­nen in Deutsch­land 1946–1991, Ber­lin 2015

Nor­bert Juretz­ko: Bedingt dienst­be­reit, Ber­lin 2004

Tho­mas Auer­bach: Ein­satz­kom­man­dos an der unsicht­ba­ren Front: Ter­ror- und Sabo­ta­ge­vor­be­rei­tun­gen des MfS gegen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Ber­lin 1999

Das CIA-Archiv im Inter­net – ein­fach mal nach »Otto Skor­ze­ny« oder »Wal­ter Kopp« suchen (hier ein Über­blick)

Sozialismus oder Atomtod

Wäh­rend im Netz hef­tig gestrit­ten wird, ob der vor­ges­tern ver­stor­be­ne Máxi­mo Líder der letz­te der roman­ti­schen Revo­lu­tio­nä­re war oder ein fie­ser Tyrann, der die Mei­nungs­frei­heit unter­drück­te, Schwu­le und Chris­ten in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger pferch­te und sich poli­ti­scher Geg­ner durch den Ein­satz von Erschie­ßungs­kom­man­dos ent­le­dig­te, soll­te man nicht ver­ges­sen, dass gro­ße Tei­le der Welt, hät­te er sei­nen Wil­len durch­ge­setzt, seit 1962 ver­mut­lich eine ato­mar ver­strahl­te Wüs­te wären.

Damals hat­te die Sowjet­uni­on, wie all­ge­mein bekannt ist, heim­lich begon­nen, nuklea­re Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten auf der Kari­bik­in­sel zu sta­tio­nie­ren. Das war in gewis­ser Wei­se ver­ständ­lich, schließ­lich hat­ten die USA sei­ner­zeit ähn­li­che Waf­fen­sys­te­me in der Tür­kei auf­ge­stellt, und Chruscht­schow woll­te im Prin­zip nichts wei­ter als das stra­te­gi­sche Gleich­ge­wicht wie­der­her­stel­len. Auch von kuba­ni­scher Sei­te aus gese­hen über­wo­gen die Vor­tei­le, hat­te es doch im Vor­jahr die geschei­ter­te Inva­si­on in der Schwei­ne­bucht gege­ben, und die Sta­tio­nie­rung von Atom­waf­fen schien eine wirk­sa­me Abschre­ckung gegen wei­te­re der­ar­ti­ge Ver­su­che von Sei­ten der USA zu bieten.

Natür­lich flog die Sache auf. Die Ame­ri­ka­ner ent­deck­ten die Rake­ten­stel­lun­gen auf U2-Spio­na­ge­flü­gen und reagier­ten mit einer See­blo­cka­de Kubas, die wie­der­um zur gra­vie­rends­ten Kri­se des gesam­ten Kal­ten Krie­ges führ­te. Meh­re­re Tage lang war nicht klar, ob die USA eine mili­tä­ri­sche Inva­si­on der Insel begin­nen wür­den, und auch die sowje­ti­sche Füh­rung ließ zunächst die Schif­fe mit Mili­tär­aus­rüs­tung, die noch auf dem Weg nach Kuba waren, wei­ter Kurs auf die Insel hal­ten. Heu­te wis­sen wir, dass eine sol­che Inva­si­on von Tei­len der ame­ri­ka­ni­schen Regie­rung und des Mili­tärs gefor­dert und nur durch Ken­ne­dys Beson­nen­heit ver­hin­dert wur­de. Wir wis­sen auch, dass es in die­ser extrem ange­spann­ten Lage min­des­tens zwei­mal aus Ver­se­hen bei­na­he zu einem Atom­krieg gekom­men wäre: Ein sowje­ti­sches U‑Boot ohne Funk­kon­takt mit der Ein­satz­lei­tung wur­de durch ame­ri­ka­ni­sche Übungs-Was­ser­bom­ben zum Auf­tau­chen gezwun­gen, und zwei der drei ver­ant­wort­li­chen Offi­zie­re waren dafür, den an Bord befind­li­chen Atom­tor­pe­do los­zu­schi­cken; nur der Flot­til­len­kom­man­dant Was­si­li Alex­an­d­ro­witsch Archip­ow (ein Held der Mensch­heit, um mal pathe­tisch zu wer­den) ver­hin­der­te dies. Unbe­stä­tig­ten Zeu­gen­aus­sa­gen zufol­ge gab es zu glei­chen Zeit in einer ame­ri­ka­ni­schen Rake­ten­stel­lung auf Oki­na­wa einen Fehl­alarm, der fast zum Start der dor­ti­gen Rake­ten geführt hätte.

In die­ser Lage bewies Coman­dan­te Cas­tro, dass er cojo­nes in der Grö­ße min­des­tens der Sier­ra Maes­tra hat­te: In einem Tele­gramm an Chruscht­schow vom 26. Okto­ber for­der­te er die Sowjet­uni­on (ziem­lich ver­klau­su­liert, aber doch deut­lich erkenn­bar) auf, die befürch­te­te US-Inva­si­on Kubas mit einem ato­ma­ren Erst­schlag zu beant­wor­ten: »Por dura y ter­ri­ble que sea la solu­ción, no hab­ría otra.« – »So hart und schreck­lich die Lösung wäre, es gäbe kei­ne ande­re.« (Quel­le) Womit er sich durch­aus im Ein­klang mit vie­len wei­te­ren Kuba­nern und Mit­re­vo­lu­tio­nä­ren wis­sen konnte:

In den Stra­ßen von Havan­na skan­dier­ten begeis­ter­te Men­schen: »Que ven­gan! Que ven­gan!« — »Sol­len sie doch kom­men! Sol­len sie doch kom­men!« Und Che Gue­va­ra schrieb genau­so berauscht: »Es ist das fie­be­rerre­gen­de Bei­spiel eines Vol­kes, das bereit ist, sich im Atom­krieg zu opfern, damit noch sei­ne Asche als Zement die­ne für eine neue Gesell­schaft … Wor­an wir fest­hal­ten ist, dass wir auf dem Weg der Befrei­ung blei­ben müs­sen, selbst wenn er durch einen Atom­krieg Mil­lio­nen Opfer kos­tet, weil wir im Kampf auf Leben und Tod zwi­schen zwei Sys­te­men nichts ande­res den­ken kön­nen als den end­gül­ti­gen Sieg des Sozia­lis­mus oder den Rück­schritt durch den ato­ma­ren Sieg der impe­ria­lis­ti­schen Aggres­si­on.« (Hoff­mann, Bert: Kuba, Mün­chen 2002, S. 77)

Dazu ist es Gott sei Dank nicht gekom­men. Die Rus­sen lieb­ten, wie es in dem schmal­zi­gen Schla­ger von Sting heißt, ihre Kin­der offen­bar genau­so wie wir und lie­ßen sich hin­ter dem Rücken Cas­tros auf einen Kuh­han­del mit den Ame­ri­ka­nern ein, dem­zu­fol­ge die Rake­ten aus Kuba wie­der abge­zo­gen wur­den, wäh­rend Ken­ne­dy zäh­ne­knir­schend das dor­ti­ge kom­mu­nis­ti­sche Regime akzep­tier­te und schließ­lich etwas spä­ter auch die ame­ri­ka­ni­schen Titan-Rake­ten aus der Tür­kei klamm­heim­lich ver­schwin­den ließ.

Was, wenn Chruscht­schow nicht nach­ge­ge­ben hät­te? Irgend­wann hät­te sich Ken­ne­dy nicht mehr gegen die Fal­ken im eige­nen Lager durch­set­zen kön­nen, und eine Inva­si­on Kubas wäre unum­gäng­lich gewor­den. Ein sowje­ti­scher Erst­schlag (damals stan­den 300 rus­si­sche Spreng­köp­fe gegen 5000 ame­ri­ka­ni­sche) hät­te gro­ße Ver­wüs­tun­gen ange­rich­tet, aber die USA hät­ten zwei­fel­los noch genü­gend Feu­er­kraft gehabt, um alles zwi­schen Ost-Ber­lin und Wla­di­wos­tok (und alles zwi­schen Havan­na und Sant­ia­go de Cuba eben­so) in eine ato­mar ver­seuch­te Wüs­te zu ver­wan­deln. Ob die Über­le­ben­den sich dem Sozia­lis­mus zuge­wandt hät­ten, wis­sen wir nicht, aber es kann uns auch egal sein, weil es uns mit hoher Wahr­schein­lich­keit gar nicht geben würde.

In die­sem Sin­ne: Möge er in Frie­den ruhen! (Mit Beto­nung auf »ruhen« …)

Ciao bella

Was man beim Recher­chie­ren so alles fin­det – Unter­schie­de bei der Aneig­nung der anglo-ame­ri­ka­ni­schen Pop­kul­tur Anfang der 1960er in Ita­li­en und Deutsch­land bei­spiels­wei­se. Süd­lich des Bren­ners inte­grier­te man Musik und Film rela­tiv ent­spannt in die ein­hei­mi­sche Lebens­wei­se, und nicht nur Adria­no Cel­en­ta­no sprang leicht­fü­ßig vom Rock’n’Roll zur tra­di­tio­nel­len Ita­lo-Schnul­ze, ohne sich dabei ein Bein zu ver­ren­ken (er war aber auch wirk­lich extrem gelenkig):

Auch die Hoch­kul­tur zeig­te dem Neu­en nicht die kal­te Schul­ter. Der damals immer­hin schon fünf­zig­jäh­ri­ge Avant­gar­de-Film­re­gis­seur Michel­an­ge­lo Anto­nio­ni bei­spiels­wei­se leg­te locker einen von Mina gesun­ge­nen Twist-Kra­cher über die Ein­gangs­ti­tel sei­nes 1962er-Bezie­hungs­dra­mas L’e­clis­se, zu dem er auch noch – so jeden­falls die ita­lie­ni­sche Wiki­pe­dia – selbst den Text geschrie­ben und es geschafft hat­te, dar­in das Wort »Radio­ak­ti­vi­tät« unter­zu­brin­gen. Man muss den Regis­seur nicht mögen (für Freun­de minu­ten­lan­ger Ein­stel­lun­gen mit gut geklei­de­ten, von abs­trak­ter Kunst und moder­ner Archi­tek­tur umrahm­ten Ober­schichts-Ita­lie­nern, die kei­ne Wor­te für ihr über­gro­ßes Lei­den an der Welt fin­den, ist er aller­dings ein abso­lu­tes Muss), der Umgang mit der Musik nötigt jeden­falls eini­gen Respekt ab. Das ist unge­fähr so, als ob Bern­hard Wicki mit Ted Herold oder Con­ny Froboess zusam­men­ge­ar­bei­tet hät­te … Wei­ter­le­sen

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