Wir haben neu­lich mit den Kin­dern Urlaub auf Rügen gemacht, und wie das Leben so spiel­te, fan­den wir uns eines kal­ten Abends Anfang Sep­tem­ber auf den har­ten Plas­tik­sit­zen der Rals­wie­ker Natur­büh­ne wie­der und sahen uns an, wie eine ver­wir­rend gro­ße Schau­spie­ler­meu­te sich dar­an ver­such­te, die Ver­wick­lun­gen der Vita­li­en­brü­der um Klaus Stör­te­be­ker und Gode­ke Michels in die schwe­di­schen Thron­kämp­fe des aus­ge­hen­den 14. Jahr­hun­derts zu ver­an­schau­li­chen. Als alter Vete­ran der Stör­te­be­ker-Kri­tik kom­me ich natür­lich nicht umhin, hier ein paar Wor­te zu dem Spek­ta­kel zu verlieren.

Als ers­tes: Die Stunt­män­ner, alle­samt aus Ungarn stam­mend, waren her­vor­ra­gend! Sie flo­gen durch die Luft, saus­ten auf ihren Pfer­den über die kom­plett mit Sand gefüll­te Büh­ne und lie­ßen sich samt ihrer Sturm­lei­tern von den Stadt­mau­ern Stock­holms sto­ßen, dass es eine hel­le Freu­de war. Auch die Pyro­tech­ni­ker lie­fer­ten eine ins­ge­samt sehr ansehn­li­che Arbeit ab, die in spek­ta­ku­lä­ren Explo­sio­nen, wild zün­geln­den Brän­den und don­nern­dem Kano­nen­feu­er ihre Höhe­punk­te hat­te. Kos­tüm und Büh­nen­bild haben mir sehr gut gefal­len, in bei­den Fäl­len wur­de ein guter Kom­pro­miss zwi­schen his­to­ri­scher Authen­ti­zi­tät und thea­tra­li­scher Über­spit­zung gefun­den. Sehr beein­dru­ckend die rol­len­den Kulis­sen­tei­le, die immer wie­der neue Ein­bli­cke in das Gesche­hen boten!

Was aller­dings fehl­te, war ein roter Faden bei der Hand­lung. Ich will mich hier gar nicht an irgend­ei­ner his­to­ri­schen Genau­ig­keit auf­hän­gen, die hat­te ich ohne­hin nur in Gren­zen erwar­tet. Aber so rich­tig Span­nung woll­te trotz­dem nicht auf­kom­men, was wohl haupt­säch­lich dar­an lag, dass die ein­fachs­ten dra­ma­tur­gi­schen Grund­re­geln nicht beach­tet wur­den. Zum Bei­spiel die, dass ein Prot­ago­nist einen mäch­ti­gen Ant­ago­nis­ten braucht, um zur star­ken Figur zu wer­den. Stör­te­be­ker hin­ge­gen, der in die­sem Teil der mehr­tei­li­gen Pro­duk­ti­on haupt­säch­lich in sei­ner Funk­ti­on als meck­len­bur­gi­scher Blo­cka­de­bre­cher agiert, hat (statt Man­teu­fel und Lan­gen­doorp, wie im ers­ten Teil) nur einen ver­trot­tel­ten Lübe­cker Kauf­manns­sohn vor sich, den er mit ein paar läs­si­gen Tricks außer Gefecht set­zen kann. Kei­ne gro­ße Sache. Die wirk­lich Agie­ren­den sind statt­des­sen die Neben­fi­gu­ren: Danie­la Kie­fer als furi­os über die Büh­ne rei­ten­de Köni­gin Mar­ga­re­te, Nor­bert Braun als meck­len­bur­gi­scher Befehls­ha­ber in Stock­holm, Albrecht Peca­tel, und Patri­cia Schä­fer als Her­zo­gin von Meck­len­burg. Das führt zu einem schwe­ren dra­ma­tur­gi­schen Ungleich­ge­wicht, das auch von der action­rei­chen Insze­nie­rung nicht auf­ge­fan­gen wer­den kann.

Voll­ends unver­ständ­lich bleibt der Zwei­kampf Stör­te­be­kers mit dem schwe­di­schen Heer­füh­rer Swar­te Skaa­ning am Schluss. Die bei­den haben sich nie vor­her gese­hen, war­um also soll­te unser sym­pa­thi­scher Ober­pi­rat den Mann ent­ge­gen der Bit­ten von Her­zo­gin Inge­borg abste­chen und damit den Weg in die Ille­ga­li­tät gehen? Hier wäre mal his­to­ri­sche Kor­rekt­heit ange­bracht gewe­sen, und die hät­te gefor­dert, dass die Vita­li­en­brü­der von den poli­ti­schen Kräf­ten auf­ge­ge­ben wer­den, denen sie bis zu einem gewis­sen Zeit­punkt nütz­lich waren. Erst dadurch wer­den sie wirk­lich zu “Pira­ten”, und erst dadurch wird ihre über­gro­ße Wut auf den Auto­ri­tä­ten ihrer Zeit verständlich.

Völ­lig über­flüs­sig wirk­ten Neben­rol­len wie Magis­ter Wig­bold, der kei­ner­lei dra­ma­tur­gisch erkenn­ba­re Funk­ti­on hat­te. Auch Eli­sa­beth Lan­gen­doorp pass­te als love inte­rest Stör­te­be­kers nicht so recht in die Geschich­te und blieb kaum in Erinnerung.

Ner­vig fand ich auch, mit Ver­laub, eine gewis­se “Ost­ig­keit”. Den hef­tig säch­seln­den Pira­ten­clown als Zuge­ständ­nis an die Urlau­ber aus Jena und Dres­den hät­te ich ja noch hin­ge­nom­men, und Wolf­gang Lip­pert ist eben, na ja, Wolf­gang Lip­pert. Aber muss man sich 2014 wirk­lich noch scha­le Wit­ze über “Kauf­leu­te aus dem Wes­ten” (hier: Lübeck) anhö­ren, die in den “Wil­den Osten” (hier: Wis­mar) kom­men und die nai­ven, aber gut­her­zi­gen Ein­hei­mi­schen übers Ohr hau­en? Und das auf einer Insel, die bei mei­nem ers­ten Besuch 1990 durch­gän­gig so aus­sah: Rügen alt, jetzt aber im All­ge­mei­nen die­sen Ein­druck macht: Rügen neu… Über­haupt – die ein­zi­ge Figur, die den Zuschau­er halb­wegs dar­an erin­ner­te, dass man es hier mit einer zuvor­derst NORD-deut­schen Geschich­te zu tun hat­te, war Andre­as Euler als Gode­ke Michels. Man muss ja nicht gleich alles auf Platt­deutsch machen wie die Kon­kur­renz in Mari­en­ha­fe, aber son büschen aus­sem Vol­len schöp­fen un ma ornt­lich auf die Kacke haun darf man dann eigent­lich schon bei dem Thema.

Wie dem auch sei, den Kin­dern hat’s gefal­len. Wahr­schein­lich kom­men wir wieder…