Ich ertrage die Hervorbringungen des deutschen Fernsehens in der Regel nur in homöopathischer Dosierung, von daher war ich einigermaßen gespannt, wie sich wohl die allseits in den Himmel gelobte Serie Deutschland 83 machen würde, die ja dem Vernehmen nach die Erzählweise der neuen US-Serien auf hiesige Verhältnisse übertragen sollte und durch „Erfolg in den USA“ geadelt war. Zudem fällt mein eigenes Gastspiel bei der Bundeswehr in die Zeit kurz nach der dargestellten Handlung, da will man natürlich wissen, ob alles korrekt dargestellt ist.
Das Positive zuerst: klasse Ausstattung! Genau so, mit diesen Stahlrohrbetten und den blauen oder orangen Resopalmöbeln, sah damals eine Wehrpflichtigenstube beim westdeutschen Militär aus. Womit aber gleich die Probleme beginnen, denn natürlich waren Offiziere, zumal solche beim Stab, in Zweibettzimmern untergebracht, die eine gewisse Freiheit zur persönlichen Gestaltung ließen. Und die Art, wie die Jungs ihre Barette trugen, hätte unseren Spieß sicher zu einer seiner berüchtigten „Seid ihr Pizzabäcker?“-Tiraden angestachelt.
Der Alltag beim Barras zeichnet sich eben durch vielerlei Details aus, die man durch oberflächliches Recherchieren nicht so schnell in den Griff bekommt. Und genau da liegt die Crux der dramaturgischen Prämisse: Die Vorstellung, man könnte einen Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR mal eben durch einen Crash-Kurs bei einem linken Uni-Professor und die Lektüre der Zentralen Dienstvorschrift zu einem überzeugend wirkenden Bundeswehroffizier machen, ist so abenteuerlich wie unglaubwürdig. Die Bundeswehr verstand sich durchaus zu Recht nicht als Fortsetzung der Wehrmacht, von daher gab es beispielsweise eine andere Art des Marschierens, das militärische Zeremoniell und die Grüßprozeduren waren anders, und wenn man als Vorgesetzter einem Untergebenen das Barett zurechtrücken wollte, musste man erst fragen, ob man ihn anfassen darf. Für einen DDR-Soldaten, dem die dortigen Gepflogenheiten in Fleisch und Blut übergegangen waren, hätte sich von der ersten Minute an ein Universum an Fettnäpfchen aufgetan, in das er unweigerlich hineingestolpert wäre. Hätte er gewusst, wo er sich seinen Fahrbefehl abholen muss, wenn er irgendwo hinfahren soll? Und was, wenn ihm jemand aus seinen angeblich bisher durchlaufenen Truppenteilen über den Weg läuft? Oder wenn er nicht weiß, was ein „Fahnenjunkie“ ist?
Die HVA war seinerzeit wahrscheinlich einer der operativ besten Geheimdienste der Welt. Die Vorstellung, sie hätten ein derart windschiefes Projekt in die Welt gesetzt, für das in Wirklichkeit monate‑, ja jahrelange Vorbereitung erforderlich gewesen wäre, beleidigt meine Intelligenz. Ich werde nicht gerne beleidigt.
Leider wird dadurch auch eine meiner Haupt-Aversionen gegen deutsche Produktionen bestätigt, dass sie nämlich in der Regel nach dem Prinzip „Wirkung vor Logik“ vorgehen. Wir haben hier eine tolle potenzielle Wirkung – überzeugter DDR-Heini wird ins kalte BRD-Wasser gestoßen –, der leider jede innere Logik abgeht. So auch bei kleinen Details: Warum etwa verschwindet unser Held während des „Heiderösleins“ in das Haus des Generals, um seine Freundin in der DDR anzurufen? Er war vorher zwei Mal „in der Stadt“, um Zigaretten und Grillkohle zu holen, da hätte er doch locker mal kurz eine der Telefonzellen benutzen können, die damals an jeder Straßenecke herumstanden. Natürlich, man wollte eine spannende Szene schaffen, aber sie ergibt sich eben nicht organisch aus der Geschichte und funktioniert deswegen auch nicht so richtig. Ich mag lieber Wirkung und Logik.
Und die Zeitdetails? Ich weiß nicht, diese aufgesetzte Kaltschnäuzigkeit beim Reden, hinter der noch die biedere Mittelschichtskindheit aufblitzt, das kam doch erst in den 90ern auf? Und, mit Verlaub, wenn man seinerzeit friedensbewegt, linksradikal oder Sannyasin war, gleichzeitig aber aus einer sehr konservativen Familie kam, war man in der Regel heillos mit seinen Eltern zerstritten und hätte ums Verrecken nicht an irgendwelchen langweiligen Grillfesten mit Vatis Militärkumpels teilgenommen, um dort klassische Lieder zum Besten zu geben. Dieses „alles geht, weil alles scheißegal ist“, hat sich auch erst in den 90ern breitgemacht, 1983 gab es noch glühende Überzeugungen und heftigen Streit.
Und, und, und. Nena in der Bundeswehrkantine ging gar nicht, da wurde überhaupt keine Musik gespielt. Man sagte noch nicht „Club“, sondern „Disco“, „Disse“ oder dergleichen. Man sagte auch nicht „schwarze Musik“. Und bei diesem Anlass dann gleich meine nächste Haupt-Aversion: dass man seine eigenen Figuren nicht respektiert. Auf die Bemerkung mit der schwarzen Musik fällt dem Oberleutnant irgendeine Geschichte mit einer „kubanischen Delegation“ ein, was er dann auf erstaunte Nachfrage mit Herumgestotter über einen Club mit Namen „Kuba“ in Braunschweig herunterspielt. Die anderen schlucken das, ohne misstrauisch zu werden. Also ehrlich – Leuten, die derart blöd sind, möchte ich nicht weiter zugucken müssen.
Wir haben dann auch das Experiment in der ersten Werbepause abgebrochen und werden uns wieder dem Binge-Viewing von Homeland zuwenden. Ich freue mich über die gesparte Zeit und werde mich auch weiterhin an die Homöopathie halten.