Bernd Ohm

Autorenblog

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Tage und Zeichen (2)

Ein paar Stun­den im Netz und man hat den Ein­druck, drau­ßen wür­den para­mi­li­tä­ri­sche Kampf­for­ma­tio­nen in Braun­hem­den durch die Stra­ßen mar­schie­ren und die Macht­über­nah­me des rech­ten Mobs wäre nur noch eine Fra­ge von Tagen. Sie­ben Jahr­zehn­te Faschis­mus­for­schung sind offen­bar ohne jeden Wert und umstands­los der absur­den Annah­me gewi­chen, allein ver­ant­wort­lich für Hit­ler und Ausch­witz wäre ein amorph wabern­der, von kon­kre­ten his­to­ri­schen und psy­cho­lo­gi­schen Bedin­gun­gen los­ge­lös­ter »Hass«, der nun zurück­ge­kehrt ist und sich wie ein Nebel des Bösen auf »Dun­kel­deutsch­land« gelegt hat. Wozu Geschich­te stu­die­ren, wenn im Ernst­fall doch nur wie­der der­sel­be alte Manichäis­mus wie eh und je von den Men­schen Besitz ergreift?

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Neil Young wird mir wie­der sym­pa­thisch. 1989 sagt er in einem Interview:

I don’t have a view, I have an opi­ni­on that chan­ges becau­se ever­y­day is a dif­fe­rent day. I’m not a libe­ral or a con­ser­va­ti­ve. I’m not like that. With Rea­gan, some things he did were ter­ri­ble, some things he did were gre­at. Most peop­le tend to take a pre­si­dent and say you hate… he does one thing you real­ly don’t like. Like he builds exces­si­ve amounts of war­heads or some­thing. So you wri­te him off com­ple­te­ly. Which I think is com­ple­te­ly stu­pid. And I think, is very nar­row min­ded. (http://www.thrasherswheat.org/ptma/reagan.htm)

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Gera­de haben die Kir­chen­glo­cken geläu­tet. Um die­se Zeit, kurz vor dem Mit­tag, zei­gen sie immer an, dass jemand gestor­ben ist. Sie haben für mei­ne Eltern geläu­tet, mei­ne Groß­el­tern – ver­mut­lich für alle mei­ne Vor­fah­ren hier im Ort, die ich bis 1535 zurück­ver­fol­gen kann. Es ist ein etwas mul­mi­ges Gefühl zu wis­sen, dass man als Nächs­tes selbst an die Rei­he kom­men wird, aber wie sag­te Samu­el John­son? »When a man knows he is to be hanged…it con­cen­tra­tes his mind wonderfully.«

Tage und Zeichen (1)

Eines der Kin­der berich­tet aus der Schu­le: Eini­ge Mus­li­me im »Wer­te und Normen«-Unterricht sagen, dass sie nicht an die Evo­lu­ti­ons­theo­rie »glau­ben«. Die Welt habe nun mal Allah geschaf­fen. Die Leh­re­rin ver­passt die Gele­gen­heit, einen klei­nen Exkurs über die Mög­lich­keit von Erkennt­nis über­haupt, die Rol­le von Daten und Hypo­the­sen sowie Pop­pers Fal­si­fi­zier­bar­keits­prin­zip zu star­ten. Statt­des­sen nickt sie nur freund­lich und schweigt. In der nächs­ten Stun­de ver­tritt eine Mit­schü­le­rin die Mei­nung, dass auch Pflan­zen Men­schen­rech­te hät­ten. Sie wol­le sich aber nicht dafür ein­set­zen, denn das habe ja ohne­hin alles kei­nen Sinn. Wie­der nickt die Leh­re­rin freund­lich, geht aber nicht auf die Aus­sa­ge ein. Wenn jemand einen län­ge­ren Text vor­trägt, ani­miert sie die Klas­se, Bei­fall zu klat­schen. Egal, was gesagt wurde.

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Flash­back: Irgend­wann 1985 oder 1986 in Frank­reich. Ich ste­he mit ein paar ande­ren Tram­pern an der Aus­fahrt einer Auto­bahn-Rast­stät­te. Da nie­mand anhält, kom­me ich mit einem der ande­ren ins Gespräch; wie sich her­aus­stellt, stammt er aus einer Fami­lie von Exil-Rus­sen. Ich erzäh­le ihm von mei­ner Erwar­tung, dass sich die Natio­nen Euro­pas irgend­wann auf­lö­sen und in einem neu­en Gro­ßen Gan­zen auf­ge­hen wer­den. Er lacht mich aus. Irgend­wann wür­de der Kal­te Krieg auch wie­der vor­bei sein, und dann wür­den selbst­ver­ständ­lich hin­ter dem ver­schwun­de­nen ideo­lo­gi­schen Gegen­satz die alten Völ­ker wie­der ins Licht der Geschich­te tre­ten. Einen Natio­nal­cha­rak­ter kön­ne man nun mal nicht ändern. Ich schüt­te­le freund­lich lächelnd mei­nen Kopf und bin mir mei­ner Sache sehr sicher. Er schüt­telt sei­nen genau­so freund­lich lächelnd.

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Wir kau­fen viel im Inter­net ein, von daher ken­nen uns die ein­schlä­gi­gen Lie­fer­diens­te mitt­ler­wei­le ganz gut. Bei dem, der nach einem grie­chi­schen Gott benannt ist, kam immer eine net­te Dame mitt­le­ren Alters aus der nächs­ten Klein­stadt, die sich anfangs nicht auf den Hof trau­te, weil sie Angst vor unse­rem Hund hat­te. Irgend­wann begriff sie dann aber, dass sie nur ein paar Lecker­li ein­ste­cken brauch­te, um die gefähr­lich knur­ren­de Bes­tie in einen freu­dig schwanz­we­deln­den Freund zu ver­wan­deln. Aus irgend­ei­nem Grund hat sie den Job vor eini­ger Zeit auf­ge­ge­ben, seit­dem kommt ein Mann, der nur ein paar Bro­cken Eng­lisch und noch weni­ger Deutsch rade­bre­chen kann und sicher nicht aus der nächs­ten Klein­stadt stammt. Die Rege­lung, Pake­te bei Nicht­an­we­sen­heit in die Gara­ge zu stel­len, haben wir mit Hän­den und Füßen aus­ge­han­delt. Den Hund mag er nicht und geht ihm wo weit wie mög­lich aus dem Weg. Ich ertap­pe mich bei der Fra­ge, wie er das mit der Gara­ge wohl mit mei­nen Eltern hin­ge­kriegt hätte.

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Kon­rad Lorenz: »Das feh­len­de Glied zwi­schen Mensch und Affe sind wir selbst.«

Beten, bitte!

Die Dür­re hält uns Nord­deut­sche jetzt schon seit Mona­ten in den Kral­len.  Lang­sam macht es wirk­lich kei­nen Spaß mehr, sich jeden Tag in den Gar­ten zu schlep­pen und den Was­ser­schlauch auf die neur­al­gi­schen Punk­te zu rich­ten. Und die Schaf­wei­de sieht aus wie die Sahel­zo­ne … Was also tun? Wie man das in frü­he­ren Zeit­al­tern regel­te, zeigt uns exem­pla­risch Con­rad Lud­wig Lam­precht, von 1765 bis 1786 der hie­si­ge Dorf­pfar­rer. Das Wet­ter war wohl vergleichbar:

Anno 1783 und 1784
War den Som­mer über eine so gro­ße Dür­re, daß das Som­mer­korn nicht zum Lau­fen kom­men konn­te, wir hat­ten des­falls eine sehr gerin­ge Ern­te an Heu und Korn. Zum Beweis füh­re an, da die Pfar­re von dem Brei­ten Lan­de sonst wohl 7 bis 8 Fuder Heu ein­ern­tet, so erhielt nur ½ Fuder, und statt 700 Schock auch noch nicht 275 Schock eingeerntet.

Dage­gen ist der dies­jäh­ri­ge Ern­te­aus­fall gera­de­zu lächer­lich … Und was mach­te man damals in so einem Fall? Genau! Und hat’s funk­tio­niert? Na klar:

Der Höchs­te gab im Herbst frucht­ba­re Wit­te­rung, daß die Wie­sen ein dem hie­si­gen Gebrauch zum 2ten mal gemäht, und das Vieh bis nahe dem Win­ter sein Fut­ter in Wie­sen und Fel­dern suchen könn­te. Wäre nicht noch sol­che frucht­ba­re Zeit gekom­men, so hät­te viel Vieh ver­schmach­ten müßen.

Es wäre also wohl an der Zeit, ent­spre­chen­de Maß­nah­men ein­zu­lei­ten! Für Nicht-Chris­ten tut’s viel­leicht auch die nie­der­säch­si­sche Elfen­be­auf­trag­te

Ideale und was daraus werden kann

Ges­tern mit den Kin­dern Iron Sky geschaut. Ihnen hat er durch­aus gefal­len, ich hin­ge­gen fin­de wei­ter­hin, dass Götz Otto nicht gera­de ein gro­ßer Schau­spie­ler ist, den Wit­zen Timing und Tem­po fehlt, und die Leu­te unpas­sen­der­wei­se alle Eng­lisch reden wie in einem ame­ri­ka­ni­schen College-Wohnheim.

Sei’s drum. Wenn Regis­seur Timo Vuo­ren­so­la auch nicht gera­de der nächs­te Bil­ly Wil­der oder David Zucker ist, so hat er doch eine Sze­ne ins Dreh­buch geschrie­ben, die einem mehr über den his­to­ri­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­rät als so man­che lang­at­mi­ge Geschichts-Doku. Es han­delt sich um Rena­te Rich­ters nai­ve klei­ne Anspra­che im Büro der US-Prä­si­den­tin, in der sie die Idea­le der Mond-Nazis vorstellt.

Die Wor­te sind ein biss­chen unbe­hol­fen (wie der gan­ze Film), aber es lohnt sich durch­aus, sie hier wiederzugeben:

It’s very simp­le: the world is sick – but we are the doc­tors. The world is ana­emic – but we are the vit­amins. The world is wea­ry – but we are the strength. We are here to make the world healt­hy once again. With hard work. With hones­ty. With cla­ri­ty. With decen­cy. We are the pro­duct of loving mothers and bra­ve fathers. We are the embo­di­ment of love and bra­very. We are the gift of both God and sci­ence. We are the ans­wer to the ques­ti­on. We are the pro­mi­se deli­ve­r­ed to all mankind.

Die deut­sche Syn­chro­ni­sa­ti­on scheint mir nicht sehr prä­zi­se, von daher rasch eine eige­ne Übersetzung:

Es ist sehr ein­fach. Die Welt ist krank – aber wir sind die Hei­ler. Die Welt ist blut­leer – aber wir sind der Vit­am­in­stoß. Die Welt ist müde – aber wir sind die Kraft. Wir sind gekom­men, um die Welt wie­der gesund zu machen. Mit har­ter Arbeit. Mit Auf­rich­tig­keit. Mit Klar­heit. Mit Anstand. Wir sind das Pro­dukt lie­be­vol­ler Müt­ter und tap­fe­rer Väter. Wir sind die Ver­kör­pe­rung von Lie­be und Tap­fer­keit. Wir sind die Gabe sowohl Got­tes als auch der Wis­sen­schaft. Wir sind die Ant­wort auf die Fra­ge. Wir sind das Ver­spre­chen, dass der gesam­ten Mensch­heit gege­ben wurde.

Im Film wird die Rede dann als genia­le PR-Idee ver­kauft, mit der die (Sarah Palin nach­ge­bil­de­te) US-Prä­si­den­tin ihre Wie­der­wahl sichern will. Eine umju­bel­te Wahl­kampf­ver­an­stal­tung wird gezeigt. Das poli­ti­sche Sys­tem und die Öffent­lich­keit der Ver­ei­nig­ten Staa­ten, das will der Film uns damit sagen, sind anfäl­lig für die Über­nah­me faschis­ti­scher Ideale.

Ange­sichts der bes­tia­li­schen his­to­ri­schen Rea­li­tä­ten erschei­nen Rena­tes vor Opti­mis­mus sprü­hen­de Wor­te natür­lich (was wohl beab­sich­tigt ist) als kom­plett gaga. Aber ich glau­be, sie ent­hal­ten eine tie­fe­re Wahr­heit: Wir sind es mitt­ler­wei­le gewohnt, »Nazis« in Film und Lite­ra­tur als sadis­ti­sche Unmen­schen prä­sen­tiert zu bekom­men, deren ein­zi­ge Moti­va­ti­on dar­in zu bestehen scheint, ande­ren Men­schen lust­voll Böses anzu­tun. In der Regel han­delt es sich um sinist­re Typen mit Schmiss auf der Wan­ge und Leder­hand­schu­hen, die ger­ne mal die Pis­to­le zücken und irgend­wen aus einem Impuls her­aus erschie­ßen. Dum­me Skla­ven ihrer eige­nen Macht­geil­heit. Und wenn sie intel­li­gent sind, sind es intel­li­gen­te, char­man­te Sadis­ten wie Chris­toph Waltz’ SS-Stan­dar­ten­füh­rer Landa.

Es soll­te einem klar sein, dass die his­to­ri­schen Nazis sich in die­sem Bild nicht im gerings­ten wie­der­fin­den wür­den. Aus eige­ner Sicht waren sie statt­des­sen auf­op­fe­rungs­be­rei­te Idea­lis­ten, die einen Wan­del zum Bes­se­ren her­bei­füh­ren woll­ten und deren Vor­stel­lun­gen durch­aus zu jenen pas­sen, die Rena­te in ihrer Rede prä­sen­tiert. Die Nazis haben die Sho­ah nicht in Gang gesetzt, weil sie unheil­ba­re Sadis­ten oder von nebu­lö­sem »Hass« beherrscht waren, son­dern weil sie die Juden als »Krank­heit« betrach­tet haben, die aus­ge­merzt wer­den muss­te, um die Welt zu hei­len. Sie haben sich eben­so wie die Anhän­ger von »Mond­füh­rer Kort­z­fleisch« als Ant­wort auf die müde Deka­denz des Bür­ger­tums gese­hen. Auch der Ver­such des Faschis­mus, den Kreis aus archai­schem reli­giö­sen Den­ken und tech­ni­scher Moder­ne ins Qua­drat zu brin­gen, ist in der Phra­se von der »Gabe sowohl Got­tes als auch der Wis­sen­schaft« prä­gnant zusam­men­ge­fasst. Wenn man die­sen Idea­lis­mus nicht ver­steht, ver­steht man weder Himm­lers berüch­tig­te Pose­ner Rede noch den bizar­ren Umstand, dass jah­re­lang Res­sour­cen in einen mili­tä­risch völ­lig sinn­lo­sen Ver­nich­tungs­ap­pa­rat gesteckt wur­den, obwohl die Wehr­macht an allen Fron­ten in der Defen­si­ve war. Es muss­ten eben Opfer gebracht wer­den – und wenn es das eige­ne Volk war.

Das heißt natür­lich um Got­tes Wil­len nicht, dass die­se Idea­le auch nur beden­kens­wür­dig wären (was man in Zei­ten des »Vogel­schiss« wohl beto­nen muss), aber es soll­te – darf ich »idea­ler­wei­se« schrei­ben? – zu einem gewis­sen Miss­trau­en füh­ren. Es glaubt ja jeder, der mit hei­ßem Her­zen ein Ide­al ver­folgt, dass er höhe­ren Wahr­hei­ten ver­pflich­tet ist, mit dem Her­zen immer nur das Rich­ti­ge sieht und Wider­stän­de aus­schließ­lich der Dumm­heit der ver­blen­de­ten Mit­men­schen zu ver­dan­ken sind. Könn­te sein. Könn­te aber auch sein, dass man sich genau­so irrt wie damals die brau­ne Ban­de und genau wie bei die­ser irgend­wer hin­ter­her die Trüm­mer weg­räu­men muss …

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