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Kategorie: Politik (Seite 4 von 5)

Die Geheimarmeen des Kalten Kriegs

Es ist noch gar nicht so lan­ge her, dass sich in Mit­tel­eu­ro­pa zwei bis an die Zäh­ne bewaff­ne­te Macht­blö­cke gegen­über­stan­den und Deutsch­land durch eine schwer bewach­te Gren­ze geteilt war, »hin­ter der Sol­da­ten, Pan­zer und Atom­bom­ber dar­auf lau­ern, was wohl die Sol­da­ten, Pan­zer und Atom­bom­ber auf die­ser Sei­te des Sta­chel­drahts im Schil­de füh­ren«, wie es an einer Stel­le von Das Schat­ten­corps heißt.

By U.S. Army pho­toPho­to Credit: USAMHI [Public domain], via Wiki­me­dia Commons

Nicht alle die­se Sol­da­ten kämpf­ten mit offe­nem Visier. Der eigent­li­che »Kal­te Krieg« wur­de von Geheim­agen­ten und Diplo­ma­ten geführt, und irgend­wo in den zwie­lich­ti­gen Sei­ten­stra­ßen der geschicht­li­chen Über­lie­fe­rung fin­det man auch noch den einen oder ande­ren Hau­fen ver­we­ge­ner Gestal­ten, die auf kom­mu­nis­ti­scher eben­so wie auf west­li­cher Sei­te als Kom­man­do­trup­pen im Ver­bor­ge­nen dienten.

Erst vor ein paar Jah­ren etwa kam her­aus, dass 1949 ein gewis­ser Oberst Schnez (er soll­te spä­ter Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr wer­den) im Süd­wes­ten Deutsch­lands mit Unter­stüt­zung der Ame­ri­ka­ner unter dem Tarn­na­men »Selbst­hil­fe« eine gehei­me Trup­pe von 2000 ehe­ma­li­gen Wehr­machts- und Waf­fen-SS-Offi­zie­ren auf­stell­te, die zum Kern einer 40.000 Mann star­ken Armee wer­den soll­te. Man leb­te damals in extre­mer Angst vor einem Über­ra­schungs­an­griff der Sowjet­uni­on, und die kampf­erprob­ten deut­schen Vete­ra­nen soll­ten im Ernst­fall die West­mäch­te unterstützen.

Weni­ger bekannt ist, dass Otto Skor­ze­ny, Idol der NS-Pro­pa­gan­da bis 1945 und der west­eu­ro­päi­schen Neo­na­zis danach, in sei­nem spa­ni­schen Exil ähn­li­che Plä­ne heg­te. Aus den deut­schen und öster­rei­chi­schen Kriegs­ver­bre­chern, die im Fran­co-Staat Unter­schlupf gefun­den hat­ten, soll­te eine »Legión Car­los V« gebil­det wer­den, in der 200.000 Mann als Trup­pen­re­ser­ve für den Kriegs­schau­platz Deutsch­land bereit­ste­hen wür­den. Skor­ze­ny bie­der­te sich mit dem Vor­ha­ben sogar bei Bun­des­kanz­ler Ade­nau­er an, aber letzt­end­lich blieb wohl alles ein Hirngespinst.

Bericht über Skor­ze­ny in einer spa­ni­schen Zei­tung 1958

Nicht im Pla­nungs­sta­di­um ste­cken blie­ben hin­ge­gen die ver­schie­de­nen para­mi­li­tä­ri­schen Orga­ni­sa­tio­nen, die von bei­den Sei­ten heim­lich auf­ge­stellt wur­den, um im Kriegs­fall als Par­ti­sa­nen­ver­bän­de in den vom Feind besetz­ten Gebie­ten ope­rie­ren zu kön­nen (»Stay-behind«). Auf öst­li­cher Sei­te war dies bei­spiels­wei­se die »Grup­pe Ralf Fors­ter«, bei der von 1969 bis 1989 aus­ge­wähl­te Genos­sen der DKP den »Umgang mit Hand­feu­er­waf­fen, Hand­gra­na­ten und Pan­zer­fäus­ten, [den] Umgang und [den] Ein­satz von Brand- und Spreng­mit­teln sowie das laut­lo­se Besei­ti­gen von Geg­nern« auf Trup­pen­übungs­plät­zen in der DDR lern­ten. Im Ernst­fall hät­ten sie Sabo­ta­ge­ak­te gegen Infra­struk­tur- und Bun­des­wehr-Ein­rich­tun­gen aus­ge­führt und die Gegen­sei­te über west­li­che Trup­pen­be­we­gun­gen informiert.

Die West­mäch­te unter­stütz­ten einer­seits anti­kom­mu­nis­ti­sche Akti­vis­ten wie die West-Ber­li­ner »Kampf­grup­pe gegen Unmensch­lich­keit«, die Anschlä­ge in der DDR aus­führ­te und dort ille­ga­le Pro­pa­gan­da betrieb. Ande­rer­seits ver­lie­ßen sie sich wie üblich auf ihre Ver­bin­dun­gen zu Krei­sen ehe­ma­li­ger Wehr­machts­of­fi­zie­re und zum dama­li­gen Neo­na­zi-Unter­grund – wobei es hier natür­lich diver­se Über­schnei­dun­gen gab. Die Ame­ri­ka­ner initi­ier­ten gleich meh­re­re Stay-behind-Net­ze, etwa in West­ber­lin das mit der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len ver­knüpf­te »F‑Netz« oder in Süd­west­deutsch­land das von Oberst a.D. Wal­ter Kopp gelei­te­te »Kiebitz«-Netzwerk. Auch die Fran­zo­sen, die Nie­der­län­der und die Bri­ten unter­hiel­ten ähn­li­che Unter­grund­or­ga­ni­sa­tio­nen in West­deutsch­land, von denen aller­dings weder Name noch Umfang bekannt ist.

Abbil­dung aus einem alten Hand­buch für Guerillakampf

Die größ­te Schat­ten­ar­mee war der »Tech­ni­sche Dienst«, offi­zi­ell eine Unter­grup­pie­rung des rechts­ex­tre­men »Bund Deut­scher Jugend« (BDJ), in Wirk­lich­keit ein Sam­mel­be­cken für ehe­ma­li­ge Wehr­machts- und Waf­fen-SS-Sol­da­ten, die bei den Ame­ri­ka­nern anheu­er­ten, um wei­ter gegen den alten Feind »Bol­sche­wis­mus« kämp­fen zu kön­nen. Die Orga­ni­sa­ti­on flog 1952 auf, als ein BDJ-Funk­tio­när bei der hes­si­schen Poli­zei auf­tauch­te und aus­pack­te. Man hat­te nicht nur im US-Auf­trag einen gehei­men Par­ti­sa­nen­krieg vor­be­rei­tet, son­dern gleich auch noch Schwar­ze Lis­ten ange­legt, auf denen die im Kriegs­fall zu liqui­die­ren­den poli­ti­schen Fein­de wie Her­bert Weh­ner oder der dama­li­ge SPD-Par­tei­chef Erich Ollen­hau­er standen.

Der BDJ wur­de 1953 ver­bo­ten, und ab 1955 über­nahm der aus der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len her­vor­ge­gan­ge­ne Bun­des­nach­rich­ten­dienst die ent­spre­chen­den Akti­vi­tä­ten in West­deutsch­land. Es setz­te eine gewis­se Pro­fes­sio­na­li­sie­rung ein: Die para­mi­li­tä­ri­schen Ein­hei­ten wur­den als Fern­späh­trup­pe der Bun­des­wehr getarnt, und als Stay-behind-Agen­ten vor Ort wur­den unauf­fäl­li­ge Bür­ger aus­ge­wählt, die für den Kriegs­fall mit Funk­ge­rä­ten und aus­ge­stat­tet wur­den und bei­spiels­wei­se mit dem Fall­schirm abge­sprun­ge­ne Agen­ten bei sich auf­ge­nom­men hät­ten. (Das zumin­dest war der Plan – in Wirk­lich­keit wuss­te die Sta­si natür­lich längst Bescheid …)

Heu­te geis­tern all die­se Unter­grund­trup­pen und Kampf­ein­hei­ten unter den Namen »Gla­dio« durch diver­se Ver­schwö­rungs­theo­rien, die wahl­wei­se die »Rote Armee Frak­ti­on« oder die Hin­ter­män­ner des Okto­ber­fest-Atten­tats von ihnen unter­wan­dert sehen. Für die­se Hypo­the­sen sind schlag­kräf­ti­ge Bewei­se bis jetzt aus­ge­blie­ben, aber trotz­dem ist natür­lich die Fra­ge inter­es­sant, was wohl aus den zwie­lich­ti­gen Schat­ten­krie­gern gewor­den ist, die in den frü­hen 1950ern die Sze­ne beherrsch­ten. Eini­ge wer­den zur Bun­des­wehr gegan­gen sein, ande­re zur fran­zö­si­schen Frem­den­le­gi­on, um in Indo­chi­na zu kämp­fen. Wie­der­um ande­re dürf­ten Fami­li­en gegrün­det und sich ins Pri­vat­le­ben zurück­ge­zo­gen haben.

Auf Hans Bark­hu­sen, den Prot­ago­nis­ten von Das Schat­ten­corps, trifft nichts davon zu. Anfang der 1960er vaga­bun­diert er immer noch ruhe­los durch die Hafen­städ­te Nord­deutsch­lands und hat kei­nen Anschluss an das bür­ger­li­che Leben gefun­den. Vor Jah­ren war er Kampf­tau­cher bei der »Kings Ger­man Legi­on«, einer von den Bri­ten in Deutsch­land auf­ge­stell­ten Stay-behind-Trup­pe, die auch in diver­se ande­re Geheim­dienst­ak­ti­vi­tä­ten ver­wi­ckelt war. Als Bark­hu­sen für die Suche nach dem sagen­um­wo­be­nen »Rom­mel-Schatz« ange­heu­ert wird, taucht plötz­lich sein frü­he­rer Agen­ten­füh­rer wie­der auf, sei­ne alten Kame­ra­den schei­nen neu­en Her­ren zu die­nen, und die Ereig­nis­se begin­nen sich zu überschlagen …

 

Wer mehr wis­sen will:

Erich Schmidt-Een­boom, Ulrich Stoll: Die Par­ti­sa­nen der NATO. Stay-Behind-Orga­ni­sa­tio­nen in Deutsch­land 1946–1991, Ber­lin 2015

Nor­bert Juretz­ko: Bedingt dienst­be­reit, Ber­lin 2004

Tho­mas Auer­bach: Ein­satz­kom­man­dos an der unsicht­ba­ren Front: Ter­ror- und Sabo­ta­ge­vor­be­rei­tun­gen des MfS gegen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Ber­lin 1999

Das CIA-Archiv im Inter­net – ein­fach mal nach »Otto Skor­ze­ny« oder »Wal­ter Kopp« suchen (hier ein Über­blick)

Zu Trump: alles schon gesagt

Man kann dem neu­en ame­ri­ka­ni­schen Cäsar so eini­ges vor­wer­fen – sicher nicht, dass er sei­ne Wahl­kampf­ver­spre­chen wie üblich am Tag des Amts­an­tritts ver­ges­sen hät­te. Wäh­rend er die Dekre­te unter­zeich­net, mit denen der Bau einer Mau­er an der Gren­ze zu Mexi­ko, die Abschaf­fung der öffent­li­chen För­de­rung von Kunst und Kul­tur und die Ver­ban­nung der Kli­ma­for­schung von den Web­sei­ten ame­ri­ka­ni­scher Behör­den ein­ge­lei­tet wird, soll­te man sich einen Augen­blick Zeit neh­men, um den grie­chi­schen His­to­ri­ker Poly­bi­os zu lesen, der sich vor über zwei­tau­send Jah­ren mit der Fra­ge beschäf­tigt hat, wie sich im Ver­lauf der (ihm damals bekann­ten) Geschich­te ver­schie­de­ne Regie­rungs­for­men ent­wi­ckel­ten und wie­der­um von ande­ren abge­löst wurden.

Aus dem Wer­de­gang der grie­chi­schen Stadt­staa­ten destil­lier­te er dabei einen Kreis­lauf, bei dem in anfäng­li­cher Anar­chie ent­schlos­se­ne Gewalt­men­schen die Initia­ti­ve ergrei­fen und als Tyran­nen und Köni­ge die Macht ergrei­fen, um dann von rebel­lie­ren­den Aris­to­kra­ten und Olig­ar­chen abge­löst zu wer­den, die aller­dings wie­der­um der all­ge­mei­nen Volks­herr­schaft Platz machen müs­sen, wenn sich der demos gegen sie erhebt. Wei­ter geht es so:

Haben sie dann die einen von ihnen getö­tet die andern in die Ver­ban­nung gejagt, so wagen sie weder einen König an ihre Spit­ze zu stel­len, da sie deren frü­he­re Unge­rech­tig­keit noch fürch­ten, noch haben sie den Mut, den Staat einer Schar von Weni­gen anzu­ver­trau­en, da ihnen noch deren bis­he­ri­ge Ver­blen­dung vor Augen steht, so wen­den sie sich denn, da ihnen nur eine ein­zi­ge Hoff­nung unge­trübt bleibt, die zu sich sel­ber, die­ser zu, machen die Staats­ver­fas­sung aus einer olig­ar­chi­schen zu einer Demo­kra­tie und über­neh­men sel­ber die Vor­sor­ge und den Schutz des Gemein­we­sens. Und so lan­ge noch eini­ge von denen am Leben sind, wel­che die Will­kür- und Gewalt­herr­schaft durch Erfah­rung ken­nen­ge­lernt haben, hal­ten sie zufrie­den mit der nun­meh­ri­gen Ver­fas­sung die Gleich­be­rech­ti­gung und die Frei­heit der Rede in Ehren.

Wenn aber ein jun­ges Geschlecht an deren Stel­le tritt und die Demo­kra­tie wie­der an Kin­der und Kin­des­kin­der über­lie­fert wird, dann suchen eini­ge, indem sie wegen der lan­gen Gewohn­heit die Gleich­be­rech­ti­gung und Frei­heit der Rede nicht mehr für etwas Gro­ßes ach­ten, mehr zu gel­ten als das Volk; haupt­säch­lich aber gera­ten die, wel­che an Ver­mö­gen her­vor­ra­gen, auf die­sen Abweg. Wenn sol­che nun­mehr sich nach Ämtern drän­gen und die­se nicht durch sich sel­ber und durch eige­ne Tüch­tig­keit erlan­gen kön­nen, so ver­geu­den sie Hab und Gut indem sie die Men­ge auf jede Wei­se zu ködern und zu ver­füh­ren suchen. Haben sie die­se nun ein­mal in Fol­ge ihrer unsin­ni­gen Ämter­gier emp­fäng­lich und gie­rig nach Geschen­ken gemacht, dann löst sich auch die Demo­kra­tie wie­der auf, und an die Stel­le der Demo­kra­tie tritt Gewalt und Herr­schaft der Faust. Denn ist die Men­ge ein­mal dar­an gewöhnt, sich von frem­dem Gute zu näh­ren und ihre Bli­cke bei ihrem Lebens­un­ter­halt auf die Besit­zun­gen ande­rer zu rich­ten, und bekommt sie einen hoch­stre­ben­den und ent­schlos­se­nen Füh­rer, der aber durch Armut von den Ehren­stel­len im Staa­te aus­ge­schlos­sen ist, so schafft die­ser dann eine Herr­schaft der Faust, und um ihn geschart schrei­tet das Volk zu Mord, Ver­ban­nun­gen und neu­en Ver­tei­lun­gen des Lan­des, bis es völ­lig ver­wil­dert wie­der einen Zwing­herrn und Mon­ar­chen findet.

(Quel­le, Recht­schrei­bung und Wort­wahl leicht modernisiert)

Es wäre noch zu dis­ku­tie­ren, ob Trump zu den­je­ni­gen gehört, »wel­che an Ver­mö­gen her­vor­ra­gen« und mehr gel­ten wol­len als das Volk (das könn­ten aber auch die Clin­tons und ihre Gesell­schafts­schicht sein), oder zu den »ent­schlos­se­nen Füh­rern«, um die her­um sich das Volk schart, um die Ver­hält­nis­se zum Tan­zen brin­gen (wie man vor ein paar Jahr­zehn­ten zu sagen pfleg­te). Durch »Armut« zeich­net er sich natür­lich nicht gera­de aus, aber der Wil­le zur Umwäl­zung alles Bestehen­dem scheint ihm ja nicht abzu­ge­hen. Viel­leicht spielt er bei­de Rol­len auf einmal.

Wer es noch etwas apo­ka­lyp­ti­scher haben möch­te, darf die­se Woche beim Erz­drui­den vor­bei­schau­en (nein, nicht der von Reichs­bür­gern): How Gre­at the Fall Can Be.

Die Leute unter dem großen Himmel

Über­rascht bin ich eigent­lich nicht. Vor lan­ger Zeit schon, als ich mich für Jack Kerou­ac hielt und per Anhal­ter durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten vaga­bun­dier­te, habe ich die­sen Men­schen­schlag ken­nen­ge­lernt: her­zens­gut, hilfs­be­reit und, solan­ge man ihn nicht reizt, aus­ge­spro­chen gut­mü­tig. Aber auch ein biss­chen kräh­win­ke­lig und oft all­zu sehr von der eige­nen Vor­treff­lich­keit über­zeugt: Man lebt irgend­wo in einem die­ser fla­chen und wei­ten Bun­des­staa­ten, die die Leu­te aus New York oder Kali­for­ni­en nur vom Drü­ber­flie­gen ken­nen, ist glück­lich mit sich selbst und sei­ner klei­nen Welt, wäh­rend der Rest des Pla­ne­ten oder sogar der eige­nen Nati­on zu einem sche­men­haf­ten Etwas zusam­men­schnurrt, das ab und zu in Form von kriegs­zer­stör­ten Häu­ser­rui­nen oder Ras­sen­un­ru­hen in den Groß­städ­ten in den Abend­nach­rich­ten auf­taucht. Die meis­ten wuss­ten damals weder, dass es zwei Deutsch­lands gab, noch hät­ten sie auf einer Welt­kar­te Paris oder Rom gefunden.

Wenn es gut läuft, sind die­se abge­schie­de­nen Win­kel das Para­dies auf Erden. Wenn es nicht so gut läuft, ver­liert man dort schnell die Geduld. Damals lief es nicht so gut: Die USA befan­den sich mehr oder weni­ger seit dem ers­ten Ölschock in einer per­ma­nen­ten Wirt­schafts­kri­se, die auch durch die »Rea­g­ano­mics« nicht wirk­lich bes­ser wur­de, Bruce Springsteen sang herz­er­grei­fen­de Lie­der über hoff­nungs­lo­se Ver­lie­rer, die der ame­ri­ka­ni­sche Traum ver­ges­sen hat­te, und das Ster­ben der gro­ßen Stahl­wer­ke hat­te die Epo­che ein­ge­läu­tet, in der immer mehr tra­di­tio­nel­le Indus­trie­be­trie­be das Land ver­las­sen würden.

In jenem Som­mer war gera­de Wahl­kampf zwi­schen Mon­da­le und Rea­gan, und mehr oder weni­ger jeder, der mich mit­nahm, kam irgend­wann auf Poli­tik zu spre­chen. Der »gro­ße Kom­mu­ni­ka­tor« hat­te damals in Euro­pa kei­ne beson­ders gute Pres­se, und dies nicht ganz zu Unrecht: Er hat­te in sei­ner ers­ten Amts­zeit den Kal­ten Krieg auf eine neue Spit­ze getrie­ben (heu­te wis­sen wir, dass wir bei Able Archer bei­na­he alle drauf­ge­gan­gen wären), finan­zier­te sei­ne ideo­lo­gie­ge­trie­be­ne Wirt­schafts­po­li­tik durch eine absurd hohe Staats­ver­schul­dung und war augen­schein­lich schon damals geis­tig nicht mehr so ganz auf der Höhe. Und trotz­dem: Sie lieb­ten ihn ein­fach. Man gab offen zu, dass sich Ron­nie ver­mut­lich mor­gens zwei unter­schied­li­che Socken anzog, wenn Nan­cy nicht auf­pass­te. Man hat­te genau­so viel Angst vor einem Atom­krieg wie wir Euro­pä­er. Man wuss­te auch, dass die Trick­le-down-Poli­tik nicht funk­tio­nier­te. Aber – Man, he’s just gre­at…! Dass Rea­gan im Herbst jenes Jah­res mit über­wäl­ti­gen­der Mehr­heit wie­der­ge­wählt wur­de und Wal­ter Mon­da­le im Orkus der Geschich­te ver­schwand, war kei­ne gro­ße Überraschung.

Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, weil mir das damals alles so rät­sel­haft erschien, und bin heu­te der Mei­nung, dass die Leu­te in den besag­ten Kräh­win­keln in Ronald Rea­gan eigent­lich das Bild lieb­ten, das sie sich von sich selbst mach­ten: zupa­ckend, zukunfts­ori­en­tiert, arbeit­sam, got­tes­fürch­tig, gerecht und aus­er­wählt, die Bür­ger des Neu­en Jeru­sa­lem zu sein. Es lie­ße sich leicht ein­wen­den, dass Rea­gan dies alles nur spiel­te und das Gan­ze ohne­hin für jeman­den, der arbeits­los, geschie­den und ohne Schul­ab­schluss durchs Leben geis­tert, ein uner­reich­ba­res Ide­al ist, aber wel­cher poli­ti­sche Füh­rer ver­dien­te es »groß« genannt zu wer­den, wenn er nicht in irgend­ei­ner Form ein sol­ches Ide­al­bild ver­kör­pern wür­de? Für die libe­ra­len, moder­nen Ame­ri­ka­ner der frü­hen 1960er war Ken­ne­dys »Camelot«-Hofstaat das Ziel aller Träu­me, auch wenn JFK viel­leicht in Wirk­lich­keit nur ein noto­ri­scher Fremd­ge­her mit Rücken­pro­ble­men war, der die ers­ten Sol­da­ten nach Viet­nam schick­te. Für die Jungs aus North Plat­te, Nebras­ka, reich­te 1984 ein ehe­ma­li­ger Wes­tern­dar­stel­ler mit rasan­ter Haar­tol­le und locke­ren Sprü­chen bei Mikrofonproben.

Ich bin mir ziem­lich sicher, dass all die Leu­te, die ich damals ken­nen­ge­lernt habe, und ihre Kin­der und Kin­des­kin­der noch dazu ges­tern für den Kan­di­da­ten votiert haben, der ihnen Make Ame­ri­ca Gre­at Again! zuge­ru­fen hat. Auch hier las­sen sich tau­send Grün­de fin­den, war­um Trump an sei­nen eige­nen Ansprü­chen schei­tern wird, auch hier ist der Gra­ben zwi­schen Ide­al und Wirk­lich­keit unüber­brück­bar tief. Aber er gibt ihnen das Gefühl, wie­der die­je­ni­gen sein zu kön­nen, die sie sein möch­ten. Wer das abseh­bar böse Ende ver­hin­dern will, muss zual­ler­erst die­ses Gefühl ernst­neh­men und ver­su­chen, ihm auf ver­nünf­ti­ge Wei­se Raum zu geben. Sonst ist The Donald nur der ers­te in einer Rei­he, die jedes Mal schlim­mer wird.

Die Geister Tom Joads

Vor Jahr und Tag schrieb die ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ke­rin Bar­ba­ra Tuch­man einen die­ser »popu­lär-his­to­ri­schen« Best­sel­ler, die in den letz­ten Jahr­zehn­ten haupt­säch­lich in der angel­säch­si­schen Welt ent­stan­den sind. Die Tor­heit der Regie­run­gen – von Tro­ja bis Viet­nam heißt das nach wie vor unein­ge­schränkt zu emp­feh­len­de Werk, und falls der Ver­lag mal eine Fort­set­zung pla­nen soll­te, müs­sen die Ereig­nis­se der letz­ten Tage dar­in unbe­dingt einen Ehren­platz fin­den. So lang­sam mischen sich ja die ers­ten Stim­men der Ver­nunft in das auf­ge­reg­te Hin- und Her­ge­flat­ter der öffent­li­chen Mei­nung (ich emp­feh­le etwa die­se exzel­len­te Ana­ly­se von Tho­mas Spahn), und es zeich­net sich immer deut­li­cher ab, dass wir es in Wirk­lich­keit mit einer gran­di­os schief­ge­lau­fe­nen Palast­re­vol­te Boris John­sons zu tun haben, der wahr­schein­lich mit einem knap­pen »Remain« gerech­net hat, um dann hin­ter­her mit die­sem Ergeb­nis im Rücken sei­nen Intim­feind Came­ron aus dem Amt zu jagen und in Brüs­sel neue Son­der­kon­di­tio­nen her­aus­schla­gen zu kön­nen. Und nu hat­ter den Salat.

Ob Groß­bri­tan­ni­en wirk­lich in den nächs­ten Jah­ren aus der EU aus­tre­ten wird, muss sich erst zei­gen. Viel­leicht fin­den die tau­meln­den Töl­pel doch noch irgend­ei­nen Weg, um sich bei wenigs­tens teil­wei­ser Gesichts­wah­rung aus der Affä­re zu zie­hen – die Sou­ve­rä­ni­tät des Par­la­ments, die Nicht­ein­be­zie­hung der Aus­lands­bri­ten, das doch ins­ge­samt sehr knap­pe Ergeb­nis, ein neu­es Refe­ren­dum wegen des zu erwar­ten­den Wirt­schafts­cha­os, was auch immer. Dadurch wür­de aller­dings nicht die tie­fe­re Ursa­che für das bla­ma­ble Wahl­er­geb­nis besei­tigt, die glei­cher­ma­ßen den Grund für John­sons epo­cha­le Fehl­ein­schät­zung dar­stel­len dürf­te: der Ver­rat an den ein­fa­chen Leu­ten. Wei­ter­le­sen

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