Über­rascht bin ich eigent­lich nicht. Vor lan­ger Zeit schon, als ich mich für Jack Kerou­ac hielt und per Anhal­ter durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten vaga­bun­dier­te, habe ich die­sen Men­schen­schlag ken­nen­ge­lernt: her­zens­gut, hilfs­be­reit und, solan­ge man ihn nicht reizt, aus­ge­spro­chen gut­mü­tig. Aber auch ein biss­chen kräh­win­ke­lig und oft all­zu sehr von der eige­nen Vor­treff­lich­keit über­zeugt: Man lebt irgend­wo in einem die­ser fla­chen und wei­ten Bun­des­staa­ten, die die Leu­te aus New York oder Kali­for­ni­en nur vom Drü­ber­flie­gen ken­nen, ist glück­lich mit sich selbst und sei­ner klei­nen Welt, wäh­rend der Rest des Pla­ne­ten oder sogar der eige­nen Nati­on zu einem sche­men­haf­ten Etwas zusam­men­schnurrt, das ab und zu in Form von kriegs­zer­stör­ten Häu­ser­rui­nen oder Ras­sen­un­ru­hen in den Groß­städ­ten in den Abend­nach­rich­ten auf­taucht. Die meis­ten wuss­ten damals weder, dass es zwei Deutsch­lands gab, noch hät­ten sie auf einer Welt­kar­te Paris oder Rom gefunden.

Wenn es gut läuft, sind die­se abge­schie­de­nen Win­kel das Para­dies auf Erden. Wenn es nicht so gut läuft, ver­liert man dort schnell die Geduld. Damals lief es nicht so gut: Die USA befan­den sich mehr oder weni­ger seit dem ers­ten Ölschock in einer per­ma­nen­ten Wirt­schafts­kri­se, die auch durch die »Rea­g­ano­mics« nicht wirk­lich bes­ser wur­de, Bruce Springsteen sang herz­er­grei­fen­de Lie­der über hoff­nungs­lo­se Ver­lie­rer, die der ame­ri­ka­ni­sche Traum ver­ges­sen hat­te, und das Ster­ben der gro­ßen Stahl­wer­ke hat­te die Epo­che ein­ge­läu­tet, in der immer mehr tra­di­tio­nel­le Indus­trie­be­trie­be das Land ver­las­sen würden.

In jenem Som­mer war gera­de Wahl­kampf zwi­schen Mon­da­le und Rea­gan, und mehr oder weni­ger jeder, der mich mit­nahm, kam irgend­wann auf Poli­tik zu spre­chen. Der »gro­ße Kom­mu­ni­ka­tor« hat­te damals in Euro­pa kei­ne beson­ders gute Pres­se, und dies nicht ganz zu Unrecht: Er hat­te in sei­ner ers­ten Amts­zeit den Kal­ten Krieg auf eine neue Spit­ze getrie­ben (heu­te wis­sen wir, dass wir bei Able Archer bei­na­he alle drauf­ge­gan­gen wären), finan­zier­te sei­ne ideo­lo­gie­ge­trie­be­ne Wirt­schafts­po­li­tik durch eine absurd hohe Staats­ver­schul­dung und war augen­schein­lich schon damals geis­tig nicht mehr so ganz auf der Höhe. Und trotz­dem: Sie lieb­ten ihn ein­fach. Man gab offen zu, dass sich Ron­nie ver­mut­lich mor­gens zwei unter­schied­li­che Socken anzog, wenn Nan­cy nicht auf­pass­te. Man hat­te genau­so viel Angst vor einem Atom­krieg wie wir Euro­pä­er. Man wuss­te auch, dass die Trick­le-down-Poli­tik nicht funk­tio­nier­te. Aber – Man, he’s just gre­at…! Dass Rea­gan im Herbst jenes Jah­res mit über­wäl­ti­gen­der Mehr­heit wie­der­ge­wählt wur­de und Wal­ter Mon­da­le im Orkus der Geschich­te ver­schwand, war kei­ne gro­ße Überraschung.

Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, weil mir das damals alles so rät­sel­haft erschien, und bin heu­te der Mei­nung, dass die Leu­te in den besag­ten Kräh­win­keln in Ronald Rea­gan eigent­lich das Bild lieb­ten, das sie sich von sich selbst mach­ten: zupa­ckend, zukunfts­ori­en­tiert, arbeit­sam, got­tes­fürch­tig, gerecht und aus­er­wählt, die Bür­ger des Neu­en Jeru­sa­lem zu sein. Es lie­ße sich leicht ein­wen­den, dass Rea­gan dies alles nur spiel­te und das Gan­ze ohne­hin für jeman­den, der arbeits­los, geschie­den und ohne Schul­ab­schluss durchs Leben geis­tert, ein uner­reich­ba­res Ide­al ist, aber wel­cher poli­ti­sche Füh­rer ver­dien­te es »groß« genannt zu wer­den, wenn er nicht in irgend­ei­ner Form ein sol­ches Ide­al­bild ver­kör­pern wür­de? Für die libe­ra­len, moder­nen Ame­ri­ka­ner der frü­hen 1960er war Ken­ne­dys »Camelot«-Hofstaat das Ziel aller Träu­me, auch wenn JFK viel­leicht in Wirk­lich­keit nur ein noto­ri­scher Fremd­ge­her mit Rücken­pro­ble­men war, der die ers­ten Sol­da­ten nach Viet­nam schick­te. Für die Jungs aus North Plat­te, Nebras­ka, reich­te 1984 ein ehe­ma­li­ger Wes­tern­dar­stel­ler mit rasan­ter Haar­tol­le und locke­ren Sprü­chen bei Mikrofonproben.

Ich bin mir ziem­lich sicher, dass all die Leu­te, die ich damals ken­nen­ge­lernt habe, und ihre Kin­der und Kin­des­kin­der noch dazu ges­tern für den Kan­di­da­ten votiert haben, der ihnen Make Ame­ri­ca Gre­at Again! zuge­ru­fen hat. Auch hier las­sen sich tau­send Grün­de fin­den, war­um Trump an sei­nen eige­nen Ansprü­chen schei­tern wird, auch hier ist der Gra­ben zwi­schen Ide­al und Wirk­lich­keit unüber­brück­bar tief. Aber er gibt ihnen das Gefühl, wie­der die­je­ni­gen sein zu kön­nen, die sie sein möch­ten. Wer das abseh­bar böse Ende ver­hin­dern will, muss zual­ler­erst die­ses Gefühl ernst­neh­men und ver­su­chen, ihm auf ver­nünf­ti­ge Wei­se Raum zu geben. Sonst ist The Donald nur der ers­te in einer Rei­he, die jedes Mal schlim­mer wird.