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Kategorie: John Michael Greer (Seite 3 von 3)

8 — Was Evolution wirklich bedeutet

Einst im Jahr 1904 stell­te der Sozio­lo­ge Max Weber die Hypo­the­se auf, dass die Moder­ne Zeu­ge einer “Ent­zau­be­rung der Welt” sei, d. h. eines Pro­zes­ses, in dem tra­di­tio­nel­le mythi­sche Vor­stel­lun­gen, die der mensch­li­chen Exis­tenz Bedeu­tung ver­lie­hen hat­ten, immer wei­ter durch die ent­frem­den­de und ent­see­len­de Welt­an­schau­ung der mate­ria­lis­ti­schen Wis­sen­schaft ersetzt wür­den. Webers The­se ent­hält eini­ges an Wahr­heit, aber ich bin mir nicht sicher, ob er die unver­meid­li­che Gegen­re­ak­ti­on vor­aus­ahn­te: das Deh­nen oder Zurecht­stut­zen von wis­sen­schaft­li­chen Ideen, um sie in das Pro­krus­tes­bett des All­tags­den­kens zu zwän­gen – wobei vie­le von ihnen wie­der­um zu Mythen wurden. 

Ein Bei­spiel dafür, über das ich in letz­ter Zeit viel nach­den­ke, ist die Art und Wei­se, wie die Evo­lu­ti­ons­theo­rie in eine grob geschnitz­te Ersatz­my­tho­lo­gie ver­wan­delt wur­de. War­um ich dar­über nach­den­ke, hat einen ein­fa­chen Grund: Wann immer ich anläss­lich eines Vor­trags, einer Buch­si­gnie­rung oder einer sons­ti­gen öffent­li­chen Ver­an­stal­tung auf das The­ma Ölför­der­ma­xi­mum zu spre­chen kom­me, hebt garan­tiert irgend­je­mand die Hand und fragt mich, was ich von der Mög­lich­keit hal­te, dass die nahen­de Kri­se nur ein Teil­stück auf unse­rem Weg zu einer neu­en Ent­wick­lungs­stu­fe der Evo­lu­ti­on sei. Ich weiß dann in der Regel nicht, was ich ant­wor­ten soll, denn die­se Art von Fra­ge beruht so gut wie immer auf der Vor­stel­lung, dass die Evo­lu­ti­on eine linea­re Bewe­gung dar­stellt, die über eine Rei­he klar unter­scheid­ba­rer Pha­sen oder Stu­fen vor­wärts und nach oben ver­läuft – und die­se Vor­stel­lung hat so gut wie gar nichts damit zu tun, wie die Evo­lu­ti­on in der Natur tat­säch­lich funktioniert. 

Kaum ein Aspekt der Ideen­ge­schich­te ist inter­es­san­ter als das Phä­no­men, wie neue Ent­de­ckun­gen vor den Kar­ren alter Manien gespannt wer­den. Als man bei­spiels­wei­se 1895 die Rönt­gen­strah­len ent­deck­te, bestand eine der ers­ten Fol­gen die­ser Ent­de­ckung in der pani­schen Fra­ge, ob man mit den neu­en Strah­len durch Klei­dung hin­durch­se­hen könn­te; das Par­la­ment des US-Bun­des­staats New Jer­sey beriet sogar über ein Gesetz, mit dem man den Gebrauch von Rönt­gen­strah­len in Opern­glä­sern ver­bie­ten woll­te. So abwe­gig die­se Sor­ge auch sein moch­te, sie wur­zel­te in tie­fen, sexu­ell getön­ten Ängs­ten, und es dau­er­te daher Jahr­zehn­te, bis sie zer­streut war – als ich klein war, gab es in Comic-Hef­ten immer noch Anzei­gen, die angeb­li­che “Rönt­gen­bril­len” ver­kau­fen woll­ten, mit denen man ande­re nackt sehen könnte. 

Der Evo­lu­ti­ons­theo­rie erging es mehr oder weni­ger ähn­lich, und so kann man bei­na­he alle popu­lä­ren Ansich­ten über die Evo­lu­ti­on als Trüm­mer­schutt betrach­ten, der von dem Zusam­men­prall der Dar­win­schen Theo­rien mit den Obses­sio­nen sei­ner Zeit übrig­ge­blie­ben ist. Statt der Sexua­li­tät war hier die Klas­sen­ge­sell­schaft der trei­ben­de Fak­tor: Je faden­schei­ni­ger die reli­giö­sen Begrün­dun­gen des eng­li­schen Klas­sen­sys­tems wur­den, des­to eif­ri­ger wur­de nach wis­sen­schaft­li­chen Recht­fer­ti­gun­gen dafür gesucht, und kaum waren die ers­ten Exem­pla­re von “Der Ursprung der Arten” in den Buch­lä­den ange­kom­men, wur­de die Evo­lu­ti­ons­leh­re bereits für die­se dubio­sen Zwe­cke ver­ein­nahmt. Das resul­tie­ren­de Glau­bens­sys­tem war so etwas wie eine vor­grei­fen­de Par­odie auf “Die Farm der Tie­re” – alle Lebe­we­sen ent­wi­ckeln sich, aber eini­ge ent­wi­ckeln sich wei­ter als andere. 

Das ist natür­lich voll­kom­me­ner Blöd­sinn. Ein Mensch, ein Gecko, ein Löwen­zahn oder ein ein­zelli­ges Cya­no­bak­te­ri­um sind alle gleich weit ent­wi­ckelt – d. h. sie wur­den alle im sel­ben Maße durch den Druck ihrer Umwelt geformt, und ihre Vor­fah­ren waren alle einem gleich hohen Grad an natür­li­cher Selek­ti­on unter­wor­fen. Wir hal­ten Men­schen für “wei­ter ent­wi­ckelt” als Cya­no­bak­te­ri­en, weil Sozi­al­dar­wi­nis­ten des spä­ten 19. Jahr­hun­derts wie Her­bert Spen­cer einen kon­zep­tio­nel­len Taschen­spie­ler­trick anwand­ten und den amor­phen Drang des Lebens in ver­füg­ba­re öko­lo­gi­sche Nischen hin­ein in eine sozia­le Sta­tus­hier­ar­chie ver­wan­del­ten, an deren Spit­ze der eng­li­sche Gen­tle­man stand, dem alle und alles wei­ter unten zu fol­gen hat­te. Das Kon­zept der evo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lungs­stu­fen war von ent­schei­den­der Bedeu­tung für die­sen Illu­sio­nis­tentrick, denn dadurch konn­ten sozia­le Schran­ken, die zwi­schen den Klas­sen bestan­den, auf die bio­lo­gi­sche Welt über­tra­gen werden. 

In der Natur ist es aller­dings so, dass die Evo­lu­ti­on kei­ne Ent­wick­lungs­stu­fen kennt, son­dern nur Anpas­sun­gen. Es gibt kei­ne gera­de Linie, an der ent­lang die Lebe­we­sen einem Rang ent­spre­chend geord­net wer­den könn­ten. Statt­des­sen wach­sen evo­lu­tio­nä­re Abstam­mungs­li­ni­en von ihrem Ursprung weg nach außen wie die Zwei­ge eines wild wuchern­den Strau­ches. Manch­mal gibt es bei die­ser Aus­wärts­be­we­gung uner­war­te­te Rich­tungs­wech­sel, aber sol­che evo­lu­tio­nä­ren Durch­brü­che kön­nen eben­so wenig hier­ar­chisch geglie­dert wer­den wie die Orga­nis­men selbst. Die Zwei­ge wach­sen in neue ver­füg­ba­re Nischen hin­ein, nicht “nach oben” auf ein ima­gi­nä­res Ziel zu. Man könn­te dafür jedes belie­bi­ge Bei­spiel aus der Natur anfüh­ren; an die­ser Stel­le wer­de ich mich auf die Evo­lu­ti­on der Fle­der­mäu­se beschränken. 

Die Vor­fah­ren der ers­ten Fle­der­mäu­se waren spitz­maus­ar­ti­ge, insek­ten­fres­sen­de und nacht­ak­ti­ve Säu­ge­tie­re, die vor knapp 60 Mil­lio­nen Jah­ren im Blät­ter­dach der Wäl­der des Eozän her­um­flitz­ten. Für Tie­re, die auf Bäu­men woh­nen, stellt die Gefahr des Her­un­ter­fal­lens eine stän­di­ge Quel­le des Selek­ti­ons­drucks dar, und Anpas­sun­gen, die die­se Gefahr beherrsch­ba­rer machen, brei­ten sich in der Regel inner­halb einer Popu­la­ti­on schnell aus – auf die­se Wei­se kamen die Faul­tie­re zu ihren Klau­en, Neu­welt­af­fen zu ihren Greif­schwän­zen und vie­le Tie­re, sowohl aus­ge­stor­be­ne als auch rezen­te, zu zusätz­li­chen Haut­lap­pen, die als eine Art Fall­schirm die­nen. Wenn die­se zusätz­li­chen Haut­lap­pen die Kluft zwi­schen Vor­der- und Hin­ter­bei­nen über­brü­cken, was die häu­figs­te Anpas­sung dar­stellt, erhält das Tier die Fähig­keit zu glei­ten, wie etwa bei Gleit­hörn­chen oder Riesengleitern. 

Wenn sich die zusätz­li­chen Haut­lap­pen dage­gen haupt­säch­lich um die vor­de­ren Extre­mi­tä­ten her­um bil­den, tut sich eine neue Welt auf, denn nun kann das Tier die Gleit­be­we­gung sehr viel genau­er steu­ern und zu ihrer Unter­stüt­zung Mus­kel­kraft ein­set­zen – in ande­ren Wor­ten: flie­gen. Je akti­ver außer­dem sei­ne Bewe­gung über den ein­fa­chen gesteu­er­ten Fall hin­aus wird, des­to mehr von den Mil­li­ar­den schmack­haf­ter Insek­ten, die durch die Wald­luft huschen, lan­den auf sei­ner Spei­se­kar­te. Das Ergeb­nis ist ein unauf­halt­sa­mer Selek­ti­ons­druck in Rich­tung einer Ver­bes­se­rung der Flug­fä­hig­keit, und nach ein paar hun­dert­tau­send Genera­tio­nen kann man äußerst geschick­te Flug­tie­re bewun­dern. So ist es den Fle­der­mäu­sen ergan­gen, und nichts ande­res geschah 200 Mil­lio­nen Jah­re frü­her mit den Vor­fah­ren der Flugsaurier. 

Bereits vor 55 Mil­lio­nen Jah­ren schos­sen insek­ten­fres­sen­de Fle­der­mäu­se, die mehr oder weni­ger iden­tisch mit ihren heu­ti­gen Ver­wand­ten waren, durch die Lüf­te des Eozäns. Für die Ent­wick­lung der Ultra­schall­or­tung war offen­bar etwas mehr Zeit erfor­der­lich, und dies gilt auch für eini­ge Neben­li­ni­en wie etwa Frucht­fle­der­mäu­se oder Flug­hun­de, aber die grund­sätz­li­che Anpas­sung war abge­schlos­sen und hat sich – zum Miss­ver­gnü­gen zahl­lo­ser Genera­tio­nen von Mücken und Mot­ten – seit­dem nicht mehr wesent­lich geän­dert. Wie das bei evo­lu­tio­nä­ren Durch­brü­chen so der Fall ist, war der Sprung zur Flug­fä­hig­keit ein enor­mer Erfolg, schließ­lich sind Fle­der­tie­re zah­len­mä­ßig die zweit­größ­te Unter­ord­nung der Säu­ge­tie­re, nur von den Nage­tie­ren über­trof­fen. Aber es ist unmög­lich, die­sen Durch­bruch in ein linea­res Sche­ma einzupassen. 

Bei der Über­tra­gung von Kon­zep­ten aus der Evo­lu­ti­ons­theo­rie auf mensch­li­che Gesell­schaf­ten hakt es immer irgend­wo ein biss­chen, aber es besteht guter Grund zu der Annah­me, dass auch Sozi­al­ord­nun­gen einem Evo­lu­ti­ons­pro­zess unter­lie­gen: Wie die Popu­la­tio­nen ande­rer Lebe­we­sen auch sind mensch­li­che Gemein­schaf­ten Drü­cken durch ihre Umwelt aus­ge­setzt, auf die sie durch Anpas­sung oder Unter­gang reagie­ren. Aber auch hier ver­zweigt sich der evo­lu­tio­nä­re Pro­zess in alle mög­li­chen Rich­tun­gen und kann nicht in eine stu­fen­mä­ßig anstei­gen­de Hier­ar­chie geglie­dert wer­den. Jäger- und Samm­ler-Gesell­schaf­ten waren offen­bar die ursprüng­li­che Form der mensch­li­chen Sozi­al­ord­nung, aber ande­re Lini­en zweig­ten von die­sem Stamm ab und eröff­ne­ten ihren Ange­hö­ri­gen neue Mög­lich­kei­ten, die so ver­lo­ckend wir­ken muss­ten wie wohl der mit Insek­ten gefüll­te Nacht­him­mel auf die ers­ten, unbe­hol­fen flat­tern­den Ur-Fledermäuse. 

Wo man gro­ße Pflan­zen­fres­ser zäh­men konn­te, ent­stan­den daher noma­di­sche Hir­ten­ge­sell­schaf­ten; wo vie­le Nah­rungs­pflan­zen im inten­si­ven Gar­ten­bau ange­pflanzt wer­den konn­ten, führ­te dies zu Hack­bau­ge­sell­schaf­ten; wo der exten­si­ve Anbau samentra­gen­der Grä­ser die bes­ten Über­le­bens­chan­cen bot, ent­wi­ckel­ten sich Acker­bau­ge­sell­schaf­ten. Wie sich zei­gen soll­te, konn­te man Getrei­de so züch­ten, dass gro­ße, trans­port- und lage­rungs­fä­hi­ge Über­schüs­se erzielt wur­den, und auf die­se Wei­se öff­ne­te der Acker­bau die Tür zu umfas­send arbeits­tei­li­gen Gesell­schaf­ten und zum Auf­stieg der Städ­te. Dies wie­der­um ermög­lich­te die Ent­ste­hung einer kom­ple­xen mate­ri­el­len Kul­tur und führ­te letzt­end­lich zur Ent­wick­lung der Maschi­nen, mit deren Hil­fe das Reser­voir der Erde an fos­si­len Brenn­stof­fen erschlos­sen wer­den konn­te, dem die moder­ne Welt ihr drei Jahr­hun­der­te wäh­ren­des Zeit­al­ter der Üppig­keit zu ver­dan­ken hat. 

Die Indus­trie­ge­sell­schaft ist eben­so wenig “wei­ter ent­wi­ckelt” als ande­re Gesell­schafts­for­men, wie sie “weni­ger ent­wi­ckelt” ist. Sie stell­te ein­fach die erfolg­reichs­te Anpas­sung an den Selek­ti­ons­druck dar, der durch die Ver­füg­bar­ma­chung der fos­si­len Brenn­stof­fe ent­stand, und sie setz­te sich gegen ande­re Sozi­al­ord­nun­gen auf ähn­li­che Wei­se durch wie eine inva­si­ve exo­ti­sche Art gegen weni­ger robus­te ein­hei­mi­sche Orga­nis­men. Je wei­ter aber die Erschöp­fung der fos­si­len Brenn­stoff­vor­rä­te und der Kli­ma­wan­del vor­an­schrei­ten, des­to mehr ändern sich die evo­lu­tio­nä­ren Kräf­te­ver­hält­nis­se, und je mehr die neue Rea­li­tät begrenz­ter Res­sour­cen ihre Wir­kung ent­fal­tet, des­to eher wer­den durch die Selek­ti­on sol­che Sys­te­me bevor­zugt, die bes­ser an die neu­en öko­lo­gi­schen Zwän­ge von glo­ba­ler Kli­ma­in­sta­bi­li­tät, Ener­gie­knapp­heit und Res­sour­cen­man­gel ange­passt sind. 

Der Umstand, dass die­se neu­en Sys­te­me bes­ser an die neu­en Rea­li­tä­ten ange­passt sind, bedeu­tet aller­dings nicht, dass sie nicht eben­falls der Bedingt­heit aller mensch­li­chen Exis­tenz unter­lie­gen. Und damit kom­men wir nun zum Aus­gangs­punkt zurück, denn die Leu­ten, die mich nach den Aus­sich­ten für das Errei­chen einer neu­en Ent­wick­lungs­stu­fe der Evo­lu­ti­on fra­gen, wol­len nur sel­ten wis­sen, ob die Gesell­schaf­ten der Zukunft bes­ser an eine durch Res­sour­cen­knapp­heit gekenn­zeich­ne­te Umwelt ange­passt sein wer­den. In der Regel geht es ihnen viel­mehr dar­um, ob die nach einem ima­gi­nä­ren evo­lu­tio­nä­ren Durch­bruch ent­ste­hen­den Gesell­schaf­ten frei von Pro­ble­men wie Armut, Krieg und Umwelt­zer­stö­rung sind. 

Die­se Fra­ge lässt sich, wie mir scheint, am bes­ten dadurch beant­wor­ten, dass man sich den letz­ten evo­lu­tio­nä­ren Durch­bruch zu einer neu­en Lebens­form ansieht, den es in der sozia­len Evo­lu­ti­on des Men­schen gege­ben hat, näm­lich den Auf­stieg der Indus­trie­ge­sell­schaf­ten ab ca. 1750. Land­wirt­schaft­li­che Gesell­schaf­ten lit­ten unter Armut, Krieg und Umwelt­zer­stö­rung, und dies gilt genau­so für alle ande­ren “evo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lungs­stu­fen” (bes­ser gesagt: Anpas­sun­gen) bis zurück zu den Jägern und Samm­lern. Bei vie­len Jäger- und Samm­ler­ge­sell­schaf­ten der indi­ge­nen Völ­ker Nord­ame­ri­kas bei­spiels­wei­se gab es kras­se sozia­le Gegen­sät­ze, einen flo­rie­ren­den Skla­ven­markt und end­lo­se, blu­ti­ge Stam­mes­krie­ge. Ihre Ein­bet­tung in die Gesamt-Öko­lo­gie war weni­ger pro­ble­ma­tisch, denn die­je­ni­gen indi­ge­nen Gesell­schaf­ten, die kein Gleich­ge­wicht mit der Natur gefun­den hat­ten, etwa die Mount­buil­der oder die Leu­te vom Cha­co Can­yon, waren lan­ge vor 1492 zusammengebrochen. 

Eben­so wie Fle­der­mäu­se sich hin­sicht­lich Hun­ger, Rang­ord­nungs­kämp­fen und uner­wünsch­ter Auf­merk­sam­keit durch Raub­tie­re mit den­sel­ben Pro­ble­men her­um­schla­gen müs­sen wie ihre Vor­fah­ren, waren auch die Gesell­schaf­ten, die die indus­tri­el­le Lebens­wei­se annah­men, nicht anders als frü­he­re Gesell­schaf­ten mit Armut, Krieg und Umwelt­zer­stö­rung kon­fron­tiert, und man muss sich schon fra­gen, war­um wohl die Gesell­schaf­ten, die als Reak­ti­on auf den Selek­ti­ons­druck der Deindus­tria­li­sie­rung ent­ste­hen wer­den, von die­sen Schwie­rig­kei­ten aus­ge­nom­men blei­ben soll­ten. Evo­lu­tio­nä­re Anpas­sun­gen kön­nen Lebe­we­sen bestimm­te Din­ge erleich­tern – eini­ge der Raub­tie­re des Eozän dürf­ten eher unwirsch reagiert haben, als die Fle­der­mäu­se die Fähig­keit erwar­ben, in Sicher­heit zu flat­tern –, aber kein Lebe­we­sen ist von den Aus­ta­rie­run­gen der Natur aus­ge­nom­men. Es ist, anders gesagt, ein Feh­ler, die Evo­lu­ti­on so zu ver­ste­hen, dass dadurch ein uto­pi­scher Zustand erreicht wer­den soll. 

Wann immer ich irgend­ei­nen der vor­ste­hen­den Gedan­ken öffent­lich vor­brin­ge, besteht aller­dings irgend­je­mand – es muss nicht der­je­ni­ge sein, der die ursprüng­li­che Fra­ge gestellt hat – dar­auf, das ja viel­leicht die bio­lo­gi­sche Evo­lu­ti­on so funk­tio­nie­re, die spi­ri­tu­el­le Evo­lu­ti­on aber sei etwas ande­res. Eini­ge mei­ner Leser for­mu­lie­ren viel­leicht gera­de den­sel­ben Ein­wand. Ich kann dar­auf nur ant­wor­ten, dass ich kei­ne der gro­ßen spi­ri­tu­el­len Tra­di­tio­nen der Welt ken­ne, die dahin­ge­hend zu inter­pre­tie­ren wäre, dass Men­schen, die ein pri­vi­le­gier­tes Leben in Wohl­stand und Luxus füh­ren – und letz­ten Endes ist die­se Beschrei­bung des Lebens in den moder­nen Indus­trie­ge­sell­schaf­ten vom Stand­punkt der übri­gen Mensch­heits­ge­schich­te aus voll­kom­men zutref­fend –, einen plötz­li­chen Sprung in ein Leben mit noch mehr Luxus und Kom­fort zu erwar­ten hät­ten, allein weil sie dies zufäl­lig wün­schens­wert fin­den, und dies außer­dem ein beque­mer Weg für sie wäre, den Kon­se­quen­zen ihrer eige­nen, kurz­sich­ti­gen Ent­schei­dun­gen aus dem Weg zu gehen. 

Die­se Wor­te klin­gen viel­leicht unan­ge­mes­sen harsch. Nichts­des­to­trotz ist die Vor­stel­lung, ein Sprung auf eine höhe­re Stu­fe der Evo­lu­ti­on wür­de uns vor dem Schla­mas­sel bewah­ren, das wir selbst ange­rich­tet haben, nicht weni­ger eine Ver­zer­rung des tat­säch­li­chen Evo­lu­ti­ons­pro­zes­ses als jedes belie­bi­ge sozi­al­dar­wi­nis­ti­sche Mach­werk. Wer glau­ben möch­te, dass uns ein Wun­der vor dem ver­häng­nis­vol­len Schick­sal der Indus­trie­ge­sell­schaft bewah­ren könn­te, hat jedes Recht dazu, die­sen Glau­ben aus­zu­üben, aber der Gedan­ken­aus­tausch dar­über wür­de sich durch­aus ver­ein­fa­chen, wenn man das Wun­der auch als sol­ches bezeich­ne­te, anstatt es in den geborg­ten Anzug der Dar­win­schen Theo­rien zu ste­cken. Viel­leicht han­delt es sich da um ein Vor­ur­teil, dass sich mei­nem eige­nen Drui­den-Glau­ben ver­dankt, aber mir scheint doch, dass wir die Evo­lu­ti­on nur dann als Meta­pher ver­wen­den soll­ten, wenn wir sie auch wirk­lich ernst neh­men, anstatt unse­re eige­nen Phan­ta­sie­vor­stel­lun­gen auf die ganz anders fun­dier­ten Geschich­ten zu pro­ji­zie­ren, die uns die Natur erzählt. 

http://thearchdruidreport.blogspot.com/2008/12/taking-evolution-seriously.html

3.12.2008

9 — Die Ökologie des sozialen Wandels

Im letzt­wö­chi­gen Bei­trag für den Arch­druid Report bin ich ein wenig von mei­nem übli­chen The­men­spek­trum abge­wi­chen und habe mich mit dem beschäf­tigt, was ich die “Por­no­gra­phie der poli­ti­schen Angst” in den USA nen­ne. Für die­se Abwei­chung hat­te ich aller­dings mei­ne Grün­de: Ich woll­te die Auf­merk­sam­keit auf die reflex­haf­te Ten­denz so vie­ler Ame­ri­ka­ner rich­ten, eine letzt­end­lich para­no­ide Mytho­lo­gie des leib­haf­ti­gen Bösen auf den jeweils ent­ge­gen­ge­setz­ten Teil des poli­ti­schen Spek­trums zu pro­ji­zie­ren, und auf die­se Wei­se eine Debat­te dar­über in Gang brin­gen, wie immens tief der Gra­ben zwi­schen Erwar­tun­gen und Rea­li­tä­ten ist, der jede Initia­ti­ve zum sozia­len Wan­del lähmt, hier in Ame­ri­ka wie anderswo. 

Ich muss sagen, dass die wah­ren Gläu­bi­gen die­ser Mytho­lo­gie den Köder mit gro­ßem Enthu­si­as­mus geschluckt haben. Ich erhielt eine rekord­ver­däch­ti­ge Men­ge an wüten­den, in leb­haf­ter und teil­wei­se nicht druck­fä­hi­ger Spra­che gehal­te­nen Schimpf­ka­no­na­den, weil ich den Vor­schlag gemacht hat­te, man sol­le doch Men­schen anhand ihrer Taten beur­tei­len, nicht anhand der Absich­ten, die ihnen von ihren ärgs­ten Fein­den unter­stellt wer­den. Am meis­ten gefiel mir dar­un­ter eine don­nern­de Ankla­ge­re­de, die mit der For­de­rung been­det wur­de, ich sol­le umge­hend von mei­nem Amt als Erz­drui­de zurück­tre­ten. Der Ver­fas­ser umschiff­te irgend­wie die Fra­ge, war­um die Bereit­schaft, sei­ne extre­mis­ti­sche Ideo­lo­gie zu akzep­tie­ren, eine Vor­aus­set­zung für das Beklei­den die­ser Posi­ti­on sein soll­te, daher bin ich auf sei­nen Rat nicht eingegangen. 

Zufäl­li­ger­wei­se ver­brach­te ich dann den Groß­teil des Wochen­en­des damit, die denk­wür­dig bizar­ren Lebens­er­in­ne­run­gen Erin­ne­run­gen, Träu­me, Gedan­ken von C. G. Jung zu lesen, daher war es schwie­rig, nicht sofort an die Bedeu­tung des Jung’schen Kon­zepts der Schat­ten­pro­jek­ti­on für all dies zu den­ken. Der “Schat­ten” ist Jungs Bezeich­nung für den Müll­con­tai­ner des Geis­tes, in den ein­zel­ne Men­schen und gan­ze Gesell­schaf­ten die Aspek­te ihres Selbst packen, mit denen sie nicht kon­fron­tiert wer­den möch­ten. Wenn der Müll­con­tai­ner zu voll wird, führt einer der mög­li­chen Fluch­ten vor der dro­hen­den Selbst­er­kennt­nis dazu, den Inhalt auf jemand ande­ren abzu­la­den und zu behaup­ten, die frag­wür­di­gen Eigen­schaf­ten sei­en die jenes Sün­den­bocks und nicht die eigenen. 

Man muss sich in die­sem Zusam­men­hang vor Augen hal­ten, dass Sün­den­bö­cke nur in moder­nen Moral­dra­men unwei­ger­lich tugend­haft und unschul­dig sind. In der Wirk­lich­keit ist es hin­ge­gen häu­fig so, dass die betref­fen­de Per­son durch­aus Feh­ler hat, auch sol­che schwer­wie­gen­der Art, und die­se Feh­ler wer­den dann dafür ver­wen­det, sämt­li­che Anschul­di­gun­gen zu recht­fer­ti­gen, mit denen sie sonst noch über­häuft wird. Die­ser Mecha­nis­mus scheint bei allen Men­schen ver­brei­tet zu sein – ich zweif­le sehr dar­an, dass irgend­je­mand von uns völ­lig frei davon ist, den Men­schen, die wir nicht mögen, unse­re eige­nen schlimms­ten Eigen­schaf­ten anzu­dich­ten –, zeigt aber je nach Indi­vi­du­um, Kul­tur und his­to­ri­scher Epo­che ver­schie­den star­ke Aus­prä­gun­gen, und Jung hat­te sicher recht damit zu beto­nen, dass er dann am stärks­ten wirkt, wenn ein Ein­zel­ner oder eine Gesell­schaft von dem Gegen­satz zwi­schen dem, was sein soll, und dem, was ist, zer­ris­sen wird. 

Wel­chen grö­ße­ren his­to­ri­schen Aus­bruch an gewalt­tä­ti­ger und mas­sen­haf­ter Opfe­rung von Sün­den­bö­cken man auch immer betrach­tet – er fand in der Regel im Kon­text eines sozi­al akzep­tier­ten Glau­bens­sys­tems statt, das mit einer ver­än­der­ten Welt nicht mehr Schritt hal­ten konn­te. In den euro­päi­schen Hexen­ver­fol­gun­gen zeig­te sich bei­spiels­wei­se der Zusam­men­bruch der spät­mit­tel­al­ter­li­chen Welt­vor­stel­lun­gen, die sich in dem Maße zum Dog­ma ver­här­te­ten, wie sie an den Rän­dern aus den Fugen gerie­ten, und eben­so spiel­te die fata­le Kluft zwi­schen den Träu­men von einer deut­schen Welt­herr­schaft und dem tat­säch­li­chen Sta­tus Deutsch­lands als klei­nes Land ohne Ölre­ser­ven und leicht zu ver­tei­di­gen­de Gren­zen in einer Ära raum­grei­fen­der Erd­öl-Impe­ri­en eine wich­ti­ge Rol­le dabei, den Boden für die kata­stro­pha­le Geschich­te des Lan­des im 20. Jahr­hun­dert zu bereiten. 

Aus die­ser Per­spek­ti­ve gese­hen wird die Lage im heu­ti­gen Ame­ri­ka dadurch inter­es­sant, dass der dor­ti­ge Main­stream eben­so wie die ver­schie­de­nen selbst­er­nann­ten alter­na­ti­ven Gegen­kul­tu­ren in ver­gleich­ba­re emo­tio­na­le Zwick­müh­len gera­ten sind. Vie­le mei­ner Bei­trä­ge hier, und natür­lich jede Men­ge exzel­len­ter Ana­ly­sen ande­rer Autoren, dre­hen sich dar­um, wie die Nar­ra­ti­ve des heu­ti­gen kul­tu­rel­len Main­streams in den USA eine Welt­sicht des ewi­gen Fort­schritts und gren­zen­lo­sen Über­flus­ses auf der Grund­la­ge der vor­über­ge­hen­den Ver­füg­bar­keit bil­li­ger fos­si­ler Brenn­stof­fe geschaf­fen haben, die durch das Ende des Ölzeit­al­ters hoff­nungs­los irrele­vant wird. Weni­ger oft dis­ku­tiert, und mei­ner Mei­nung nach auch weni­ger häu­fig beach­tet, wird der Umstand, dass die meis­ten der gän­gi­gen Vor­schlä­ge, wie die jet­zi­ge Gesell­schafts­ord­nung durch eine bes­se­re zu erset­zen wäre, eben­so auf Vor­stel­lun­gen von der Welt basie­ren, die sich im Lich­te der Rea­li­tät als kaum halt­bar erweisen. 

Die­se Dis­kre­panz lässt sich am bes­ten ent­lang einer spe­zi­fi­schen Bruch­li­nie ver­fol­gen, die Visio­nen der Zukunft von den jet­zi­gen Rea­li­tä­ten trennt. Eine typi­sche Eigen­schaft der in letz­ter Zeit vor­ge­brach­ten Vor­schlä­ge für grund­le­gen­den sozia­len Wan­del besteht dar­in, dass die davon aus­ge­mal­te bes­se­re Welt – jeden­falls in theo­re­ti­scher Hin­sicht – in jeder von den jewei­li­gen Ver­fas­sern betrach­te­ten Hin­sicht bes­ser ist. Es ist sel­ten von Kom­pro­mis­sen die Rede, und man ver­misst jedes Gefühl für die bit­te­ren Ent­schei­dun­gen, auf die die Wahl­mög­lich­kei­ten rea­ler Gesell­schaf­ten in der rea­len Welt so oft beschränkt sind. Die Bewoh­ner der glück­li­chen Zukunft müs­sen weder zwi­schen Frie­den und Frei­heit noch zwi­schen der Ernäh­rung der Hun­gern­den und dem Umwelt­schutz wäh­len, sie müs­sen zwi­schen über­haupt nichts wäh­len – hat man erst das rich­ti­ge Gesell­schafts­sys­tem, so scheint die Schluss­fol­ge­rung, muss man offen­bar kei­ner­lei Abstri­che mehr machen. 

Wenn man nun die Wege betrach­tet, auf denen die­se bes­se­ren Wel­ten erreicht wer­den sol­len, tut sich die­sel­be Kluft auf. Ob man nun auf Orga­ni­sa­tio­nen, poli­ti­schen Aktio­nis­mus und der­glei­chen oder auf irgend­ei­nen Deus ex machi­na ver­traut, ob die gro­ße Umwäl­zung der alten Ord­nung über eine Kata­stro­phe oder auf mys­ti­sche Wei­se erreicht wer­den soll – bei­na­he immer wird vor­aus­ge­setzt, dass das ein­zi­ge Hin­der­nis auf dem Weg nach Uto­pia, der ein­zi­ge Fak­tor, der die Men­schen zu schwie­ri­gen und unlieb­sa­men Ent­schei­dun­gen zwingt, in den Insti­tu­tio­nen, Men­schen und Ein­stel­lun­gen der heu­ti­gen Welt begrün­det ist. 

Die­se selt­sa­me Denk­ge­wohn­heit beruht auf einer ein­zi­gen Annah­me, näm­lich der, dass die mög­li­che Per­fek­ti­on der mensch­li­chen Gesell­schaft durch nichts wei­ter als mensch­li­che Ent­schei­dun­gen begrenzt wäre. Der Annah­me zugrun­de liegt wie­der­um der Ver­nunft­kult des Auf­klä­rungs­zeit­al­ters mit sei­nem Pres­ti­ge und sei­ner Über­zeu­gung, dass allein die Kon­struk­ti­on einer bes­se­ren sozia­len Mau­se­fal­le aus­reicht, um die Mensch­heit schnur­stracks nach Uto­pia zu ver­set­zen. Es fällt aller­dings schwer, sich eine Annah­me vor­zu­stel­len, die von der Geschich­te gründ­li­cher wie­der­legt wor­den wäre. Kon­se­quen­ter­wei­se hat sich eine Gesell­schaft denn auch als umso desas­trö­ser in der Pra­xis erwie­sen, je uto­pi­scher sie sich in der Theo­rie aus­ge­macht hat­te. Wer immer für sozia­len Wan­del ein­tritt, beharrt in der Regel dar­auf, dass dies bei sei­ner spe­zi­el­len neu­en Gesell­schaft anders sei, aber von der heu­ti­gen geschicht­li­chen War­te aus gese­hen wirkt die­ses Behar­ren doch reich­lich abgenutzt. 

Die Crux bei den meis­ten der heu­ti­gen Ideen für sozia­len Wan­del könn­te also genau dar­in lie­gen, dass sie – auch wenn sie im Gewand öko­lo­gi­scher Schlag­wör­ter ein­her­ge­hen – auf einer fun­da­men­ta­len Ver­leug­nung öko­lo­gi­scher Prin­zi­pi­en beru­hen. Man stel­le sich für einen Moment vor, wir wür­den nicht über mensch­li­che Gesell­schaf­ten, son­dern über Öko­sys­te­me reden, die aus ande­ren Lebe­we­sen bestehen. Sol­che Öko­sys­te­me haben sich über vie­le Genera­tio­nen hin­weg in Bezie­hung zu ande­ren, leben­den wie nicht-leben­den Sys­te­men ent­wi­ckelt, und sie wer­den über kom­ple­xe Gleich­ge­wichts­me­cha­nis­men aus­ta­riert, deren Ana­ly­se die Wis­sen­schaft vor die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen stellt. Was pas­siert, wenn Men­schen sich dar­an machen, sol­che Öko­sys­te­me so umzu­bau­en, dass sie ihnen den größt­mög­li­chen Nut­zen brin­gen, ins­be­son­de­re wenn sie glau­ben, dass die neu ent­stan­de­nen Öko­sys­te­me, wenn sie ihnen nur gefal­len, zwangs­läu­fig auch sta­bil, aus­ge­wo­gen und gesund sein müssen? 

Natür­lich brau­chen wir die Ant­wort auf die­se Fra­ge nicht zu mut­ma­ßen – die kata­stro­pha­len Ergeb­nis­se des mensch­li­chen Miss­ma­nage­ments natür­li­cher Öko­sys­te­me sind nur all­zu gut doku­men­tiert. Unse­re Spe­zi­es hat wie­der und wie­der schmerz­haft erfah­ren müs­sen, dass Ände­run­gen an Öko­sys­te­men nur mit extre­mer Vor­sicht vor­ge­nom­men wer­den dür­fen. Sol­che Ände­run­gen sind nicht unmög­lich – welt­weit haben tra­di­tio­nel­le Gesell­schaf­ten Wege gefun­den, wie sie ihre Umwelt zum mensch­li­chen Nut­zen umge­stal­ten kön­nen, ohne die Gesamt­in­te­gri­tät des Öko­sys­tems zu gefähr­den, und die heu­ti­gen Per­ma­kul­turis­ten und Ent­wick­ler ange­pass­ter Tech­no­lo­gie zie­len in die­sel­be Rich­tung –, aber sie kön­nen nur in klei­nen Schrit­ten erfol­gen, und man braucht dafür gro­ßes Wis­sen und noch grö­ße­re Geduld. 

Ich bin immer mehr der Mei­nung, dass dies auch für mensch­li­che Gesell­schaf­ten gilt. Das Stu­di­um der Öko­lo­gie des Men­schen hat gezeigt, dass unse­re Spe­zi­es und unse­re Gesell­schaf­ten von den­sel­ben Prin­zi­pi­en geformt wer­den, die auch für die Umwelt­be­zie­hun­gen ande­rer Spe­zi­es und ande­rer Gesell­schaf­ten gel­ten. Wie die­se ande­ren Lebe­we­sen sind Men­schen für ihr Über­le­ben von natür­li­chen Zyklen abhän­gig und unter­lie­gen natür­li­chen Gren­zen. Wie die Gesell­schaf­ten ande­rer Lebe­we­sen wer­den mensch­li­che Gesell­schaf­ten – vom Dorf bis zum Natio­nal­staat – von ihrer Geschich­te geformt, pas­sen sich an ihre Umwelt an, müs­sen har­te Ent­schei­dun­gen tref­fen, um zwi­schen kon­kur­rie­ren­den Gütern zu wäh­len, und reagie­ren auf radi­ka­le Ände­run­gen selbst­re­gu­lie­rend mit kom­pen­sie­ren­den Gegenbewegungen. 

Sozia­ler Wan­del ist daher – eben­so wie der Wan­del von Öko­sys­te­men – durch­aus mög­lich, muss aber mög­li­cher­wei­se ganz anders ange­gan­gen wer­den als in den uto­pi­schen Ideo­lo­gien der Gegen­wart und jüngs­ten Ver­gan­gen­heit vor­ge­se­hen. Wenn wir die mensch­li­che Öko­lo­gie ernst­neh­men, soll­ten wir wohl damit anfan­gen, die öko­lo­gi­schen Bedin­gun­gen – die Bezie­hun­gen zwi­schen Men­schen, ande­ren Lebe­we­sen und der unbe­leb­ten Natur – zu stu­die­ren, die wün­schens­wer­ten sozia­len Wan­del begüns­ti­gen könn­ten. Dann kön­nen die­je­ni­gen, die einen sol­chen Wan­del anstre­ben, sich – ganz wie die Gärt­ner in tra­di­tio­nel­len Stam­mes­ge­mein­schaf­ten, die vor­sich­tig schäd­li­che durch Nutz­pflan­zen erset­zen – dar­an machen, sol­che Bedin­gun­gen zu schaf­fen. Dabei müs­sen sie aber immer die Ergeb­nis­se im Auge behal­ten und sich von ihrer Erfah­rung lei­ten las­sen, nicht von irgend­wel­chen Ideologien. 

Soweit mir bekannt ist, keimt die Kunst der ange­wand­ten mensch­li­chen Öko­lo­gie oder sozia­len Öko­tech­nik bis­lang nur aus­ge­spro­chen spär­lich, und es wer­den kei­ne gerin­gen Anstren­gun­gen nötig sein, um ihr zukünf­ti­ges Wachs­tum zu sichern. Nichts­des­to­trotz ist der Ver­such, einer bes­se­re Gesell­schaft zu schaf­fen, indem man sie an irgend­ein ideo­lo­gi­sches Modell anpasst, so lücken­los schief­ge­gan­gen, dass es höchs­te Zeit ist, mal etwas ande­res zu probieren. 

http://thearchdruidreport.blogspot.com/2009/01/ecology-of-social-change.html

deut­sche Über­set­zung Bernd Ohm 2009, mit frdl. Geneh­mi­gung von John Micha­el Greer) 

28.1.2009

10 — Das Ziel: Ökosophie

In einem frü­he­ren Bei­trag (Die Öko­lo­gie des sozia­len Wan­dels) habe ich die The­se auf­ge­stellt, dass die meis­ten Vor­schlä­ge, wie sozia­ler Wan­del zu errei­chen wäre, unter dem schwe­ren Man­gel lei­den, die öko­lo­gi­schen Dimen­sio­nen der mensch­li­chen Gesell­schaft zu igno­rie­ren. Es ist aller­dings bei­na­he unmög­lich, die­sen Feh­ler nicht zu bege­hen, denn er grün­det nicht ein­fach in bewusst ver­tre­te­nen Über­zeu­gun­gen; vie­le der­je­ni­gen, die sich für sozia­len Wan­del ein­set­zen, sind ja in öko­lo­gi­scher Hin­sicht nicht unge­bil­det. Es sind viel­mehr die sol­chen Plä­nen zugrun­de­lie­gen­den unge­prüf­ten und oft­mals unbe­wuss­ten Vor­an­nah­men, die ihre Befür­wor­ter den öko­lo­gi­schen Rea­li­tä­ten gegen­über blind machen – und die Anstren­gung, sich den eige­nen Vor­an­nah­men zu stel­len, wird in der Regel eher sel­ten unternommen. 

Einer der Fak­to­ren, die das Ende des Indus­trie­zeit­al­ters für vie­le so schwer begreif­bar machen, ist der Unter­schied zwi­schen Wis­sen­schaft und dem (auch als Szi­en­tis­mus bekann­ten) Wis­sen­schafts­glau­ben. Bei der Wis­sen­schaft han­delt es sich im Kern um eine Metho­de der prak­ti­schen Logik, mit der Hypo­the­sen auf­ge­stellt und in der Pra­xis getes­tet wer­den. Der Wis­sen­schafts­glau­be hin­ge­gen ist eine Welt­an­schau­ung und ein Wer­te­sys­tem. Zugrun­de liegt ihm das Behar­ren dar­auf, dass jene Fra­gen, die mit Hil­fe der wis­sen­schaft­li­chen Metho­de beant­wor­tet wer­den kön­nen, die wich­tigs­ten Fra­gen dar­stel­len, die ein Mensch stel­len kann, und dass das von der Wis­sen­schaft gezeich­ne­te Bild der Welt eine bes­se­re Annä­he­rung an die Rea­li­tät dar­stellt als jedes ande­re. Wis­sen­schaft und Wis­sen­schafts­glau­be sind nicht iden­tisch, aber es gehört zu den am wei­tes­ten ver­brei­te­ten Denk­ge­wohn­hei­ten der Moder­ne, von die­ser Iden­ti­tät aus­zu­ge­hen – oder, bes­ser gesagt, von einer “Wis­sen­schaft als sol­cher”, ohne den Unter­schied zum Wis­sen­schafts­glau­ben als Welt­an­schau­ung über­haupt wahrzunehmen. 

Dies ist kein neu­es Phä­no­men; die Mehr­heit der Werk­zeu­ge, deren sich der Intel­lekt bedient, haben zu ent­spre­chen­den Welt­an­schau­un­gen und Wert­vor­stel­lun­gen geführt. Dies lässt sich bei­spiels­wei­se am Bei­spiel der klas­si­schen Logik bele­gen. Die grie­chi­schen und römi­schen Phi­lo­so­phen ent­wi­ckel­ten die Logik zu ihrem grund­le­gen­den Werk­zeug, defi­nier­ten die Rea­li­tät als all das, was auf ver­ba­le Aus­sa­gen redu­ziert und durch logi­sche Mit­tel ana­ly­siert wer­den kann, und ver­bann­ten den Rest in das Apei­ron, das Reich des Form­lo­sen und Unbe­stimm­ba­ren. Die Ergeb­nis­se waren maß­ge­bend für die Mehr­zahl der Erfol­ge und Fehl­schlä­ge der anti­ken Geis­tes­ge­schich­te. Es fällt nicht schwer, den alten Phi­lo­so­phen ihre Unter­las­sun­gen vor­zu­hal­ten – bei den Debat­ten um Gerech­tig­keit etwa kam es kei­nem der Betei­lig­ten in den Sinn, die öko­no­mi­sche Abhän­gig­keit der anti­ken Welt von der Skla­ve­rei in die Pro­blem­stel­lung mit ein­zu­be­zie­hen –, aber natür­lich ist das moder­ne Den­ken von nicht weni­ger gro­ßen blin­den Fle­cken gekennzeichnet. 

Was der klas­si­schen Logik ihre Ver­bal­aus­sa­gen waren, ist der wis­sen­schaft­li­chen Metho­de ihre Quan­ti­fi­zie­rung: Phä­no­me­ne, die sich nicht in Zah­len aus­drü­cken las­sen, kön­nen in der Regel nicht durch die wis­sen­schaft­li­che Metho­de unter­sucht wer­den. Kon­se­quen­ter­wei­se haben vie­le Wis­sen­schaft­ler alles, was sich nicht quan­ti­fi­zie­ren lässt, in ihre eige­ne Ver­si­on des Apei­ron ver­bannt. Der Hin­weis auf die­se schlech­te Denk­ge­wohn­heit bedeu­tet kei­ne Ver­dam­mung der Wis­sen­schaft oder auch nur des Wis­sen­schafts­glau­bens; viel­mehr zollt man dadurch ein­fach der Tat­sa­che Tri­but, dass kein Werk­zeug für alle Arbeits­ein­sät­ze geeig­net ist. Trotz­dem ist die natür­li­che Nei­gung klei­ner Kin­der mit einem Ham­mer in der Hand, die Welt um sich her­um als gro­ßen Nagel zu betrach­ten, nicht der ein­zi­ge rele­van­te Fak­tor, der hier zur Wir­kung kommt. Auch die wis­sen­schaft­li­che Metho­de selbst wird oft­mals zu einem Hin­der­nis beim Bemü­hen um Klarheit. 

Denn schließ­lich gehö­ren Welt­an­schau­un­gen und Wert­vor­stel­lun­gen zu den Din­gen, die über die wis­sen­schaft­li­chen Metho­dik am schlech­tes­ten erfasst wer­den kön­nen ¬– wie soll­te man auch ein Wert­ur­teil quan­ti­fi­zie­ren? –, und die­ses Pro­blem wird beson­ders gra­vie­rend, wenn die Wis­sen­schaft die von ihr selbst aus­ge­gan­ge­nen Welt­an­schau­un­gen und Wert­vor­stel­lun­gen unter­sucht. Durch kei­ne kon­trol­lier­te Dop­pel­blind­stu­die der Welt ist her­aus­zu­fin­den, ob die von der Wis­sen­schaft ent­hüll­ten Wahr­hei­ten wich­ti­ger sind als sol­che, die auf ande­re Wei­se ans Licht kom­men, und noch viel weni­ger, ob die wis­sen­schaft­li­che Metho­de die größ­te Hoff­nung für die Zukunft der Mensch­heit dar­stellt. Nur, weil es Wis­sen­schaft­ler sind, die sol­che Behaup­tun­gen auf­stel­len, wer­den sie noch lan­ge nicht zu Wis­sen­schaft. Viel­mehr gehö­ren sie zu den Wert­vor­stel­lun­gen, die vom Wis­sen­schafts­glau­ben herrühren. 

Das­sel­be kann man abso­lut auch über die angeb­li­che “Erobe­rung der Natur” durch den Men­schen sagen, viel­leicht das prä­gnan­tes­te Kon­zept des Wis­sen­schafts­glau­bens. Eine mili­tä­ri­sche Meta­pher, die aus der Mensch­heit den Feind der Erde macht, ist eine selt­sa­me Beschrei­bung für unse­re Bezie­hun­gen zu den natür­li­chen Sys­te­men, die Grund­la­ge unse­res Über­le­bens sind. Nichts­des­to­trotz muss man nur leicht an den heu­te ver­brei­te­ten Ansich­ten über die Natur krat­zen, und das abge­dro­sche­ne Kli­schee vom Men­schen als deren “Bezwin­ger” kommt zum Vor­schein. Selbst die Nar­ra­ti­ve der moder­nen Umwelt­be­we­gung stel­len die­se Sicht­wei­se nicht etwa in Fra­ge, son­dern ver­stär­ken sie sogar noch, denn in den meis­ten Fäl­len glo­ri­fi­zie­ren sie die Kräf­te des Men­schen, indem sie sich die Behaup­tung zu eigen machen, dass wir der­art mäch­tig gewor­den sei­en, dass wir die gan­ze Erde und uns selbst gleich mit zer­stö­ren könnten. 

Der Wider­spruch zwi­schen die­sen Vor­stel­lun­gen und den har­schen Rea­li­tä­ten der Gren­zen des Wachs­tums könn­te aus­ge­präg­ter kaum sein. Unse­re gegen­wär­ti­ge Lage ist durch Beschrän­kun­gen defi­niert, nicht durch das mensch­li­che Leis­tungs­ver­mö­gen, denn die tech­no­lo­gi­schen Revo­lu­tio­nen und Wirt­schafts­booms, die für die meis­ten moder­nen Men­schen selbst­ver­ständ­lich sind, haben ihre Ursa­che in einer kur­zen Peri­ode der Extra­va­ganz, in der wir eine hal­be Mil­li­ar­de Jah­re an gespei­cher­tem Son­nen­licht ver­schleu­dert haben. Die von uns bean­spruch­ten Kräf­te waren nie­mals wirk­lich die uns­ri­gen, und wir haben die Natur auch nie wirk­lich besiegt; statt­des­sen haben wir ihre Koh­len­stoff­spei­cher geplün­dert und den Groß­teil von deren Inhalt ver­ju­belt. Jetzt wer­den die Rech­nun­gen fäl­lig, die Haben­sei­te der Bilanz reicht nicht aus, um unse­re Schul­den zu beglei­chen, und frag­lich bleibt ein­zig, wie vie­le der Reich­tü­mer, die wir all die­sem Koh­len­stoff ver­dan­ken, uns noch gehö­ren wer­den, wenn die Natur ihr Kon­kurs­ver­fah­ren been­det hat. 

Sol­che Aus­sich­ten sind unver­ein­bar mit der Mehr­zahl der heu­te ver­brei­te­ten Ansich­ten über die Natur und den Platz der Mensch­heit dar­in, und sie pas­sen genau­so wenig zum Glau­ben der Auf­klä­rung an die Ver­nunft als Pfor­te zu einer bes­se­ren Welt. Einer der wich­tigs­ten Leit­sät­ze die­ses Glau­bens sagt, dass jede Man­gel­haf­tig­keit ein Pro­blem dar­stellt, das gelöst wer­den muss – und kann. Die Vor­stel­lung, dass es äußerst man­gel­haf­te Umstän­de geben könn­te, die nicht besei­tigt wer­den kön­nen, son­dern mit denen man eben leben muss, ist undenk­bar und stellt für vie­le Men­schen eine Belei­di­gung dar. Aber wenn das mensch­li­che Dasein unnach­gie­bi­gen öko­lo­gi­schen Begren­zun­gen unter­liegt, kol­la­biert das Nar­ra­tiv der mensch­li­chen All­macht, und lei­den­schaft­lich ver­tre­te­ne Ansich­ten über die mensch­li­che Natur und Bestim­mun­gen tun es ihm gleich. 

Es wür­de all­zu leicht fal­len, die Rol­le des Schur­ken in die­sem Schau­spiel mit dem Wis­sen­schafts­glau­ben zu beset­zen, aber der Szi­en­tis­mus ist ledig­lich das jüngs­te Bei­spiel für die mensch­li­che Nei­gung, eine erfolg­rei­che Tech­no­lo­gie in eine all­ge­mei­ne Defi­ni­ti­on des Uni­ver­sums umzu­mün­zen. Jäger und Samm­ler sehen in den Tie­ren, die sie jagen, und den Pflan­zen, die sie sam­meln, die Bau­stei­ne des Kos­mos; Acker­bau­völ­ker betrach­ten ihre Welt durch die Lin­se von Boden, Samen und dem Wan­del der Jah­res­zei­ten – die Anstren­gun­gen der anti­ken Zivi­li­sa­ti­on, in einer Welt der Logik zu leben, und die der moder­nen Indus­trie­zi­vi­li­sa­ti­on, eine voll­kom­men wis­sen­schaft­li­che zu errich­ten, sind ein­fach nur zwei wei­te­re Bei­spie­le. Dar­über hin­aus stell­te der Wis­sen­schafts­glau­be auch nicht immer eine sol­che Fehl­an­pas­sung dar wie heu­te. Wäh­rend der Hoch­pha­se des Indus­trie­zeit­al­ters lenk­te er die mensch­li­chen Anstren­gun­gen auf etwas, das sei­ner­zeit ein erfolg­rei­ches mensch­li­ches Öko­sys­tem war. Im Nach­hin­ein stellt sich das gren­zen­lo­se Ver­trau­en des Wis­sen­schafts­glau­bens in die Macht der mensch­li­chen Ver­nunft gera­de­zu als Mus­ter­bei­spiel für das her­aus, was die alten Grie­chen Hybris nann­ten, den anma­ßen­den Stolz der dem Unter­gang geweih­ten. Sei­ner­zeit war das aller­dings alles ande­re als deut­lich, und man könn­te mit Fug und Recht behaup­ten, dass der Wis­sen­schafts­glau­be heu­te ein­fach des­halb zu einem Pro­blem gewor­den ist, weil er sein Ver­falls­da­tum über­schrit­ten hat. 

Wie dem auch sei – die Kul­tu­ren des Zeit­al­ters der Deindus­tria­li­sie­rung wer­den der Natur gegen­über eine Hal­tung pfle­gen müs­sen, die sich aus­ge­spro­chen von jener des Szi­en­tis­mus unter­schei­det: eine Hal­tung, die mit Demut beginnt anstatt mit Hybris, und man beach­te dabei, dass das latei­ni­sche Wort für die Demut, Humi­li­tas, die­sel­be Wur­zel hat wie Humus, der Mut­ter­bo­den, von dem wir alle abhän­gen, um unse­re lebens­spen­den­de Nah­rung zu gewin­nen. Eine sol­che Hal­tung lässt wenig Platz für die heu­ti­gen arro­gan­ten Vor­stel­lun­gen über den Platz der Mensch­heit inner­halb der Natur. Aber ganz in dem Sin­ne, wie die grie­chi­sche Logik aus dem Schutt der Anti­ke gebor­gen wur­de und in einer Rei­he von Nach­fol­ge­kul­tu­ren zum Ein­satz kam, wäre es auch die wis­sen­schaft­li­che Metho­de wert, aus den Trüm­mern des Indus­trie­zeit­al­ters gezo­gen zu wer­den, und sie könn­te eben­so gut in einer Kul­tur der öko­lo­gi­schen Demut funk­tio­nie­ren, wie sie es in der heu­ti­gen Kul­tur der öko­lo­gi­schen Hybris tut. Mei­ner Ver­mu­tung nach – wie zutref­fend die auch sein mag – stel­len die Umwelt­wis­sen­schaf­ten das wahr­schein­lichs­te Ter­rain für ein sol­ches Ret­tungs­un­ter­neh­men dar. 

Jede Kul­tur zehrt von den Tech­ni­ken, die am geeig­nets­ten schei­nen, die zuge­hö­ri­ge Welt­an­schau­ung her­vor­zu­brin­gen. Die indus­tri­el­le Zivi­li­sa­ti­on hat in die­sem Sin­ne am meis­ten vom Wis­sen­schafts­glau­ben gezehrt, und sogar noch mehr von des­sen Sym­bo­len und Emo­tio­na­li­tät, von den durch Gali­leo und New­ton im 17. Jahr­hun­dert eröff­ne­ten Wel­ten, die sich hun­dert Jah­re spä­ter in der ers­ten Wel­le indus­tri­el­ler Tech­no­lo­gie ver­kör­per­ten. In der­sel­ben Wei­se macht es die ent­schei­den­de Rol­le, die das öko­lo­gi­sche Wis­sen wahr­schein­lich in den Nach­fol­ge­kul­tu­ren des indus­tri­el­len Zeit­al­ters spie­len wird, extrem wahr­schein­lich, dass in den unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Jahr­hun­der­ten umfas­sen­de­re Denk­wei­sen auf­kom­men wer­den, die auf der öko­lo­gi­schen Wis­sen­schaft beruhen. 

Nen­nen wir die­se Denk­wei­sen Öko­so­phie: die Weis­heit (sophia) des Heims, im Unter­schied – aller­dings kei­nes­falls im Gegen­satz – zum “Reden über das Heim”, der Öko­lo­gie, oder zur “Kunst­fer­tig­keit (tech­ne) des Heims”, der Öko­tech­nik. Die Öko­so­phie ist kei­ne Wis­sen­schaft, eben­so wenig wie der Wis­sen­schafts­glau­be eine ist, und sie ist auch kei­ne Reli­gi­on – obwohl eine öko­lo­gisch grun­dier­te Art von Reli­gi­on im Zeit­al­ter der Deindus­tria­li­sie­rung zu Bedeu­tung gelan­gen dürf­te, ob sie sich nun inner­halb bestehen­der reli­giö­ser For­men oder außer­halb davon ent­wi­ckelt. Viel­mehr ist Öko­so­phie eine Welt­an­schau­ung und ein Wer­te­sys­tem, das der Öko­lo­gie und der Öko­tech­nik Bedeu­tung ver­leiht und der mensch­li­chen Exis­tenz ihren Sinn gibt – nicht im Sin­ne einer ima­gi­nier­ten Erobe­rung der Natur, son­dern im Sin­ne der Abhän­gig­keit unse­rer Spe­zi­es vom grö­ße­ren Kreis der Bio­sphä­re und ihrer Teil­ha­be daran. 

Eini­ge Ele­men­te die­ser Öko­so­phie exis­tie­ren bereits, und ande­re wer­den sich lang­sam her­aus­bil­den, je mehr die Abend­däm­me­rung des Zeit­al­ters der bil­li­gen Ener­gie uns ver­bie­tet, die Rea­li­tät unse­rer Umwelt­be­din­gun­gen zu igno­rie­ren. Es ist trotz­dem nicht sinn­los, bereits hier und jetzt wenigs­tens eini­ge der Grund­li­ni­en der öko­so­phi­schen Welt­an­schau­ung zu skiz­zie­ren. Die christ­li­che Welt­an­schau­ung des Mit­tel­al­ters wur­de lan­ge, bevor sie die mit­tel­al­ter­li­che Vor­stel­lungs­welt beherrsch­te, in den Schrif­ten von Theo­lo­gen wie Augus­ti­nus von Hip­po for­mu­liert; ana­log erkun­de­ten die Begrün­der der moder­nen Wis­sen­schaft von Gali­leo bis Dar­win die Welt­an­schau­un­gen des Szi­en­tis­mus, bevor die­se in das all­ge­mei­ne Bewusst­sein über­gin­gen. In eini­gen der Essays, die hier in den kom­men­den Mona­ten erschei­nen wer­den, möch­te ich Autoren vor­stel­len, die am meis­ten zu die­ser im Ent­ste­hen begrif­fe­nen öko­so­phi­schen Welt­an­schau­ung bei­getra­gen haben, und Gesichts­punk­te unter­su­chen, anhand derer eine auf der Öko­lo­gie grün­den­de Visi­on der mensch­li­chen Exis­tenz ent­wi­ckelt wer­den könnte. 

http://thearchdruidreport.blogspot.com/2009/02/toward-ecosophy.html

 

12.2.2009

John Michael Greer

Ich hat­te vor ein paar Jah­ren auf der inzwi­schen nicht mehr akti­ven Sei­te www.oelschock.de das Ver­gnü­gen, eini­ge Tex­te von John Micha­el Gre­er zum ers­ten Mal in deut­scher Spra­che ver­öf­fent­li­chen zu dür­fen. Gre­er schreibt The Arch­druid Report, einen der wich­tigs­ten und meist­ge­le­se­nen Blogs der US-ame­ri­ka­ni­schen Peak-Oil-Sze­ne. In der Dis­kus­si­on um die Aus­wir­kun­gen des Hub­bert-Maxi­mums nimmt er eine Mit­tel­stel­lung ein: Weder, so sei­ne Ein­schät­zung, wird der Rück­gang der Ölför­de­rung durch neue tech­ni­sche Wun­der­waf­fen neu­tra­li­siert wer­den, noch zu einer apo­ka­lyp­ti­schen Mad-Max-Zukunft füh­ren. Gre­ers Debat­ten­bei­trä­ge zeich­nen sich durch pro­fun­des his­to­ri­sches Wis­sen, nüch­ter­ne Unvor­ein­ge­nom­men­heit und ein ein­ge­hen­des Ver­ständ­nis grö­ße­rer öko­lo­gi­scher Zusam­men­hän­ge aus. Sei­ne natur­re­li­giö­se Spi­ri­tua­li­tät durch­wirkt sei­ne gesam­ten Arbei­ten, spielt sich aber nie in den Vor­der­grund, und Gre­er ver­steht ver­mut­lich mehr von den grund­sätz­li­chen Mög­lich­kei­ten und Beschrän­kun­gen der Natur­wis­sen­schaf­ten als vie­le der­je­ni­gen, die immer noch von einer “tech­no­lo­gi­schen Sin­gu­la­ri­tät” träu­men. Auf Eng­lisch sind sei­ne The­sen auch in Buch­form erhält­lich (z. B. The Long Descent, 2008), auf Deutsch ist dies nicht der Fall. Ich habe mich daher ent­schlos­sen, eine Fol­ge von zehn der von mir über­setz­ten Bei­trä­ge an die­ser Stel­le noch­mals zu ver­öf­fent­li­chen, die Gre­ers Den­ken in kon­zen­trier­ter Form ent­hält und einen Ein­stieg in sei­ne Gedan­ken­welt ermöglicht.

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