Einst im Jahr 1904 stell­te der Sozio­lo­ge Max Weber die Hypo­the­se auf, dass die Moder­ne Zeu­ge einer “Ent­zau­be­rung der Welt” sei, d. h. eines Pro­zes­ses, in dem tra­di­tio­nel­le mythi­sche Vor­stel­lun­gen, die der mensch­li­chen Exis­tenz Bedeu­tung ver­lie­hen hat­ten, immer wei­ter durch die ent­frem­den­de und ent­see­len­de Welt­an­schau­ung der mate­ria­lis­ti­schen Wis­sen­schaft ersetzt wür­den. Webers The­se ent­hält eini­ges an Wahr­heit, aber ich bin mir nicht sicher, ob er die unver­meid­li­che Gegen­re­ak­ti­on vor­aus­ahn­te: das Deh­nen oder Zurecht­stut­zen von wis­sen­schaft­li­chen Ideen, um sie in das Pro­krus­tes­bett des All­tags­den­kens zu zwän­gen – wobei vie­le von ihnen wie­der­um zu Mythen wurden. 

Ein Bei­spiel dafür, über das ich in letz­ter Zeit viel nach­den­ke, ist die Art und Wei­se, wie die Evo­lu­ti­ons­theo­rie in eine grob geschnitz­te Ersatz­my­tho­lo­gie ver­wan­delt wur­de. War­um ich dar­über nach­den­ke, hat einen ein­fa­chen Grund: Wann immer ich anläss­lich eines Vor­trags, einer Buch­si­gnie­rung oder einer sons­ti­gen öffent­li­chen Ver­an­stal­tung auf das The­ma Ölför­der­ma­xi­mum zu spre­chen kom­me, hebt garan­tiert irgend­je­mand die Hand und fragt mich, was ich von der Mög­lich­keit hal­te, dass die nahen­de Kri­se nur ein Teil­stück auf unse­rem Weg zu einer neu­en Ent­wick­lungs­stu­fe der Evo­lu­ti­on sei. Ich weiß dann in der Regel nicht, was ich ant­wor­ten soll, denn die­se Art von Fra­ge beruht so gut wie immer auf der Vor­stel­lung, dass die Evo­lu­ti­on eine linea­re Bewe­gung dar­stellt, die über eine Rei­he klar unter­scheid­ba­rer Pha­sen oder Stu­fen vor­wärts und nach oben ver­läuft – und die­se Vor­stel­lung hat so gut wie gar nichts damit zu tun, wie die Evo­lu­ti­on in der Natur tat­säch­lich funktioniert. 

Kaum ein Aspekt der Ideen­ge­schich­te ist inter­es­san­ter als das Phä­no­men, wie neue Ent­de­ckun­gen vor den Kar­ren alter Manien gespannt wer­den. Als man bei­spiels­wei­se 1895 die Rönt­gen­strah­len ent­deck­te, bestand eine der ers­ten Fol­gen die­ser Ent­de­ckung in der pani­schen Fra­ge, ob man mit den neu­en Strah­len durch Klei­dung hin­durch­se­hen könn­te; das Par­la­ment des US-Bun­des­staats New Jer­sey beriet sogar über ein Gesetz, mit dem man den Gebrauch von Rönt­gen­strah­len in Opern­glä­sern ver­bie­ten woll­te. So abwe­gig die­se Sor­ge auch sein moch­te, sie wur­zel­te in tie­fen, sexu­ell getön­ten Ängs­ten, und es dau­er­te daher Jahr­zehn­te, bis sie zer­streut war – als ich klein war, gab es in Comic-Hef­ten immer noch Anzei­gen, die angeb­li­che “Rönt­gen­bril­len” ver­kau­fen woll­ten, mit denen man ande­re nackt sehen könnte. 

Der Evo­lu­ti­ons­theo­rie erging es mehr oder weni­ger ähn­lich, und so kann man bei­na­he alle popu­lä­ren Ansich­ten über die Evo­lu­ti­on als Trüm­mer­schutt betrach­ten, der von dem Zusam­men­prall der Dar­win­schen Theo­rien mit den Obses­sio­nen sei­ner Zeit übrig­ge­blie­ben ist. Statt der Sexua­li­tät war hier die Klas­sen­ge­sell­schaft der trei­ben­de Fak­tor: Je faden­schei­ni­ger die reli­giö­sen Begrün­dun­gen des eng­li­schen Klas­sen­sys­tems wur­den, des­to eif­ri­ger wur­de nach wis­sen­schaft­li­chen Recht­fer­ti­gun­gen dafür gesucht, und kaum waren die ers­ten Exem­pla­re von “Der Ursprung der Arten” in den Buch­lä­den ange­kom­men, wur­de die Evo­lu­ti­ons­leh­re bereits für die­se dubio­sen Zwe­cke ver­ein­nahmt. Das resul­tie­ren­de Glau­bens­sys­tem war so etwas wie eine vor­grei­fen­de Par­odie auf “Die Farm der Tie­re” – alle Lebe­we­sen ent­wi­ckeln sich, aber eini­ge ent­wi­ckeln sich wei­ter als andere. 

Das ist natür­lich voll­kom­me­ner Blöd­sinn. Ein Mensch, ein Gecko, ein Löwen­zahn oder ein ein­zelli­ges Cya­no­bak­te­ri­um sind alle gleich weit ent­wi­ckelt – d. h. sie wur­den alle im sel­ben Maße durch den Druck ihrer Umwelt geformt, und ihre Vor­fah­ren waren alle einem gleich hohen Grad an natür­li­cher Selek­ti­on unter­wor­fen. Wir hal­ten Men­schen für “wei­ter ent­wi­ckelt” als Cya­no­bak­te­ri­en, weil Sozi­al­dar­wi­nis­ten des spä­ten 19. Jahr­hun­derts wie Her­bert Spen­cer einen kon­zep­tio­nel­len Taschen­spie­ler­trick anwand­ten und den amor­phen Drang des Lebens in ver­füg­ba­re öko­lo­gi­sche Nischen hin­ein in eine sozia­le Sta­tus­hier­ar­chie ver­wan­del­ten, an deren Spit­ze der eng­li­sche Gen­tle­man stand, dem alle und alles wei­ter unten zu fol­gen hat­te. Das Kon­zept der evo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lungs­stu­fen war von ent­schei­den­der Bedeu­tung für die­sen Illu­sio­nis­tentrick, denn dadurch konn­ten sozia­le Schran­ken, die zwi­schen den Klas­sen bestan­den, auf die bio­lo­gi­sche Welt über­tra­gen werden. 

In der Natur ist es aller­dings so, dass die Evo­lu­ti­on kei­ne Ent­wick­lungs­stu­fen kennt, son­dern nur Anpas­sun­gen. Es gibt kei­ne gera­de Linie, an der ent­lang die Lebe­we­sen einem Rang ent­spre­chend geord­net wer­den könn­ten. Statt­des­sen wach­sen evo­lu­tio­nä­re Abstam­mungs­li­ni­en von ihrem Ursprung weg nach außen wie die Zwei­ge eines wild wuchern­den Strau­ches. Manch­mal gibt es bei die­ser Aus­wärts­be­we­gung uner­war­te­te Rich­tungs­wech­sel, aber sol­che evo­lu­tio­nä­ren Durch­brü­che kön­nen eben­so wenig hier­ar­chisch geglie­dert wer­den wie die Orga­nis­men selbst. Die Zwei­ge wach­sen in neue ver­füg­ba­re Nischen hin­ein, nicht “nach oben” auf ein ima­gi­nä­res Ziel zu. Man könn­te dafür jedes belie­bi­ge Bei­spiel aus der Natur anfüh­ren; an die­ser Stel­le wer­de ich mich auf die Evo­lu­ti­on der Fle­der­mäu­se beschränken. 

Die Vor­fah­ren der ers­ten Fle­der­mäu­se waren spitz­maus­ar­ti­ge, insek­ten­fres­sen­de und nacht­ak­ti­ve Säu­ge­tie­re, die vor knapp 60 Mil­lio­nen Jah­ren im Blät­ter­dach der Wäl­der des Eozän her­um­flitz­ten. Für Tie­re, die auf Bäu­men woh­nen, stellt die Gefahr des Her­un­ter­fal­lens eine stän­di­ge Quel­le des Selek­ti­ons­drucks dar, und Anpas­sun­gen, die die­se Gefahr beherrsch­ba­rer machen, brei­ten sich in der Regel inner­halb einer Popu­la­ti­on schnell aus – auf die­se Wei­se kamen die Faul­tie­re zu ihren Klau­en, Neu­welt­af­fen zu ihren Greif­schwän­zen und vie­le Tie­re, sowohl aus­ge­stor­be­ne als auch rezen­te, zu zusätz­li­chen Haut­lap­pen, die als eine Art Fall­schirm die­nen. Wenn die­se zusätz­li­chen Haut­lap­pen die Kluft zwi­schen Vor­der- und Hin­ter­bei­nen über­brü­cken, was die häu­figs­te Anpas­sung dar­stellt, erhält das Tier die Fähig­keit zu glei­ten, wie etwa bei Gleit­hörn­chen oder Riesengleitern. 

Wenn sich die zusätz­li­chen Haut­lap­pen dage­gen haupt­säch­lich um die vor­de­ren Extre­mi­tä­ten her­um bil­den, tut sich eine neue Welt auf, denn nun kann das Tier die Gleit­be­we­gung sehr viel genau­er steu­ern und zu ihrer Unter­stüt­zung Mus­kel­kraft ein­set­zen – in ande­ren Wor­ten: flie­gen. Je akti­ver außer­dem sei­ne Bewe­gung über den ein­fa­chen gesteu­er­ten Fall hin­aus wird, des­to mehr von den Mil­li­ar­den schmack­haf­ter Insek­ten, die durch die Wald­luft huschen, lan­den auf sei­ner Spei­se­kar­te. Das Ergeb­nis ist ein unauf­halt­sa­mer Selek­ti­ons­druck in Rich­tung einer Ver­bes­se­rung der Flug­fä­hig­keit, und nach ein paar hun­dert­tau­send Genera­tio­nen kann man äußerst geschick­te Flug­tie­re bewun­dern. So ist es den Fle­der­mäu­sen ergan­gen, und nichts ande­res geschah 200 Mil­lio­nen Jah­re frü­her mit den Vor­fah­ren der Flugsaurier. 

Bereits vor 55 Mil­lio­nen Jah­ren schos­sen insek­ten­fres­sen­de Fle­der­mäu­se, die mehr oder weni­ger iden­tisch mit ihren heu­ti­gen Ver­wand­ten waren, durch die Lüf­te des Eozäns. Für die Ent­wick­lung der Ultra­schall­or­tung war offen­bar etwas mehr Zeit erfor­der­lich, und dies gilt auch für eini­ge Neben­li­ni­en wie etwa Frucht­fle­der­mäu­se oder Flug­hun­de, aber die grund­sätz­li­che Anpas­sung war abge­schlos­sen und hat sich – zum Miss­ver­gnü­gen zahl­lo­ser Genera­tio­nen von Mücken und Mot­ten – seit­dem nicht mehr wesent­lich geän­dert. Wie das bei evo­lu­tio­nä­ren Durch­brü­chen so der Fall ist, war der Sprung zur Flug­fä­hig­keit ein enor­mer Erfolg, schließ­lich sind Fle­der­tie­re zah­len­mä­ßig die zweit­größ­te Unter­ord­nung der Säu­ge­tie­re, nur von den Nage­tie­ren über­trof­fen. Aber es ist unmög­lich, die­sen Durch­bruch in ein linea­res Sche­ma einzupassen. 

Bei der Über­tra­gung von Kon­zep­ten aus der Evo­lu­ti­ons­theo­rie auf mensch­li­che Gesell­schaf­ten hakt es immer irgend­wo ein biss­chen, aber es besteht guter Grund zu der Annah­me, dass auch Sozi­al­ord­nun­gen einem Evo­lu­ti­ons­pro­zess unter­lie­gen: Wie die Popu­la­tio­nen ande­rer Lebe­we­sen auch sind mensch­li­che Gemein­schaf­ten Drü­cken durch ihre Umwelt aus­ge­setzt, auf die sie durch Anpas­sung oder Unter­gang reagie­ren. Aber auch hier ver­zweigt sich der evo­lu­tio­nä­re Pro­zess in alle mög­li­chen Rich­tun­gen und kann nicht in eine stu­fen­mä­ßig anstei­gen­de Hier­ar­chie geglie­dert wer­den. Jäger- und Samm­ler-Gesell­schaf­ten waren offen­bar die ursprüng­li­che Form der mensch­li­chen Sozi­al­ord­nung, aber ande­re Lini­en zweig­ten von die­sem Stamm ab und eröff­ne­ten ihren Ange­hö­ri­gen neue Mög­lich­kei­ten, die so ver­lo­ckend wir­ken muss­ten wie wohl der mit Insek­ten gefüll­te Nacht­him­mel auf die ers­ten, unbe­hol­fen flat­tern­den Ur-Fledermäuse. 

Wo man gro­ße Pflan­zen­fres­ser zäh­men konn­te, ent­stan­den daher noma­di­sche Hir­ten­ge­sell­schaf­ten; wo vie­le Nah­rungs­pflan­zen im inten­si­ven Gar­ten­bau ange­pflanzt wer­den konn­ten, führ­te dies zu Hack­bau­ge­sell­schaf­ten; wo der exten­si­ve Anbau samentra­gen­der Grä­ser die bes­ten Über­le­bens­chan­cen bot, ent­wi­ckel­ten sich Acker­bau­ge­sell­schaf­ten. Wie sich zei­gen soll­te, konn­te man Getrei­de so züch­ten, dass gro­ße, trans­port- und lage­rungs­fä­hi­ge Über­schüs­se erzielt wur­den, und auf die­se Wei­se öff­ne­te der Acker­bau die Tür zu umfas­send arbeits­tei­li­gen Gesell­schaf­ten und zum Auf­stieg der Städ­te. Dies wie­der­um ermög­lich­te die Ent­ste­hung einer kom­ple­xen mate­ri­el­len Kul­tur und führ­te letzt­end­lich zur Ent­wick­lung der Maschi­nen, mit deren Hil­fe das Reser­voir der Erde an fos­si­len Brenn­stof­fen erschlos­sen wer­den konn­te, dem die moder­ne Welt ihr drei Jahr­hun­der­te wäh­ren­des Zeit­al­ter der Üppig­keit zu ver­dan­ken hat. 

Die Indus­trie­ge­sell­schaft ist eben­so wenig “wei­ter ent­wi­ckelt” als ande­re Gesell­schafts­for­men, wie sie “weni­ger ent­wi­ckelt” ist. Sie stell­te ein­fach die erfolg­reichs­te Anpas­sung an den Selek­ti­ons­druck dar, der durch die Ver­füg­bar­ma­chung der fos­si­len Brenn­stof­fe ent­stand, und sie setz­te sich gegen ande­re Sozi­al­ord­nun­gen auf ähn­li­che Wei­se durch wie eine inva­si­ve exo­ti­sche Art gegen weni­ger robus­te ein­hei­mi­sche Orga­nis­men. Je wei­ter aber die Erschöp­fung der fos­si­len Brenn­stoff­vor­rä­te und der Kli­ma­wan­del vor­an­schrei­ten, des­to mehr ändern sich die evo­lu­tio­nä­ren Kräf­te­ver­hält­nis­se, und je mehr die neue Rea­li­tät begrenz­ter Res­sour­cen ihre Wir­kung ent­fal­tet, des­to eher wer­den durch die Selek­ti­on sol­che Sys­te­me bevor­zugt, die bes­ser an die neu­en öko­lo­gi­schen Zwän­ge von glo­ba­ler Kli­ma­in­sta­bi­li­tät, Ener­gie­knapp­heit und Res­sour­cen­man­gel ange­passt sind. 

Der Umstand, dass die­se neu­en Sys­te­me bes­ser an die neu­en Rea­li­tä­ten ange­passt sind, bedeu­tet aller­dings nicht, dass sie nicht eben­falls der Bedingt­heit aller mensch­li­chen Exis­tenz unter­lie­gen. Und damit kom­men wir nun zum Aus­gangs­punkt zurück, denn die Leu­ten, die mich nach den Aus­sich­ten für das Errei­chen einer neu­en Ent­wick­lungs­stu­fe der Evo­lu­ti­on fra­gen, wol­len nur sel­ten wis­sen, ob die Gesell­schaf­ten der Zukunft bes­ser an eine durch Res­sour­cen­knapp­heit gekenn­zeich­ne­te Umwelt ange­passt sein wer­den. In der Regel geht es ihnen viel­mehr dar­um, ob die nach einem ima­gi­nä­ren evo­lu­tio­nä­ren Durch­bruch ent­ste­hen­den Gesell­schaf­ten frei von Pro­ble­men wie Armut, Krieg und Umwelt­zer­stö­rung sind. 

Die­se Fra­ge lässt sich, wie mir scheint, am bes­ten dadurch beant­wor­ten, dass man sich den letz­ten evo­lu­tio­nä­ren Durch­bruch zu einer neu­en Lebens­form ansieht, den es in der sozia­len Evo­lu­ti­on des Men­schen gege­ben hat, näm­lich den Auf­stieg der Indus­trie­ge­sell­schaf­ten ab ca. 1750. Land­wirt­schaft­li­che Gesell­schaf­ten lit­ten unter Armut, Krieg und Umwelt­zer­stö­rung, und dies gilt genau­so für alle ande­ren “evo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lungs­stu­fen” (bes­ser gesagt: Anpas­sun­gen) bis zurück zu den Jägern und Samm­lern. Bei vie­len Jäger- und Samm­ler­ge­sell­schaf­ten der indi­ge­nen Völ­ker Nord­ame­ri­kas bei­spiels­wei­se gab es kras­se sozia­le Gegen­sät­ze, einen flo­rie­ren­den Skla­ven­markt und end­lo­se, blu­ti­ge Stam­mes­krie­ge. Ihre Ein­bet­tung in die Gesamt-Öko­lo­gie war weni­ger pro­ble­ma­tisch, denn die­je­ni­gen indi­ge­nen Gesell­schaf­ten, die kein Gleich­ge­wicht mit der Natur gefun­den hat­ten, etwa die Mount­buil­der oder die Leu­te vom Cha­co Can­yon, waren lan­ge vor 1492 zusammengebrochen. 

Eben­so wie Fle­der­mäu­se sich hin­sicht­lich Hun­ger, Rang­ord­nungs­kämp­fen und uner­wünsch­ter Auf­merk­sam­keit durch Raub­tie­re mit den­sel­ben Pro­ble­men her­um­schla­gen müs­sen wie ihre Vor­fah­ren, waren auch die Gesell­schaf­ten, die die indus­tri­el­le Lebens­wei­se annah­men, nicht anders als frü­he­re Gesell­schaf­ten mit Armut, Krieg und Umwelt­zer­stö­rung kon­fron­tiert, und man muss sich schon fra­gen, war­um wohl die Gesell­schaf­ten, die als Reak­ti­on auf den Selek­ti­ons­druck der Deindus­tria­li­sie­rung ent­ste­hen wer­den, von die­sen Schwie­rig­kei­ten aus­ge­nom­men blei­ben soll­ten. Evo­lu­tio­nä­re Anpas­sun­gen kön­nen Lebe­we­sen bestimm­te Din­ge erleich­tern – eini­ge der Raub­tie­re des Eozän dürf­ten eher unwirsch reagiert haben, als die Fle­der­mäu­se die Fähig­keit erwar­ben, in Sicher­heit zu flat­tern –, aber kein Lebe­we­sen ist von den Aus­ta­rie­run­gen der Natur aus­ge­nom­men. Es ist, anders gesagt, ein Feh­ler, die Evo­lu­ti­on so zu ver­ste­hen, dass dadurch ein uto­pi­scher Zustand erreicht wer­den soll. 

Wann immer ich irgend­ei­nen der vor­ste­hen­den Gedan­ken öffent­lich vor­brin­ge, besteht aller­dings irgend­je­mand – es muss nicht der­je­ni­ge sein, der die ursprüng­li­che Fra­ge gestellt hat – dar­auf, das ja viel­leicht die bio­lo­gi­sche Evo­lu­ti­on so funk­tio­nie­re, die spi­ri­tu­el­le Evo­lu­ti­on aber sei etwas ande­res. Eini­ge mei­ner Leser for­mu­lie­ren viel­leicht gera­de den­sel­ben Ein­wand. Ich kann dar­auf nur ant­wor­ten, dass ich kei­ne der gro­ßen spi­ri­tu­el­len Tra­di­tio­nen der Welt ken­ne, die dahin­ge­hend zu inter­pre­tie­ren wäre, dass Men­schen, die ein pri­vi­le­gier­tes Leben in Wohl­stand und Luxus füh­ren – und letz­ten Endes ist die­se Beschrei­bung des Lebens in den moder­nen Indus­trie­ge­sell­schaf­ten vom Stand­punkt der übri­gen Mensch­heits­ge­schich­te aus voll­kom­men zutref­fend –, einen plötz­li­chen Sprung in ein Leben mit noch mehr Luxus und Kom­fort zu erwar­ten hät­ten, allein weil sie dies zufäl­lig wün­schens­wert fin­den, und dies außer­dem ein beque­mer Weg für sie wäre, den Kon­se­quen­zen ihrer eige­nen, kurz­sich­ti­gen Ent­schei­dun­gen aus dem Weg zu gehen. 

Die­se Wor­te klin­gen viel­leicht unan­ge­mes­sen harsch. Nichts­des­to­trotz ist die Vor­stel­lung, ein Sprung auf eine höhe­re Stu­fe der Evo­lu­ti­on wür­de uns vor dem Schla­mas­sel bewah­ren, das wir selbst ange­rich­tet haben, nicht weni­ger eine Ver­zer­rung des tat­säch­li­chen Evo­lu­ti­ons­pro­zes­ses als jedes belie­bi­ge sozi­al­dar­wi­nis­ti­sche Mach­werk. Wer glau­ben möch­te, dass uns ein Wun­der vor dem ver­häng­nis­vol­len Schick­sal der Indus­trie­ge­sell­schaft bewah­ren könn­te, hat jedes Recht dazu, die­sen Glau­ben aus­zu­üben, aber der Gedan­ken­aus­tausch dar­über wür­de sich durch­aus ver­ein­fa­chen, wenn man das Wun­der auch als sol­ches bezeich­ne­te, anstatt es in den geborg­ten Anzug der Dar­win­schen Theo­rien zu ste­cken. Viel­leicht han­delt es sich da um ein Vor­ur­teil, dass sich mei­nem eige­nen Drui­den-Glau­ben ver­dankt, aber mir scheint doch, dass wir die Evo­lu­ti­on nur dann als Meta­pher ver­wen­den soll­ten, wenn wir sie auch wirk­lich ernst neh­men, anstatt unse­re eige­nen Phan­ta­sie­vor­stel­lun­gen auf die ganz anders fun­dier­ten Geschich­ten zu pro­ji­zie­ren, die uns die Natur erzählt. 

http://thearchdruidreport.blogspot.com/2008/12/taking-evolution-seriously.html

3.12.2008