Autorenblog

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Neulich im dicken, fetten B

Ich weiß gar nicht so genau, wor­an es liegt. Viel­leicht an dem Schwall aus Urin und Erbro­che­nem, der einem aus dem U‑Bahn-Auf­gang an der Möckern­brü­cke ent­ge­gen­ge­weht kommt. Oder an den Halb­star­ken, die laut­stark und aggres­siv auf Ara­bisch durch den Wag­gon pöbeln und sich dabei kei­nen Deut um die ande­ren Fahr­gäs­te sche­ren. An den jun­gen Tür­kin­nen auf dem Kott­bus­ser Damm, die Kopf­tü­cher und knö­chel­lan­ge Män­tel tra­gen und mit ihren Kin­dern wie gewohnt in der Mut­ter­spra­che Prä­si­dent Erdoğans reden. An den Pro­le­ten in Jog­ging­an­zü­gen, die am hel­lich­ten Tag ihre Bier­fla­schen auf­ma­chen und einen aus wäss­rig-grau­en Augen lau­ernd anstar­ren, jeder­zeit bereit zur Explo­si­on. An die obli­ga­to­ri­schen Matrat­zen, die selbst über die Oster­fei­er­ta­ge die Bür­ger­stei­ge voll­mül­len. An der unbe­zähm­ba­ren Lust der Bewoh­ner die­ser Stadt, auch die schöns­te Ein­gangs­tür und den glän­zends­ten neu­en Haus­an­strich ohne Umschwei­fe mit häss­li­chem Geschreib­sel zu über­zie­hen. An dem blei­er­nen Him­mel, der einen selbst bei früh­lings­haf­ter Wär­me in die Depres­si­on treibt.

In Wirk­lich­keit ist es wahr­schein­lich ent­täusch­te Lie­be. Als ich vor Jahr und Tag das schreck­lich rei­che und auf­ge­räum­te Mün­chen ver­ließ, um mei­ne Zel­te an der Spree auf­zu­schla­gen, gab es das alles auch schon, aber es hat mich eigent­lich nicht wei­ter gestört. Im Gegen­teil, schien es sich doch um typi­sche Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten einer ech­ten Metro­po­le zu han­deln, allen­falls um Geburts­we­hen einer groß­ar­ti­gen, neu­en Zeit, die hier her­auf­däm­mer­te und mir einen Logen­platz im gro­ßen Thea­ter der Welt­ge­schich­te bie­ten wür­de. All die jun­gen Leu­te aus aller Her­ren Län­der, all der fri­sche Wind nach vier Jahr­zehn­ten sozia­lis­ti­schem Mief! Die gan­ze Stadt war irgend­wie auf Anfang, und man konn­te davon träu­men, dass sie an ihre eige­nen gro­ßen Zei­ten in den 1920ern wie­der anknüp­fen wür­de, an das Paris der Lost Genera­ti­on, Sina­tras New York oder Swin­ging London.

Wie albern einem das heu­te erscheint … Wei­ter­le­sen

Ein Hauch Bürgerkrieg

Ich woll­te vor­ges­tern eigent­lich nur auf der Leip­zi­ger Buch­mes­se mei­nen Ver­le­ger tref­fen und vor­her ein wenig schau­en, was die Kon­kur­renz so treibt. Statt­des­sen geriet ich zufäl­lig in einen Tumult, der sich um den Mes­se­stand des Com­pact-Maga­zins her­um ent­fal­te­te. So um die zwei­hun­dert Leu­te reck­ten Fäus­te und Trans­pa­ren­te in die Höhe und brüll­ten laut­stark Paro­len gegen die Anwe­sen­heit der Zeit­schrift auf der Buch­mes­se. Die Atmo­sphä­re war aggres­siv auf­ge­la­den und schien kurz vor der Explo­si­on zu ste­hen, was noch durch die Anwe­sen­heit breit­schult­ri­ger Secu­ri­ty-Leu­te an den Ecken des burg­ar­ti­gen Mes­se­stands ver­stärkt wur­de. Gott sei Dank pas­sier­te nichts Schlim­mes (bzw. war es schon pas­siert).

Ich habe die­se Zeit­schrift noch nie gele­sen, und nach allem, was ich über die dort ver­brei­te­ten Inhal­te gehört habe, wird es auch wei­ter­hin bei die­ser Nicht­be­kannt­schaft blei­ben. Aber – solan­ge von den Redak­teu­ren nichts straf­recht­lich Rele­van­tes getan oder ver­langt wird, haben die­se Leu­te Gott ver­dammt noch­mal das Recht, ihre Mei­nung zu sagen! Was ist mit der Frei­heit los, die doch angeb­lich immer jene des Anders­den­ken­den sein soll? Was wäre, wenn im Gegen­zug ein paar Skin­heads den Mes­se­stand der taz stür­men? Ande­re nie­der­zu­brül­len, weil einem ihre Ansich­ten nicht gefal­len, ändert weder die Ansich­ten, noch wird es irgend­je­man­den dazu brin­gen, die­se nicht mehr zu tei­len. (Die Leip­zi­ger Volks­zei­tung behaup­tet, hier habe es eine »Spon­tan­de­mo« von Mes­se­be­su­chern gege­ben – wer bringt denn bit­te­schön »spon­tan« Pla­ka­te und Trans­pa­ren­te zur Buch­mes­se mit…?)

Am Vor­abend hat­ten mei­ne Gast­ge­ber mir von den Stra­ßen­kämp­fen erzählt, die sich im letz­ten Dezem­ber in der Leip­zi­ger Süd­vor­stadt abge­spielt hat­ten, wo sie leben. Vor ihrer Haus­tür türm­ten Auto­no­me Müll­ton­nen zu Bar­ri­ka­den auf und steck­ten sie in Brand, spä­ter wur­den Bank­au­to­ma­ten – Sym­bo­le des bösen Kapi­ta­lis­mus – zer­stört und eine Bus­hal­te­stel­le zer­schla­gen. (Ich hof­fe, die Jungs haben vor­her noch Geld gezo­gen, um am nächs­ten Tag ein­kau­fen gehen zu kön­nen.) Anlass des Gan­zen war offen­bar eine eher klei­ne Neo­na­zi-Demo, die mit ihrem Auf­marsch die Lin­ken pro­vo­zie­ren wollten.

Wo soll das eigent­lich hin­füh­ren? Auf der einen Sei­te Pegi­da und die Glat­zen, auf der ande­ren der Schwar­ze Block und das Kom­man­do Nor­bert Blüm? Wohin Wei­mar geführt hat, wis­sen wir doch wohl.

Quark 83

Ich ertra­ge die Her­vor­brin­gun­gen des deut­schen Fern­se­hens in der Regel nur in homöo­pa­thi­scher Dosie­rung, von daher war ich eini­ger­ma­ßen gespannt, wie sich wohl die all­seits in den Him­mel gelob­te Serie Deutsch­land 83 machen wür­de, die ja dem Ver­neh­men nach die Erzähl­wei­se der neu­en US-Seri­en auf hie­si­ge Ver­hält­nis­se über­tra­gen soll­te und durch „Erfolg in den USA“ geadelt war. Zudem fällt mein eige­nes Gast­spiel bei der Bun­des­wehr in die Zeit kurz nach der dar­ge­stell­ten Hand­lung, da will man natür­lich wis­sen, ob alles kor­rekt dar­ge­stellt ist.

Das Posi­ti­ve zuerst: klas­se Aus­stat­tung! Genau so, mit die­sen Stahl­rohr­bet­ten und den blau­en oder oran­gen Reso­pal­mö­beln, sah damals eine Wehr­pflich­ti­gen­stu­be beim west­deut­schen Mili­tär aus. Womit aber gleich die Pro­ble­me begin­nen, denn natür­lich waren Offi­zie­re, zumal sol­che beim Stab, in Zwei­bett­zim­mern unter­ge­bracht, die eine gewis­se Frei­heit zur per­sön­li­chen Gestal­tung lie­ßen. Und die Art, wie die Jungs ihre Baret­te tru­gen, hät­te unse­ren Spieß sicher zu einer sei­ner berüch­tig­ten „Seid ihr Pizzabäcker?“-Tiraden angestachelt.

Der All­tag beim Barras zeich­net sich eben durch vie­ler­lei Details aus, die man durch ober­fläch­li­ches Recher­chie­ren nicht so schnell in den Griff bekommt. Und genau da liegt die Crux der dra­ma­tur­gi­schen Prä­mis­se: Die Vor­stel­lung, man könn­te einen Ange­hö­ri­gen der bewaff­ne­ten Orga­ne der DDR mal eben durch einen Crash-Kurs bei einem lin­ken Uni-Pro­fes­sor und die Lek­tü­re der Zen­tra­len Dienst­vor­schrift zu einem über­zeu­gend wir­ken­den Bun­des­wehr­of­fi­zier machen, ist so aben­teu­er­lich wie unglaub­wür­dig. Wei­ter­le­sen

Jenseits des kartierten Gebiets

Ich habe mich in jun­gen Jah­ren recht aus­gie­big mit Ruck­sack und Rei­se­schecks aus­ge­rüs­tet in ande­ren Län­dern und auf ande­ren Kon­ti­nen­ten umge­tan. Oft waren es Welt­ge­gen­den, die als nicht beson­ders sicher gal­ten und dies auch tat­säch­lich nicht waren. Ich hat­te immer Glück – der Über­land­bus der­sel­ben Linie wur­de erst am Tag nach mei­ner Fahrt aus­ge­raubt, der Raub­über­fall auf das Beach­vol­ley­ball-Spiel geschah mei­nen zeit­wei­li­gen Mit­rei­sen­den, nicht mir, der Taschen­dieb such­te sich den Mann aus, der vor mir durch die Fuß­gän­ger­zo­ne Rios schlen­der­te. Sogar die Hoodlums, die mich in St. Lou­is auf dem Weg vom Base­ball­sta­di­on zur Unter­kunft dumm anquatsch­ten und „unter­su­chen“ woll­ten, gaben sich schließ­lich mit ein paar blö­den Sprü­chen zufrie­den, weil sie den unver­hofft in ihrem Kiez auf­ge­tauch­ten Deut­schen so ulkig fanden.

Man wuss­te auch bis zu einem gewis­sen Grad, wie man sich schüt­zen konn­te: in alten Kla­mot­ten her­um­lau­fen (mei­ne Stan­dard­kluft: alte Bun­des­wehr­ho­se, schmut­zi­ge Segel­tuch­schu­he, schlabb­ri­ges Polo­hemd), einen Geld­gür­tel tra­gen, die Lan­des­spra­che beherr­schen. Nachts nicht an roten Ampeln hal­ten, auf kei­nen Fall unbe­glei­tet in die Fave­la. Nicht auf Gesprä­che mit komi­schen Leu­ten ein­las­sen, die einem in der Baixa von Lis­sa­bon Dro­gen und gol­de­ne Arm­band­uh­ren ver­kau­fen wol­len. Und vor allem wuss­te man, dass all die­se Vor­sichts­maß­nah­men nicht mehr nötig sein wür­den, sobald man in Mün­chen oder Ber­lin wie­der das Flug­zeug ver­las­sen hat­te. Das eige­ne Land war ein biss­chen lang­wei­lig, man war nicht son­der­lich stolz dar­auf, die Leu­te rann­ten zu sehr dem Geld hin­ter­her, und kul­tu­rell gaben einem New Orleans und Bahia alles, was man brauch­te. Aber eines war die­ses Land ganz bestimmt: sicher und ver­läss­lich. Wei­ter­le­sen

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