Im letz­ten Post habe ich die Hoyai­sche Kir­chen­ord­nung von 1581 zitiert, in der unter ande­rem die »Meigreff­schaf­ten« ver­bo­ten wur­den. Es gab also offen­bar auch in unse­rem klei­nen, beschau­li­chen Dorf den in vie­len Gegen­den Deutsch­lands und Skan­di­na­vi­ens ver­brei­te­ten Brauch, jedes Jahr unter den jun­gen, unver­hei­ra­te­ten Män­nern einen soge­nann­ten »Mai­gra­fen« zu wäh­len, der als Anfüh­rer des Pfingst­um­gangs (in der Kir­chen­ord­nung »Pfingst­gil­de« genannt) fun­giert und – oft­mals zusam­men mit einer »Mai­grä­fin« – auch den wei­te­ren Fest­lich­kei­ten und Riten vor­sitzt, die sich im Umfeld der Früh­jahrs­bräu­che abspie­len. Ein »Graf« ist er des­we­gen, weil er sozu­sa­gen den »König« ver­tritt, das heißt den Früh­ling selbst, der in die­ser Zeit mit Macht ins Land kommt und die Geis­ter der Vege­ta­ti­on antreibt, die wie jedes Jahr für neu­es Leben sor­gen sollen.

Das Amt geriet irgend­wann in Ver­ges­sen­heit, nur den Pfingst­um­zug gibt es immer noch. Frü­her wur­den dazu in der Nacht zum Pfingst­sonn­tag jun­ge Bir­ken­bäu­me an die Häu­ser der unver­hei­ra­te­ten jun­gen Frau­en gelehnt und am fol­gen­den Tag bei einem zere­mo­ni­el­lem Zug durchs Dorf ritu­ell mit einem Eimer Was­ser »begos­sen«, wor­auf­hin der Wirt des jewei­li­gen Anwe­sens den Bur­schen eine Lage Bier oder Korn spen­dier­te. Der Brauch ist in den letz­ten Jahr­zehn­ten inso­fern etwas aus­ge­ar­tet, als dass mitt­ler­wei­le an jedes Haus eine Bir­ke gestellt wird. Offen­bar emp­fand man mit der Locke­rung der Sit­ten ab den 1960er Jah­ren die alte Regel als nicht mehr zeit­ge­mäß und sah gleich­zei­tig die Gele­gen­heit, in den Genuss grö­ße­rer Men­gen von Alko­hol zu kom­men, sodass nun nicht mehr jeder Pfingst­um­gang in völ­li­ger Ord­nung sein Ziel erreicht und vie­le Bewoh­ner dazu über­gan­gen sind, den fäl­li­gen Obo­lus in Geld­form zu entrichten.

Der Suff spiel­te zu Pfings­ten aller­dings schon frü­her eine nicht ganz uner­heb­li­che Rol­le. Wie alten Gerichts­ak­ten vom Ende des 17. Jahr­hun­derts, die das Lan­des­ar­chiv auf­be­wahrt, zu ent­neh­men ist, war das Ver­bot von 1581 unwirk­sam geblie­ben, außer­dem erfah­ren wir dort, dass frü­her zum Abschluss des Pfingst­um­gangs ein »Gra­fen­bier« im Hau­se des Mai­gra­fen statt­fand. Im Jahr 1651 war das der Sohn eines Bau­ern, der sei­nen Hof genau in der Orts­mit­te hat­te (heu­te nicht mehr vor­han­den). Den Aus­sa­gen der Zeu­gen zufol­ge wur­de ordent­lich gebe­chert, wobei sich vor allem der Sohn des hie­si­gen Pas­tors her­vor­tat, der eigent­lich nicht mehr im Dorf wohn­te, son­dern zu den Sol­da­ten gegan­gen war und wohl über die Fei­er­ta­ge sei­ne Eltern besuch­te. Er prahl­te mit sei­ner Pis­to­le her­um, die ihn als Kaval­le­ris­ten aus­weist (die Mus­ke­tie­re schos­sen damals in der Regel – und ent­ge­gen tau­sen­den von Man­tel-und-Degen-Fil­men – mit dem Ding, nach dem sie benannt waren). Es kam zum Streit, und der jun­ge Sol­dat wank­te schließ­lich von dan­nen in Rich­tung Pastorenhaus.

Nach einer Wei­le ver­lie­ßen auch ein paar ande­re die Fei­er, die nicht weni­ger betrun­ken waren, dar­un­ter auch der frisch ver­hei­ra­te­te Jung­bau­er eines der Nach­bar­hö­fe. Brauch und Her­kom­men zufol­ge hät­te er als Ver­hei­ra­te­ter eigent­lich nicht mehr am Pfingst­um­gang teil­neh­men dür­fen und war wahr­schein­lich nur aus alter Gewohn­heit beim Gra­fen­bier auf­ge­taucht, um beim Zechen nicht leer aus­zu­ge­hen. Die bei­den Kum­pa­nen, die ihn beglei­te­ten, sag­ten spä­ter aus, das Gra­fen­bier sei zu Ende gegan­gen, und man habe nicht so recht gewusst, ob es nun nach zu Hau­se gehen soll­te oder irgend­wo­hin wei­ter­ze­chen. Wie dem man auch sein – man setz­te sich in Bewe­gung und kam bald zum nahe gele­ge­nen Kirch­hof, an des­sen Ein­frie­dung man über­ra­schend auf den Pas­to­ren­sohn traf. Kaum wur­de der Kaval­le­rist der Neu­an­kömm­lin­ge gewär­tig, hat­te er auch schon sei­ne Pis­to­le gezo­gen und woll­te in die Luft schießen.

Lei­der ging sein Püs­ter nicht los – was bei den Stein- oder Rad­schloss-Schieß­prü­geln der dama­li­gen Zeit nicht unge­wöhn­lich ist, auf die ande­ren Zech­brü­der aber genau den gegen­tei­li­gen Effekt des beab­sich­tig­ten hat­te. Eine tie­fen­psy­cho­lo­gi­sche Fern­dia­gno­se spa­re ich mir hier, aber der Jung­bau­er lach­te laut­hals auf und ver­höhn­te den ver­hin­der­ten Schüt­zen, es gehö­re wohl ein Becher Was­ser oder Bier auf die Pis­to­le, damit sie schie­ßen kön­ne. Der Sol­dat fühl­te sich selbst­ver­ständ­lich in sei­ner Sol­da­ten­eh­re (und wo auch sonst noch) ver­letzt und spann­te dro­hend den Hahn der Pis­to­le erneut, um dem fre­chen Ben­gel zu zei­gen, dass die Pis­to­le sehr wohl schie­ßen kön­ne, der Jung­bau­er nahm dies als Auf­for­de­rung zum Kampf und stürz­te sich auf den Kon­tra­hen­ten, ein Geran­gel ent­spann sich (wir wol­len anneh­men, dass die ande­ren bei­den Zech­brü­der den Kampf fei­xend kom­men­tier­ten), und es kam, wie es kom­men muss­te – ein Schuss lös­te sich und fuhr dem Jung­bau­ern in den Leib, dass er hilf­los zusammensackte.

Die Zeu­gen­aus­sa­gen sind ein wenig wirr, aber danach ist der Täter wohl über den Zaun des Kirch­hofs gesprun­gen und hat das Wei­te gesucht. Der Ver­wun­de­te hin­ge­gen wur­de auf sei­nen Hof gebracht, und man schick­te nach dem »Bal­bie­rer« in Hoya (die Bart­sche­rer waren damals neben­her als Wund­hei­ler tätig), der aber nichts mehr ret­ten konn­te, denn nächs­ten Tag ver­starb der Jung­bau­er unter star­ken Schmer­zen. Die Akten sind lei­der nur bruch­stück­haft über­lie­fert, sodass nicht klar ist, ob der Täter spä­ter gefasst wur­de oder sich gestellt hat; in jedem Fall hat er sich zwei Jah­re spä­ter mit dem Argu­ment ver­tei­digt, alles sei nur zufäl­lig so pas­siert und der Schuss habe sich von selbst gelöst. Auch das Urteil ken­nen wir lei­der nicht, kön­nen uns aber aus­ma­len, dass der voll­trun­ke­ne Zustand der Zeu­gen zur Tat­zeit nicht gera­de dazu bei­getra­gen hat, den Sach­ver­halt zu klären.

Und was ler­nen wir dar­aus? Ergibt sich ja eigent­lich von selbst …