Wenn man vor fünf­zehn, zwan­zig Jah­ren nach Por­tu­gal reis­te, erwar­te­ten einen dort Wun­der, Mys­te­ri­en und Magie: eine halb befremd­li­che, halb ver­füh­re­ri­sche Welt vol­ler trä­ger Nach­mit­ta­ge in von der Neu­zeit ver­ges­se­nen Berg­dör­fern und Fischer­nes­tern, in denen die Skla­ven­trom­mel der indus­tri­el­len Norm­zeit noch nicht so unbarm­her­zig den Takt vor­gab wie zu Hau­se im unge­müt­li­chen Nor­den; stil­le, leuch­tend barock­wei­ße Städ­te voll eigen­sin­ni­gem Stolz und Weh­mut nach den Zei­ten Indi­ens und der bra­si­lia­ni­schen Gold­mi­nen (nicht zu reden von der Haupt­stadt, in der jede Nacht von Neu­em die Natur­ge­set­ze aus­ge­he­belt wur­den); freund­li­che, sanf­te und bemer­kens­wert un-spa­ni­sche Men­schen, deren Melan­cho­lie und gehei­me Maß­lo­sig­keit man ergrün­den und stau­nend bewun­dern, aber nie­mals tei­len konnte.

Kehrt man heu­te an die eins­ti­gen Sehn­suchts­or­te zurück, fin­det man … den Hei­de­park Sol­tau. Dank einer ihre fins­te­ren Machen­schaf­ten durch­aus nicht im Unter­grund betrei­ben­den Ver­schwö­rung aus Brüs­se­ler Büro­kra­ten, aus­län­di­schen Groß­in­ves­to­ren und der übli­chen Melan­ge aus grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Lokal­po­li­ti­kern, kor­rup­ten Beam­ten und spen­da­blen Bau­un­ter­neh­mern vor Ort (man den­ke nur an die berüch­tig­te Expo ’98) ver­fügt das Land heu­te über groß­zü­gig aus­ge­bau­te Auto­bah­nen und Land­stra­ßen, ein dich­tes Netz gru­se­lig ver­kitsch­ter Monu­men­te von natio­na­ler his­to­ri­scher Bedeu­tung und jede Men­ge auf ein­sa­me Strän­de geklotz­te Spaß­rut­schen Mar­ke “Erleb­nis­bad”. Davor jeweils ein rie­si­ger Bus­park­platz, mit Stra­ßen­lam­pen bestückt wie sonst nur die bel­gi­schen Auto­bah­nen (und sicher­lich eben­so wie die­se aus der Erd­um­lauf­bahn sicht­bar) und drei gro­ße, ver­schie­den­far­bi­ge Con­tai­ner für die kor­rek­te Müll­tren­nung. In farb­lich post­mo­dern gehal­te­nen Ein­kaufs­zen­tren und Fuß­gän­ger­zo­nen mit her­zi­gem Kopf­stein­pflas­ter und Wasch­be­ton­kü­beln (nur dass dar­in Pal­men ste­hen) sit­zen jun­ge Men­schen im Café — in Lis­sa­bon seit neu­es­tem in der welt­weit unge­fähr sie­ben­hun­dert­neun­und­sech­zigs­ten Filia­le des “Hard Rock Café” — und hören die glei­che Musik, tra­gen die glei­che, von MTV abge­schau­te Mode und reden ver­mut­lich den­sel­ben Unsinn wie ihre Alters­ge­nos­sen in Lon­don, Ber­lin oder mei­net­we­gen War­schau. Was bis vor kur­zem noch eine Art uni­ver­sa­lis­ti­scher Ver­hei­ßung war (“Alle Men­schen sind gleich!”), erscheint heu­te eher als wahr­ge­mach­te Dro­hung. Und der Nor­den wirkt mit einem Mal wesent­lich weni­ger ungemütlich.

Natür­lich bin ich gera­de unge­recht. Natür­lich haben auch die Por­tu­gie­sen das Recht, zu glo­ba­li­sier­ten Klein­bür­gern zu wer­den und ihr Land in einen The­men­park namens “Por­tu­gal” zu ver­wan­deln, wenn ihnen das in den Kram passt, natür­lich sind sie mit den­sel­ben ame­ri­ka­ni­schen Fil­men und Fern­seh­se­ri­en auf­ge­wach­sen wie wir, hören die­sel­ben anglo­ame­ri­ka­ni­sche Musik, träu­men die­sel­ben ame­ri­ka­ni­schen Träu­me; natür­lich kann nie­mand von ihnen ver­lan­gen, den Esels­kar­ren wie­der anzu­span­nen, damit wir zivi­li­sa­ti­ons­mü­den Nord- und Mit­tel­eu­ro­pä­er ein paar pit­to­res­ke Fotos mehr aus dem Urlaub mit nach Hau­se neh­men kön­nen; natür­lich sol­len sie kei­ne Kul­tur auf­recht­erhal­ten, die sich auch durch weit­ver­brei­te­ten Analpha­be­tis­mus und den bestän­di­gen Zwang zur Emi­gra­ti­on aus­zeich­ne­te — aber: Haben sie denn in die­ser schö­nen neu­en Welt noch das, was man ein­mal “See­le” genannt hat, und das für kein Land wich­ti­ger schien als für dieses?

Wir ande­ren haben ganz gewiss kei­ne mehr. Wir haben das biss­chen, was nach all den Kata­stro­phen des 20. Jahr­hun­derts noch davon übrig war, vor Jah­ren schon an einen Mephis­to im Sieg­fried-und-Roy-Kos­tüm ver­kauft, der uns mit dem ein­neh­men­den Lächeln eines kali­for­ni­schen Gebraucht­wa­ren­händ­lers dafür den Traum von ewi­ger Jugend, Schön­heit und der nie enden­den Kar­rie­re als IT-Mana­ger, Bör­sen­jo­ckey oder Rock­star auf­ge­schwätzt hat. Gro­ßen Wider­stand haben wir ihm nicht geleis­tet, und die gro­ßen Träu­me und Uto­pien, bei denen es ja auch dar­um gegan­gen wäre, sich ein Stück die­ser See­le zurück­zu­er­obern, sind irgend­wo auf dem Weg lie­gen geblie­ben, von den Scha­ma­nen einer neu­en bar­ba­ri­schen Reli­gi­on in den Schmutz getre­ten und ver­höhnt, von jenen scham­haft beschwie­gen, die ein­mal so glü­hend an sie geglaubt haben.

Jetzt also auch Län­der wie Por­tu­gal. Oder Grie­chen­land. Oder Irland. Oder wel­ches Land Sie auch wol­len. Es ist noch gar nicht so lan­ge her, dass man noch Rei­sen im best­mög­li­chen Sin­ne der Wor­tes unter­neh­men konn­te: als Sich-Ein­las­sen auf die Fremd­heit einer ande­re Land­schaft, einer ande­ren Spra­che, einer ande­ren Art, in der Welt zu sein. Wer reis­te, dem öff­ne­te sich, wenn er Glück hat­te und es rich­tig anstell­te, die Welt, dem eröff­ne­te sich das Geheim­nis des Lebens. Heu­te könn­ten wir ver­mut­lich Est­nisch oder Litau­isch ler­nen und wür­den fest­stel­len, dass auch im Bal­ti­kum im Jah­re 12 nach dem Ende des sowje­ti­schen Impe­ri­ums zumin­dest die Jugend vor­nehm­lich damit beschäf­tigt ist, den neu­en Har­ry Pot­ter nicht zu ver­pas­sen, sich eine Mei­nung über “Matrix Rel­oa­ded” zu bil­den, eine Fahr­ge­le­gen­heit zur Love-Para­de zu orga­ni­sie­ren und — um sich das alles auch leis­ten zu kön­nen — einen Job zu ergat­tern, bei dem man in läs­si­ger Auf­ma­chung zwölf Stun­den am Tag mit Kräu­ter­brau­se und beleg­ten Teig­f­la­den in der Hand vor dem Com­pu­ter sitzt und elek­tro­ni­sche Wer­be­zet­tel­chen ent­wirft (auch als “Web­de­sign” bekannt). Die Innen­städ­te ganz Euro­pas glei­chen sich in ihrer ahis­to­ri­schen, auf­ge­putz­ten Kulis­sen­haf­tig­keit, die Vor­städ­te in ihrer mons­trö­sen Mischung aus rie­si­gen Wohn­ma­schi­nen und put­zi­gen Ein­fa­mi­li­en­häu­sern, das plat­te Land in sei­nem alber­nen Wunsch, nicht mehr plat­tes Land zu sein, son­dern glas­glit­zern­de und stahl­schim­mern­de Metro­po­le. Wer heu­te reist, der fin­det wenig mehr als das eige­ne Spiegelbild.

Was haben wir dafür auf­ge­ge­ben? An was kön­nen wir uns noch erin­nern, das ein­mal zu uns gehört hat? Denn nicht nur der Schnee­leo­pard und das Edel­weiß kön­nen aus­ster­ben. Schon lan­ge wird beklagt, dass auch die Spra­chen immer weni­ger wer­den. Opti­mis­ten zufol­ge zehn Pro­zent, Pes­si­mis­ten zufol­ge zwei Drit­tel aller 6000 auf der Erde gespro­che­nen Spra­chen wer­den die­ses Jahr­hun­dert nicht über­le­ben. Jede von ihnen ist eine gan­ze Welt für sich. Aber was nüt­zen am Ende sogar unter­schied­li­che Spra­chen, wenn man dar­in immer nur das­sel­be sagen kann? Ihre Groß­el­tern haben viel­leicht noch den Dia­lekt des Lan­des­teils gespro­chen, aus dem sie stamm­ten, Ihre Eltern immer­hin rich­ti­ges Hoch­deutsch. Sie selbst sind sicher stolz auf ihr gutes Eng­lisch und rea­li­sie­ren jetzt, dass die­ser Unsinn hier kei­nen Sinn macht, und wenn jemand Sie fragt, ob Sie okay sind, zucken Sie nicht zusam­men, son­dern ant­wor­ten mit “Nicht wirk­lich”; wer weiß, wie es Ihren Enkeln gehen wird, mit ihrem “Master”-Abschluss an der “Inter­na­tio­nal Uni­ver­si­ty Klein­bo­bin­gen”, ihrer Stel­le als “Chief Tech­ni­cal Offi­cer” oder “Con­tent Mana­ger”, ihrem Leben in “Just in time”-Bereitschaft. Denn am Ende des his­to­risch-öko­no­mi­schen Vor­gangs, um den es hier geht, wird schließ­lich die gesam­te Kul­tur dran glau­ben müs­sen, das Beson­de­re, das Stör­ri­sche, das Unver­wech­sel­ba­re, eben die Eigen­art eines jeden Vol­kes und eines jeden Menschen.

War­um das alles so ist? Geben wir uns ein wenig idyl­li­scher Nost­al­gie hin und hören wir, was zwei heu­te wenig popu­lä­re deut­sche Phi­lo­so­phen vor 150 Jah­ren zum The­ma zu sagen hatten:

Alle fes­ten ein­ge­ros­te­ten Ver­hält­nis­se mit ihrem Gefol­ge von alt­ehr­wür­di­gen Vor­stel­lun­gen und Anschau­un­gen wer­den auf­ge­löst, alle neu­ge­bil­de­ten ver­al­ten, ehe sie ver­knö­chern kön­nen. Alles Stän­di­sche und Ste­hen­de ver­dampft, alles Hei­li­ge wird ent­weiht, und die Men­schen sind end­lich gezwun­gen, ihre Lebens­stel­lung, ihre gegen­sei­ti­gen Bezie­hun­gen mit nüch­ter­nen Augen anzu­se­hen. […] An die Stel­le der alten loka­len und natio­na­len Selbst­ge­nüg­sam­keit und Abge­schlos­sen­heit tritt ein all­sei­ti­ger Ver­kehr, eine all­sei­ti­ge Abhän­gig­keit der Natio­nen von­ein­an­der. Und wie in der mate­ri­el­len, so auch in der geis­ti­gen Produktion.

Der Schul­di­ge hieß damals “Bour­geoi­sie”, heu­te sagt man lie­ber “Glo­ba­li­sie­rung”, und Marx und Engels, die­se ver­staub­ten alten Kna­ben, die einem oft so über­ra­schend heu­tig anmu­ten, waren sei­ner­zeit der fes­ten Über­zeu­gung, dass die­se Ent­wick­lung eine nöti­ge Vor­be­din­gung für den Über­gang der Mensch­heit aus dem Reich der Not­wen­dig­keit in das Reich der Frei­heit dar­stel­len wür­de. Wenn wir den bei­den also ein letz­tes Mal Glau­ben schen­ken wol­len, müss­te sozu­sa­gen erst auch die letz­te neu­guin­ei­schen Jäger-und-Samm­ler-Gemein­de eine Han­dy-Quo­te von knapp 100 Pro­zent auf­wei­sen, müss­te der letz­te Ango­la­ner im Gewer­be­ge­biet Luan­da-Süd bei IKEA ein “IVAR”-Regal und nach­her bei OBI das Werk­zeug zum Zusam­men­schrau­ben kau­fen, müss­te der letz­te All­gäu­er Anar­chis­ten­bau­er den von den Vätern ererb­ten Hof ver­sil­bern und zu Tele­kom-Akti­en machen, bis die Mensch­heit end­lich bereit wäre für die Rück­kehr ins Para­dies. Oder, um uns für einen Moment wie­der Por­tu­gal zuzu­wen­den: Deut­sche Super­märk­te, ame­ri­ka­ni­sche Kaf­fee­häu­ser und schwe­di­sche Möbel, eben­so die von den heim­ge­kehr­ten Gast­ar­bei­tern in den Nor­den des Lan­des impor­tier­te mit­tel­eu­ro­päi­sche Haus- und Wohn­kul­tur (Jäger­zaun! Alpen­dach!) oder der Umstand, dass der Algar­ve neben Mal­lor­ca und der Cos­ta del Sol eben­so zu einer Zweig­stel­le des deut­schen Alten­heim­sys­tems gewor­den ist wie die Fischer­dör­fer und Kork­ei­chen­wäl­der des Süd­wes­tens eine Enkla­ve kif­fen­der Kreuz- und Prenzlber­ger Aus­stei­ger dar­stel­len, wären nur äuße­rer Aus­druck eines his­to­risch not­wen­di­gen Pro­zes­ses, dem man sich bes­ser nicht in den Weg stellt, weil er ohne­hin nicht auf­zu­hal­ten ist.

Heu­te wer­den sol­che Weis­hei­ten nicht mehr von der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le, son­dern vom Welt­wirt­schafts­fo­rum in Davos ver­kün­det. Wer­den sie dadurch glaub­wür­di­ger? Anders gesagt: Wenn man auf einen Berg steigt und unter­wegs ein Edel­weiß fin­det, soll man es dann aus­rei­ßen, weil an die­ser Stel­le ja eine Seil­bahn­stüt­ze ein­be­to­niert wer­den soll? Wenn man den letz­ten Schnee­leo­par­den fin­det, soll man ihn erschie­ßen, weil man Angst hat, dass er die ört­li­chen Wege für Trek­king-Urlau­ber gefähr­den könn­te? Wenn man eine Spra­che ent­deckt, die nie­mand mehr spricht, soll man alle dar­in geschrie­ben Bücher zu Recy­cling­pa­pier machen, weil sie ja doch nie­mand mehr liest? Wenn man an sich selbst stör­ri­schen Eigen­sinn und hart­nä­cki­ge Macken fest­stellt, soll man sie aus­mer­zen, um sich markt­kon­form auf dem Arbeits­markt anprei­sen zu kön­nen? Sol­len wir ein­fach nur dasit­zen, die Hän­de in den Schoß legen und war­ten, bis es zu spät ist?

Man müss­te klein anfan­gen, eine Rote Lis­te der bedroh­ten Natio­nal­ei­gen­schaf­ten auf­stel­len; Green­peace könn­te neu­es Leben ein­ge­haucht wer­den, indem die Orga­ni­sa­ti­on — die ja im Grun­de ein zutiefst kon­ser­va­ti­ves Anlie­gen ver­tritt — begrif­fe, dass auch der Kampf gegen die Glo­ba­li­sie­rung eine Form des Arten­schut­zes dar­stellt, dass schein­bar über­kom­me­ne For­men der hand­werk­li­chen Pro­duk­ti­on wie zum Bei­spiel eine simp­le Tisch­ler­werk­statt oder eine rich­ti­ge, “alt­mo­di­sche” Schmie­de mit Amboss und Fun­ken­re­gen zu den Din­gen gehört, deren Ver­lust unse­re Welt nicht weni­ger ver­ar­men las­sen als das Aus­ster­ben einer süd­ame­ri­ka­ni­schen Käfer­spe­zi­es. Das glei­che gilt für eng­li­sche Maß­ein­hei­ten, fran­zö­si­sche Lebens­kunst (selbst Frank­reich war schon mal fran­zö­si­scher…), ita­lie­ni­sche Spon­ta­nei­tät, por­tu­gie­si­sche Melan­cho­lie und, auch das, deut­schen Fleiß und deut­sche Gründ­lich­keit. Es gibt eine Öko­lo­gie der Kul­tu­ren, und sie befin­det sich eben­so in der Defen­si­ve wie die der Arten.

Machen wir uns nichts vor: Die kapi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se mag ja allen ande­ren an Leis­tungs­fä­hig­keit und Effi­zi­enz über­le­gen sein; vom Men­schen ver­steht sie herz­lich wenig. Und wird sie kon­se­quent und markt­li­be­ral zu Ende gedacht, ist sie nicht weni­ger unmensch­lich als Sta­lins zu Ende gedach­te Auf­klä­rung und Hit­lers zu Ende gedach­te Roman­tik. Las­sen Sie uns auch die­sem, viel­leicht letz­ten, Tota­li­ta­ris­mus ent­ge­gen­tre­ten und kon­se­quent für die ewi­ge Unzu­richt­bar­keit des mensch­li­chen Wesens strei­ten! Ste­hen wir zu unse­ren Macken, zu unse­rer Faul­heit, dem klei­nen Quänt­chen Irra­tio­na­li­tät, ohne das wir nicht leben könn­ten, zu unse­ren obsku­ren Dia­lek­ten, die kaum jemand spricht, unse­rem absei­ti­gen Musik­ge­schmack, der von EMI oder Ber­tels­mann nicht befrie­digt wer­den kann, zu unse­rem hart­nä­cki­gen Fest­hal­ten an eine von den Vor­fah­ren über­kom­men Land­schafts­ge­stal­tung und Bau­wei­se, zu unse­rer Zuge­hö­rig­keit an die­se oder jene ganz unver­wech­sel­bar eigen­stän­di­ge Grup­pe von Men­schen (Sie müs­sen sich nicht auf eine beschrän­ken, aber Sie wer­den es nicht schaf­fen, zu kei­ner zu gehö­ren), ganz all­ge­mein zu unse­rem Fest­hal­ten am Alten, Her­ge­brach­ten, wenn uns das Neue nicht gefal­len will. Und hören wir auf, über unse­re fran­zö­si­schen Nach­barn zu spot­ten, die wie­der ein­mal viel klü­ger sind als wir und unge­ach­tet der all­ge­mei­nen Häme hart­nä­ckig wenigs­tens ver­su­chen, an ihrer Spra­che und ihrer Kul­tur fest­zu­hal­ten, und sei es mit so plum­pen Mit­teln wie dem einer “Chan­son-Quo­te” im Radio. Die haben sich wenigs­tens noch nicht aufgegeben.

Die Alter­na­ti­ve ist grau­sam: Stel­len Sie sich eine Zukunft vor, in der lau­ter blon­de, blau­äu­gi­ge, krank­heits­lo­se Men­schen­klo­ne (Brad Pitt! Jen­nif­fer Anis­ton!) in den funk­tio­nal chrom­schö­nen Ein­kaufs­pas­sa­gen pas­tell­far­be­ner Lego­land­städ­te (Pots­da­mer Platz!) einen lock­stoff­haft duf­ten­den, nach allen Regeln der geschmacks­la­bo­ra­to­ri­schen Kaf­fee­kunst gebrau­ten Lat­te Mac­chia­to schlür­fen und über die im Café­haus­tisch ein­ge­las­se­nen Bild­schir­me gleich­zei­tig eine Kon­fe­renz mit Kap­stadt abhal­ten, Abend­kar­ten für eine Wie­der­auf­nah­me von “Evi­ta” im Westend bestel­len und die aktu­el­len Kur­se ihrer Akti­en an der Bör­se von Kua­la Lum­pur über­prü­fen. Spä­ter wür­den sie beim Ita­lo­in­der eine Piz­za Tan­doo­ri mit Algen­sa­lat essen und schließ­lich mit einem strom­li­ni­en­för­mi­gen, was­ser­stoff­be­trie­be­nen Sport­wa­gen Zuf­fen­hau­se­ner Bau­art und Mai­län­der Design in die Ber­ge drau­ßen vor der Stadt schwe­ben, wo sie in ihrem Land­haus im spa­ni­schen Stil im Ange­sicht der land­schaft­li­chen Schön­hei­ten der Krim­halb­in­sel und dank eines prä­na­tal ein­ge­stell­ten und voll­kom­men opti­mier­ten Hor­mon­haus­halts opti­mal vor­be­rei­tet auf eine Wei­se mit­ein­an­der schla­fen, von der wir noch nicht ein­mal träu­men kön­nen. Wenn sie sich noch unter­hal­ten, dann ver­mut­lich in einer ent­fernt dem Eng­li­schen ver­wand­ten Stum­mel­spra­che (gibt’s jetzt schon: “Yo, man! Whas­sup?”). Abge­se­hen davon, dass einem schon der Instinkt sagt, dass sol­che Eloi sicher auch irgend­wel­che Mor­locks bräuch­ten, die ihnen nöti­gen­falls mal das ver­stopf­te Klo rei­ni­gen, wäre dies vor allem eins, näm­lich die Selbst­ab­schaf­fung des Men­schen — in all sei­ner Zer­brech­lich­keit und Unzu­läng­lich­keit. Totalitarismus.

Gro­ße Wor­te, gewiss. Und wie sich gegen all das weh­ren? Wie Por­tu­gal wie­der por­tu­gie­sisch machen? Sie müs­sen, wie gesagt, nicht gleich Ber­ge ver­set­zen. Fan­gen Sie ein­fach mal damit an, Sie selbst zu sein. Der Rest ergibt sich dann ja vielleicht.

 

(Anmer­kung: Der Text ist schon ein paar Jah­re älter und berück­sich­tigt daher die Finanz­kri­se und alle seit­he­ri­gen Ent­wick­lun­gen nicht. Man könn­te vom heu­ti­gen Stand­punkt aus natür­lich ein­wen­den, dass die Gleich­ma­che­rei eben doch nur ober­fläch­li­cher Art war und die gra­vie­ren­den Men­ta­li­täts­un­ter­schie­de zwi­schen den ein­zel­nen Staa­ten Euro­pas sich nicht so leicht besei­ti­gen las­sen wie in die­sem Text befürchtet.)