Autorenblog

Autor: Bernd (Seite 5 von 22)

Die Sache mit den Wölfen

Inter­es­sant. Jemand schreibt ein Sach­buch über die ers­ten Jah­re in Deutsch­land nach dem 2. Welt­krieg und gibt dem Gan­zen den Titel Wolfs­zeit – ein Fall von Jung’scher Synchronizität …?

Der Teufel und die Phase Drei

Faust wäre eigent­lich der Mann der Stun­de. Sein unstill­ba­rer Wis­sens­durst, sei­ne maß­lo­se Dyna­mik und Macht­gier, sei­ne Sehn­sucht nach Rausch und Spi­ri­tua­li­tät – all das sind zwei­fel­los immer noch wir. Auch einen nicht ganz unbe­deu­ten­den Teu­fels­pakt haben wir geschlos­sen, der uns die wis­sen­schaft­li­che Revo­lu­ti­on, fos­si­le Brenn­stof­fe und tau­send unver­zicht­ba­re tech­ni­sche Hel­fer­lein beschert hat, nun aber lang­sam dar­auf zusteu­ert, dass der Fürst der Fins­ter­nis sei­nen übli­chen Lohn ein­for­dert. Nicht ganz zufäl­lig hat Speng­ler unse­re Kul­tur, die im Spät­mit­tel­al­ter aus der Ursup­pe von Alchi­mie und Ent­de­ckungs­fahr­ten ent­stand, als »faus­tisch« bezeichnet.

Was wohl das heu­ti­ge Thea­ter dar­aus macht? Ich bin lei­der nicht so im The­ma drin – das letz­te posi­ti­ve Büh­nen­er­leb­nis, an das ich mich erin­nern kann, muss irgend­wann gegen Ende der 1980er Jah­re in den Münch­ner Kam­mer­spie­len gewe­sen sein; ich glau­be, es war eine Auf­füh­rung von Tsche­chows Möwe. Die Kos­tü­me ent­spra­chen der Zeit des Stü­ckes, das Büh­nen­bild sah aus wie ein rus­si­scher Guts­hof Ende des 19. Jahr­hun­derts von innen aus­ge­se­hen haben mag, und die Schau­spie­ler ver­kör­per­ten die Rol­len so, wie es der Autor vor­ge­se­hen hat­te, ohne dass der Text einer Figur auf ver­schie­de­ne Spre­cher ver­teilt wur­de oder ein ein­sa­mer Mime sämt­li­che Rol­len­tex­te mit ver­stell­ter Stim­me aus dem Reclam-Heft ablas. Nicht mal Video­ein­spie­lun­gen oder Gesangs­ein­la­gen gab es. Spä­ter ging ich immer sel­te­ner ins Thea­ter; irgend­wann habe ich es ganz aufgegeben.

Ich schwei­fe ab. Vor kur­zem ent­deck­te ich das Kon­ter­fei Mephis­tos auf dem Cover einer etwas merk­wür­di­gen, nach einem römi­schen Schrift­stel­ler benann­ten Zeit­schrift, die mir eine Erklä­rung dafür ver­sprach, »was Goe­thes Meis­ter­werk unsterb­lich macht«. Gese­hen, gekauft, ärger­lich wie­der weg­ge­legt. Der Haupt­text mäan­dert so vor sich hin, irgend­was mit Gret­chen und »Metoo« sowie eine Para­de der abson­der­lichs­ten Insze­nie­rungs­ideen, die gera­de auf den deutsch­spra­chi­gen Büh­nen im Umlauf sind. Wich­ti­ger als der Inhalt des Stücks scheint mitt­ler­wei­le zu sein, wel­che Rol­le der Goe­the­kult im »3. Reich« spiel­te. Ein paar Sei­ten wei­ter meint irgend­je­mand sogar, der Dich­ter­fürst hät­te etwas gegen Boden­spe­ku­la­ti­on schrei­ben wol­len … Der ein­zi­ge, der auch nur in die Nähe des Pro­blems kommt, ist ein gewis­ser Nico­las Ste­mann, der aber auf hal­bem Weg ste­hen­bleibt und Goe­thes Dra­ma der »Geburt des moder­nen Kapi­ta­lis­mus« zuweist – als wäre Fausts gran­dio­se Neu­land­ge­win­nung nicht eben­so gut ein Vor­läu­fer kom­mu­nis­ti­scher oder faschis­ti­scher Mega­pro­jek­te. Mephis­to, das ist ja das Dilem­ma, hat die Moder­ne ins­ge­samt gebracht, nicht nur die libe­ral-kapi­ta­lis­ti­sche Variante.

The­ma also lei­der ver­fehlt. Wor­an mag das lie­gen? Viel­leicht dar­an, dass wir noch nicht bereit für die Depres­si­on sind. Nein, das ist jetzt kei­ne erneu­te Abschwei­fung – ich mei­ne damit die drit­te der fünf Pha­sen des Ster­be­pro­zes­ses, die um 1970 von der schwei­ze­risch-ame­ri­ka­ni­schen Psych­ia­te­rin Eli­sa­beth Küb­ler-Ross in ihrem Buch Inter­views mit Ster­ben­den iden­ti­fi­ziert wur­den. Küb­ler-Ross hat­te aus ihrer Beschäf­ti­gung mit Todes­kan­di­da­ten die Erkennt­nis gewon­nen, dass die meis­ten Men­schen auf die Nach­richt ihres bevor­ste­hen­den Todes zunächst mit Nicht­wahr­ha­ben­wol­len (deni­al), dann mit Zorn (anger) und Ver­han­deln (bar­gai­ning), schließ­lich mit trau­ern­der Depres­si­on (depres­si­on and grief) und Hin­nah­me (accep­t­ance) reagie­ren.

Das Modell lässt sich pro­blem­los auf die lang­sam all­ge­mein däm­mern­de Erkennt­nis über­tra­gen, dass die Mensch­heit dank Mephis­tos Geschenk dabei ist, durch glo­ba­le Erwär­mung, Erschöp­fung der Res­sour­cen und Natur­zer­stö­rung nach­hal­tig ihre eige­ne Exis­tenz­grund­la­ge zu besei­ti­gen. Aller­dings ist dabei nicht jeder gleich schnell: Bei Sci­ence­Files und in AfD-Krei­sen etwa hat man sich fest in Pha­se Eins ein­be­to­niert, wäh­rend die Gelb­wes­ten und die Extinc­tion Rebels unge­hemmt ihren Zorn aus­le­ben und das Dark Moun­tain Pro­ject schon melan­cho­lisch über­legt, wie es nach dem Zusam­men­bruch wei­ter­ge­hen könnte.

Inter­es­san­ter ist die drit­te Pha­se, in der sich wohl die meis­ten von uns befin­den. Küb­ler-Ross mein­te damit den Glau­ben von Tod­ge­weih­ten, das dro­hen­de Unheil etwa durch einen »Han­del mit Gott« (indem man etwa sein Ver­mö­gen der Kir­che stif­tet) noch irgend­wie abwen­den zu kön­nen. Auch eine ganz bana­le Ände­rung ihrer Lebens­wei­se kann ange­bo­ten wer­den: Wenn man sich radi­kal ändert, ab sofort auf­hört zu rau­chen, zu trin­ken, Dro­gen zu neh­men und unge­sund zu essen, wenn man Sport treibt, medi­tiert und Yoga macht – dann könn­te man doch noch ein paar Jah­re her­aus­schin­den, oder …? Das ent­spricht in etwa unse­rer Hoff­nung, wir müss­ten nur Unmas­sen von Wind­rä­dern in die Land­schaft stel­len, Die­sel­mo­to­ren ver­bie­ten und genü­gend Geld­mit­tel in die Was­ser­stoff­for­schung ste­cken, um damit den Unter­gang unse­rer Zivi­li­sa­ti­on noch­mal ein Schnipp­chen zu schla­gen. Wie in dem Mär­chen vom Bau­ern und dem Teu­fel, in dem der cle­ve­re Land­mann den Höl­len­fürs­ten über­lis­tet und ihm einen Schatz abtrotzt, ohne sei­ne See­le dafür her­ge­ben zu müssen.

Aber ist der Teu­fel wirk­lich so dumm? Damit wären wir wie­der beim Faust­stoff, der in sei­ner klas­si­schen Vari­an­te, also in der Volks­sa­ge und in Mar­lo­wes Dok­tor Faus­tus, eine ein­deu­ti­ge Ant­wort dar­auf gibt: Der Wit­ten­ber­ger Gelehr­te erhält als Lohn für den Ver­kauf sei­ner See­le einen von Dra­chen gezo­ge­nen Him­mels­wa­gen, eine Audi­enz beim Papst, eine Stel­lung als Bera­ter des Kai­sers, Zau­ber­mit­tel jeder Art und als letz­tes Extra die Gunst der schöns­ten Frau der Anti­ke, der berühm­ten Hele­na. Aber dann kommt die Nacht, in der abge­rech­net wird, und es bleibt der Phan­ta­sie des Lesers oder Zuschau­ers über­las­sen, wie wohl die Blut­sprit­zer und Gehirn­res­te, die sein Famu­lus am nächs­ten Mor­gen an den Wän­den von Fausts Stu­dier­stu­be ent­deckt, dort­hin gekom­men sein mögen.

Nicht so Goe­the: Von den Idea­len der Auf­klä­rung beseelt konn­te er sei­nen tra­gi­schen Hel­den nicht ein­fach so zur Höl­le fah­ren las­sen. Statt­des­sen läu­tert sich der Teu­fels­pak­tie­rer am Schluss, indem er den Sinn des Lebens dar­in fin­det, selbst­los den bedürf­ti­gen Mas­sen durch sein gro­ßes Ein­dei­chungs­pro­jekt zu hel­fen und dadurch unsterb­li­chen Ruhm zu erlan­gen. Mephis­to hin­ge­gen mutiert ganz wie im Mär­chen zum lüs­ter­nen Trot­tel, der sich von den appe­tit­lich anzu­se­hen­den Hin­tern der Engel ablen­ken lässt und dadurch Fausts See­le nicht mehr in die Hän­de bekommt. Eine Inkar­na­ti­on der Gro­ßen Mut­ter­göt­tin seg­net alles ab, selbst die Sache mit Gret­chen ist ver­zie­hen und ver­ge­ben, und ein mys­ti­scher Chor beschwört das »Ewig-Weib­li­che«.

Auf unse­re Situa­ti­on über­tra­gen: Kön­nen wir trotz unse­rer vie­len schwe­ren Sün­den dar­auf hof­fen, doch noch das Ruder her­um­zu­rei­ßen und Erlö­sung in einer son­nen- und wind­ge­trie­be­nen Welt zu fin­den, in der spi­ri­tu­ell beseel­te Natur­ver­bun­den­heit und tech­ni­sche Zivi­li­sa­ti­on sich nicht mehr gegen­sei­tig aus­schlie­ßen? Oder gar, wie von Elon Musk und Jeff Bezos erträumt, mit neu­em Schwung den Welt­raum erobern und die Natur hier unten sich selbst über­las­sen …? Die Ant­wort dar­auf mag jeder sich selbst geben, aber ich wür­de ver­mut­lich sogar wie­der ins Thea­ter gehen, wenn nur mal jemand den Faust unter die­sem Aspekt insze­nie­ren wür­de (aber bit­te kei­ne Reclam-Heftchen!) …

Kleiner Nachtrag zu »Wolfsstadt«

Am letz­ten Don­ners­tag hat­te ich Gele­gen­heit, vor einem klei­nen Publi­kum von inter­es­sier­ten und klu­gen Men­schen aus mei­nen Büchern vor­zu­le­sen. (Noch­mals vie­len Dank an Joa­chim dafür!) Anschlie­ßend muss­te ich vie­le gute Fra­gen beant­wor­ten und ein wenig aus dem Näh­käst­chen plau­dern, was viel Spaß gemacht hat. Es war außer­dem eine schö­ne Gele­gen­heit, mich nach län­ge­rer Zeit mal wie­der damit zu beschäf­ti­gen, war­um ich Wolfs­stadt über­haupt geschrie­ben habe. Zum Glück fiel mir die rich­ti­ge Ant­wort ein: damit sich wenigs­tens in der Fik­ti­on jemand Gedan­ken dar­über machen muss, war­um er vor 1945 so pro­blem­los als Teil der Ver­nich­tungs­ma­schi­ne­rie funk­tio­niert hat. Was in der Rea­li­tät wohl für immer ein gewis­ses Man­ko blei­ben wird.

Hier übri­gens ein dama­li­ger Alter­na­tiv-Ent­wurf zum Cover:

Tage und Zeichen (3)

Am letz­ten Wochen­en­de nach län­ge­rer Zeit mal wie­der ein paar Stun­den auf der Auto­bahn ver­bracht. Ich glau­be nicht, dass es in den letz­ten hun­dert Jah­ren eine Zeit gege­ben hat, in der der­art häss­li­che Autos gebaut wurden.

*

Eine Fra­ge, die ich mir in letz­ter Zeit häu­fi­ger stel­le: Wie kommt es eigent­lich, dass alle Welt immer so schnell eine Mei­nung hat …?

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Dazu Zen-Meis­ter Eck­hart: »Gott ist immer in uns, wir sind nur so sel­ten zu Hause.«

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Inter­es­san­tes Kon­zept des mit­tel­al­ter­li­chen ara­bi­schen His­to­ri­kers Ibn Chal­dun: Asa­bi­y­ya ist das Maß an inne­rer sozia­ler Kohä­renz und Loya­li­tät, das es einem Gemein­we­sen erlaubt, har­te Zei­ten durch­zu­ste­hen, Opfer für das gemein­sa­me Wohl­erge­hen zu brin­gen und sich gegen Fein­de durch­zu­set­zen. In Gesell­schaf­ten mit hoher Asa­bi­y­ya herrscht hohes gegen­sei­ti­ges Ver­trau­en, die Men­schen schlie­ßen sich oft zu Inter­es­sen­grup­pen zusam­men, sie sind in der Lage, auch grö­ße­re Insti­tu­tio­nen zu grün­den und auf­recht­zu­er­hal­ten, und sie sind auch eher bereit, etwas für Mit­bür­ger zu tun, die vom Glück nicht so ver­wöhnt sind. Gesell­schaf­ten mit gerin­ger Asa­bi­y­ya hin­ge­gen ken­nen kaum Soli­da­ri­tät über den Kreis der eige­nen Fami­lie hin­aus, und ihre Mit­glie­der betrach­ten alle Arten von über­grei­fen­den Orga­ni­sa­tio­nen (ob staat­lich oder nicht-staat­lich) eher als zu bekämp­fen­de Fein­de denn als gemein­sa­me »öffent­li­che Sache«. Man kann im Lau­fe der Zeit einen hohen Grad an Asa­bi­y­ya auch wie­der ver­lie­ren, wie etwa das Bei­spiel Süd­ita­li­en zeigt, das von einem Kern­ge­biet des Römi­schen Reichs (maxi­ma­le Asa­bi­y­ya) nach des­sen Zusam­men­bruch zum Schwar­zen Loch wur­de, in dem seit Jahr­hun­der­ten jede Art von über­fa­mi­liä­rer Soli­da­ri­tät spur­los ver­schwin­det. Das Ergeb­nis: eine Fremd­herr­schaft nach der ande­ren, die Schat­ten­welt der kri­mi­nel­len Fami­li­en­clans, ein hohes Maß an inner­ge­sell­schaft­li­cher Gewalt, eine All­tags­kul­tur des Trick­sens und Täuschens.

Wo ste­hen wir in die­ser Hin­sicht? Der rus­sisch-ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Peter Tur­chin, dem ich die­se Ein­sich­ten ver­dan­ke, bil­ligt den Deut­schen in sei­nem Buch War and Peace and War eine tra­di­tio­nell sehr hohe Asa­bi­y­ya zu, und noch vor eini­gen Jah­ren hät­te ich den Gedan­ken, das Mut­ter­land des Ver­eins­we­sens und der frei­wil­li­gen Feu­er­wehr wür­de irgend­wann in Rich­tung Sizi­li­en umkip­pen, als absurd abge­tan. Mitt­ler­wei­le bin ich mir da nicht mehr so sicher.

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