Autorenblog

Schlagwort: Putin

Warum ich das Wort »Faschismus« nicht mehr hören kann

Putin tut es. Nan­cy Fae­ser tut es. Ali­ce Schwar­zer tut es. Und selbst­ver­ständ­lich tut es auch der zum Sozi­al­kun­de­leh­rer der Nati­on mutier­te Jan Böh­mer­mann. Alle reden vom »Faschis­mus«. War­um eigent­lich? Aus Sicht des His­to­ri­kers han­delt es sich um ein unge­len­kes Bläh­wort. Außer dem ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal hat kei­nes der auto­ri­tä­ren Regimes, die man für gewöhn­lich damit bezeich­net, den Begriff als Selbst­be­zeich­nung ver­wen­det. Und auch inhalt­lich wichen sie trotz schein­bar iden­ti­scher Mas­sen­auf­mär­sche und Durch­uni­for­mie­rung der Gesell­schaft alle mehr oder weni­ger stark von­ein­an­der ab. Unter Mus­so­li­ni ver­such­te man damals mehr oder weni­ger, den mit­tel­al­ter­li­chen Stän­de­staat gewalt­sam mit der indus­tri­el­len Moder­ne und der Lösung der Arbei­ter­fra­ge zu ver­ei­nen, und Ele­men­te davon fin­den sich auch in den ande­ren Bewe­gun­gen, wie etwa der spa­ni­schen Falan­ge oder dem Stras­ser-Flü­gel der NSDAP. Die Schwer­punk­te aber lagen dort ganz woanders.

Die Falan­ge war eben nicht iden­tisch mit Fran­co, dem es vor allem dar­um ging, Spa­ni­en vor den Schre­cken einer als bedroh­lich emp­fun­de­nen Moder­ne zu bewah­ren. Er stütz­te sich bei sei­ner Herr­schaft mehr auf Armee, katho­li­sche Kir­che und reak­tio­nä­res Groß­bür­ger­tum als auf die rabau­ken­haf­ten Blau­hem­den und hielt sich außen­po­li­tisch extrem bedeckt, selbst als Hit­ler-Deutsch­land gegen den gemein­sa­men Feind Sowjet­uni­on in den Krieg zog. Was mit dem Stras­ser-Flü­gel pas­sier­te, sah man dann ja in dem bekann­ten »Röhm-Putsch«. Und der Wesens­kern der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung – die wir­re Idee, dass die gesam­te Geschich­te ein­zig und allein als Ras­sen­kampf zu ver­ste­hen und die »ari­sche Ras­se« zum End­sie­ger die­ses Kamp­fes vor­her­be­stimmt wäre – fin­det sich in kei­nem der ande­ren »Faschis­men« wie­der. In die­ser Hin­sicht stif­tet der Begriff eher Ver­wir­rung, als dass er zu irgend­ei­nem Ver­ständ­nis beitrüge.

Es gibt aller­dings eines, in dem alle angeb­lich »faschis­ti­schen« Regimes über­ein­stimm­ten, näm­lich in ihrem hass­erfüll­ten Anti­kom­mu­nis­mus. Die­ser Hass scheint mir aus heu­ti­ger Sicht psy­cho­lo­gisch eher als Bru­der­zwist erklär­lich – auch auf der Rech­ten war man anti­bür­ger­lich, träum­te von tota­ler Herr­schaft und streb­te nach der gewalt­sa­men Trans­for­ma­ti­on der Gesell­schaft auf dem Wege einer Mas­sen­be­we­gung –, und er führ­te auf der Gegen­sei­te prompt zur ent­spre­chen­den Reak­ti­on: Nach­dem im Okto­ber 1923 die in Mos­kau schon als siche­re Bank ange­se­he­ne kom­mu­nis­ti­sche Revo­lu­ti­on in Deutsch­land kläg­lich schei­ter­te, fin­gen die Bol­sche­wi­ki plötz­lich an, die SPD als »Sozi­al­fa­schis­ten« zu denun­zie­ren, die das Gelin­gen des Umstur­zes ver­hin­dert hätten.

Das scheint zunächst schwer ver­ständ­lich – war­um »Faschis­ten« und war­um aus­ge­rech­net die SPD? Aber eigent­lich ist es ganz ein­fach: Wenn man damals der wir­ren Idee anhing, dass die gesam­te Geschich­te ein­zig und allein als Klas­sen­kampf zu ver­ste­hen und das »Pro­le­ta­ri­at« zum End­sie­ger die­ses Kamp­fes vor­her­be­stimmt wäre, muss­te man an der Tat­sa­che ver­zwei­feln, dass aus­ge­rech­net im wirt­schaft­lich am wei­tes­ten ent­wi­ckel­ten Land Euro­pas die Arbei­ter­schaft nicht in die Gän­ge kam und die ihr vom »dia­lek­ti­schen Mate­ria­lis­mus« zuge­dach­te Rol­le als Initia­tor der Welt­re­vo­lu­ti­on spielte. 

Also phan­ta­sier­te man sich aus den damals gras­sie­ren­den auto­ri­tä­ren Bewe­gun­gen ein Schreck­ge­spenst zusam­men, das man »Faschis­mus« nann­te, für das rät­sel­haf­te Aus­blei­ben die­ser Revo­lu­ti­on ver­ant­wort­lich mach­te und in pole­mi­scher Wei­se mit der SPD in Ver­bin­dung brach­te, die damals zu den weni­gen Par­tei­en gehör­te, die den Staat von Wei­mar tat­säch­lich aus vol­ler Über­zeu­gung unter­stütz­ten. »Faschis­mus ist eine Kampf­or­ga­ni­sa­ti­on der Bour­geoi­sie«, schrieb Genos­se Sta­lin schon 1924 und gab damit die Rich­tung vor, die dann 1935 von dem bul­ga­ri­schen Kom­mu­nis­ten Geor­gi Dimitroff auf dem VII. Welt­kon­gress der Kom­in­tern wei­ter ver­fei­nert wur­de: Faschis­mus sei die »ter­ro­ris­ti­sche Dik­ta­tur der am meis­ten reak­tio­nä­ren, chau­vi­nis­ti­schen und impe­ria­lis­ti­schen Ele­men­te des Finanz­ka­pi­tals«. Er sei ein Mit­tel der Kapi­ta­lis­ten, einem dro­hen­den kom­mu­nis­ti­schen Umsturz zu begeg­nen und die Arbei­ter­be­we­gung zu zerschlagen.

Mit ande­ren Wor­ten: Der heu­ti­ge Gebrauch des Wor­tes »Faschis­mus« geht auf ein Framing zurück, mit dem eines der bei­den gro­ßen Kro­ko­di­le des 20. Jahr­hun­derts das Schei­tern sei­ner ideo­lo­gie­ge­trie­be­nen Pro­phe­zei­un­gen dem ande­ren Kro­ko­dil in die Schu­he zu schie­ben ver­such­te. Dies setz­te sich dann im Sprach­ge­brauch der Sowjet­uni­on und der von ihr beherrsch­ten Staa­ten fort – wer ein­mal DDR-Lite­ra­tur gele­sen oder vor 1989 einen Blick in das Neue Deutsch­land gewor­fen hat, kann sich über einen Man­gel an Begeg­nun­gen mit »Faschis­ten« und »Faschis­mus« nicht bekla­gen. In allen Berich­ten über den Zwei­ten Welt­krieg war dies die selbst­ver­ständ­li­che Bezeich­nung für die Sol­da­ten der Gegen­sei­te, die Mau­er war ein »anti­fa­schis­ti­scher Schutz­wall«, die DDR-Füh­rung sti­li­sier­te sich im Nach­hin­ein selbst zu »Opfern des Faschis­mus«. Das war ein ziem­lich geschick­ter Schach­zug des roten Kro­ko­dils, denn die simp­le Tat­sa­che, dass es gegen das brau­ne Kro­ko­dil gekämpft und unter furcht­ba­ren Ver­lus­ten gesiegt hat­te, tauch­te sei­ne eige­nen Schand­ta­ten in ein wesent­lich mil­de­res Licht – so mil­de, dass der »Kampf gegen den Faschis­mus«, wie wir gera­de jeden Tag in den Nach­rich­ten sehen, als Legi­ti­ma­ti­on eines neu­en rus­si­schen Impe­ria­lis­mus her­hal­ten kann, der Marx und Engels nicht mehr braucht, um sei­ne Nach­barn erobern zu wollen.

Auch in der west­li­chen Lin­ken wur­de und wird das Framing aus den 1920ern immer wie­der auf­ge­nom­men: bei der »auto­no­men Anti­fa« seit den 1980ern, zur Denun­zie­rung des seli­gen Franz-Josef Strauß als Wie­der­gän­ger des »Füh­rers«, im Kampf gegen den »Faschis­ten Trump« oder bei der aktu­el­len Innen­mi­nis­te­rin, für die der »Kampf gegen Faschis­mus und Rechts­ex­tre­mis­mus, gegen Ras­sis­mus und völ­ki­sche Ideo­lo­gien« zur poli­ti­schen DNA ihrer Par­tei gehört. Ich geste­he ihr ja die aller­bes­ten Absich­ten zu, aber muss sie dazu in die Mot­ten­kis­te sta­li­nis­ti­scher Begriff­lich­kei­ten grei­fen? Sie und mitt­ler­wei­le so gut wie jeder Jour­na­list bis weit in den Teil der Pres­se hin­ein, den man frü­her ein­mal »bür­ger­lich« nannte?

Putins Abstru­si­tä­ten, die er gera­de zur Para­de am 9. Mai wie­der ein­mal unters Volks gebracht hat, soll­ten dem einen oder ande­ren viel­leicht mal zum Nach­den­ken brin­gen – wenn die­ser Ver­rück­te und sein Scher­ge Law­row dau­ernd vom »Faschis­mus« in der Ukrai­ne faseln, ohne dass jemand wüss­te, was damit über­haupt gemeint ist, soll­te man da nicht auch mal die eige­ne Wort­wahl über­den­ken …? Mich jeden­falls nervt’s kolossal.

Der Schlächter von Butscha und die RAF?

Wer mei­nen Roman Sechs Tage im Herbst gele­sen hat, kann sich viel­leicht an fol­gen­den klei­nen Dia­log erin­nern, der in der Alten Natio­nal­ga­le­rie in Ber­lin stattfindet:

»Und wer hat das entschieden? Die Stasi gibt es meines Wissens nicht mehr.«
»Aber die Leute, die hinter der Stasi standen, die gibt es noch.«
»Die Russen? Und mit denen hast du ...? Warum?«
Henning erhält keine Antwort.

Letz­te­re ergibt sich dann im wei­te­ren Ver­lauf der Hand­lung, aber ich muss auch geste­hen, dass mir beim Schrei­ben noch ein klei­nes Puz­zle­teil­chen fehl­te, um alles zu ver­ste­hen: Wie genau hat­ten »die Rus­sen« (damals natür­lich der KGB oder der Mili­tär­ge­heim­dienst GRU) in das Gesche­hen um die links­ter­ro­ris­ti­schen Grup­pen West­eu­ro­pas ein­ge­grif­fen – agier­ten sie nur als Hin­ter­män­ner der Sta­si, oder hat­ten sie auch einen eige­nen Zugang zu Grams & Co.? Für Ers­te­res sprach der Umstand, dass die Sta­si in ihrer Jah­res­pla­nung für 1990 vier »IMs im beson­de­ren Ein­satz« (IMB) auf­führ­te, die auf »Stern 1« ange­setzt waren, was der Sta­si-Deck­na­me für die akti­ve RAF-Kom­man­do­ebe­ne war (Nähe­res hier). War­um also hät­ten die Sowjets über­flüs­si­ger­wei­se eige­ne Kräf­te für die glei­che Unter­neh­mung ein­set­zen sol­len? Und für einen direk­ten Kon­takt hät­te man ja jeman­den ein­set­zen müs­sen, der gut genug Deutsch oder Eng­lisch sprach, denn Rus­sisch konn­te, soweit mir bekannt ist, von den Ter­ro­ris­ten niemand.

Wäh­rend ich noch am Manu­skript saß, hat die bri­ti­sche Jour­na­lis­tin Cathe­ri­ne Bel­ton ein Buch namens PUTIN’S PEOPLE: How the KGB Took Back Rus­sia and Then Took On the West (ein Aus­zug hier) ver­öf­fent­licht, das eini­ge in die­ser Hin­sicht inter­es­san­te Infor­ma­tio­nen ent­hält. Bel­ton berich­tet dort von einem Gespräch mit einem namen­lo­sen ehe­ma­li­gen RAF-Mit­glied, das recht offen­her­zig über die dama­li­gen Ver­hält­nis­se plau­der­te. Dem­nach habe es tat­säch­lich einen Kon­takt zu KGB-Ver­tre­tern gege­ben, die­se hät­ten aber nicht in Ost-Ber­lin, son­dern weit­ab von den neu­gie­ri­gen Bli­cken west­li­cher Geheim­diens­te im »Tal der Ahnungs­lo­sen« in Dres­den statt­ge­fun­den. Dies habe es auch den Sta­si-Bos­sen Miel­ke und Mar­kus Wolf, die Angst vor einer Auf­de­ckung ihrer blu­ti­gen Ein­mi­schung in die west­deut­sche Innen­po­li­tik gehabt hät­ten, ermög­licht, einen mög­lichst gro­ßen Abstand zu den Gescheh­nis­sen zu hal­ten. Die Tref­fen hät­ten in einem siche­ren Unter­schlupf in Dres­den statt­ge­fun­den, und der KGB habe kei­ne direk­ten Anwei­sun­gen gege­ben, son­dern nur Vor­schlä­ge gemacht und gefragt, wel­che Art von Unter­stüt­zung die Ter­ro­ris­ten benö­tigt hät­ten, und der­glei­chen mehr. Unge­fähr ein hal­bes Dut­zend sol­che Tref­fen habe es gege­ben. Feder­füh­rend auf rus­si­scher Sei­te mit dabei: der dama­li­ge – exzel­lent Deutsch spre­chen­de – KGB-Resi­dent in Dres­den, Wla­di­mir Putin.

Ist das das feh­len­de Puz­zle­teil? Es ist frag­lich, wer Bel­tons ehe­ma­li­ges RAF-Mit­glied gewe­sen sein soll. Die Autorin ver­wen­det ein männ­li­ches Per­so­nal­pro­no­men für ihren Gesprächs­part­ner, aber die noch leben­den öffent­lich bekann­ten mut­maß­li­chen oder tat­säch­li­chen Mit­glie­der der soge­nann­ten »Drit­ten Genera­ti­on«, die ab 1985 (Putins Dienst­an­tritt in Dres­den) in der DDR gewe­sen sein könn­ten, sind alles Frau­en. Aller­dings hat­te die RAF in den spä­ten 1980ern tat­säch­lich, wie von der anony­men Quel­le ange­ge­ben, Pro­ble­me bei der Waf­fen­be­schaf­fung (in Sechs Tage im Herbst hel­fen die bel­gi­schen Genos­sen von den Cel­lu­les Com­mu­nis­tes Com­bat­tan­tes aus), und natür­lich ist es mög­lich, dass sich Sta­si und KGB die Arbeit geteilt haben: die IMB hät­ten es in die­sem Fall bei der rei­nen Beob­ach­tung belas­sen, wäh­rend Putins Leu­te für die hand­fes­te­ren Tei­le des Geschäfts zustän­dig gewe­sen wären. Auch die Finan­zie­rung der RAF in die­sen Jah­ren ist wei­ter­hin ein Mys­te­ri­um. Ich habe bis­her auf Gad­da­fi getippt, aber das muss natür­lich nicht stimmen.

Sagen wir es mal so: Falls der rus­si­sche Prä­si­dent tat­säch­lich eines Tages in Den Haag vor sei­nem Rich­ter ste­hen soll­te, könn­te es noch eini­ge Über­ra­schun­gen geben.

© 2024 Bernd Ohm

Theme von Anders NorénHoch ↑