Eigent­lich eine eher läs­ti­ge Sache, so eine Hel­den­fahrt. Eben noch geht man fried­lich durch sei­nen Gar­ten, schnei­det die Rosen und gießt den Blu­men­kohl, da kommt plötz­lich so ein komi­scher alter Kerl mit einem grau­en, ver­beul­ten Filz­hut ins Dorf, erzählt die­ses und jenes, stellt neu­gie­ri­ge Fra­gen, zeigt einem neue Wege – und schon ist man mit­ten­drin im größ­ten Schla­mas­sel und schreibt einen Blog. Dabei woll­te man doch nur sei­ne Ruhe haben…

Und immer die­se läs­ti­gen Hin­der­nis­se, die dem Hel­den sozu­sa­gen arche­ty­pisch in den Weg gelegt wer­den! Was genau woll­te man noch­mal sagen? Wie lau­tet das Syn­onym von “Per­spek­ti­ven”? Und wer will das alles über­haupt lesen? Eine Hel­den­fahrt (Rol­len­spiel­freun­de ken­nen sie als “Quest”) führt in der Regel in düs­te­re Höh­len voll schlecht gelaun­ter Dra­chen, durch Hohl­we­ge, hin­ter deren nächs­ter Bie­gung schon Diebs­ge­sin­del und Lum­pen­pack war­tet, in die tiefs­ten Tie­fen des Oze­ans und auf die höchs­ten Höhen der Ber­ge. Man kennt das ja aus “Gothic” und “Dra­ken­sang”. Und ob man das Gol­de­ne Vlies am Ende wirk­lich in die Hän­de bekommt…?

Der komi­sche Alte in mei­nem Fall war Carl Gus­tav Jung. Mein Wis­sen über die Psy­cho­ana­ly­se hat­te sich bis dahin dar­auf beschränkt, dass laut Onkel Freud alle klei­nen Jungs ger­ne mit ihrer Mama schla­fen wol­len und spä­ter neu­ro­tisch wer­den, weil das nicht geklappt hat. Klang alles eher ver­schro­ben und ziem­lich über­holt, ein Über­bleib­sel des ver­klemm­ten Bür­ger­tums der Kai­ser­zeit und der 1950er in den USA, allen­falls noch von Inter­es­se, wenn man alte Woo­dy-Allen-Fil­me ver­ste­hen woll­te. Von ande­ren Schu­len der See­len­kun­de, die wesent­lich inter­es­san­te­re Ansät­ze ver­fol­gen, hat­te ich nur vage gehört. Und dass die Neu­ro­wis­sen­schaft­ler bei ihrer Erfor­schung des Gehirns Stück für Stück das gute alte Unbe­wuss­te wie­der aus­ge­gra­ben haben, war eine gera­de­zu schock­ar­ti­ge Erkenntnis.

Eben­so unver­hofft tra­fen mich die Erkennt­nis­se des “Scha­ma­nen von Bol­lin­gen”, auf den ich mehr oder weni­ger zwang­läu­fig stieß, als ich her­aus­fin­den woll­te, was es eigent­lich mit die­ser selt­sa­men Schüs­sel namens “Gral” auf sich hat. Die jung’sche Per­spek­ti­ve hier­zu hat nicht er selbst for­mu­liert, son­dern sei­ne Wit­we Emma Jung zusam­men mit Marie-Loui­se von Franz (Die Grals­le­gen­de in psy­cho­lo­gi­scher Sicht), aber den­noch war die­ses Buch ein idea­ler Aus­gangs­punkt für wei­te­re Erkun­dungs­fahr­ten in die Welt des tief­grün­di­gen Schwei­zers, die mich zur Alche­mie, zur Gno­sis, zu den Arche­ty­pen, zur Reli­gi­on und tau­send Din­gen mehr führ­ten. Plötz­lich hat­te ich einen Schlüs­sel an der Hand (oder wenigs­tens Tei­le davon), mit dem ich ein tie­fe­res Ver­ständ­nis all jener rät­sel­haf­ten und unver­ständ­li­chen Din­ge gewin­nen konn­te, die mich von jeher umtrei­ben: Chris­ten­tum, Zen, Tran­ce, Mythen, Spi­ri­tua­li­tät, die selt­sa­men Din­ge, die wir Men­schen mit unse­rem Pla­ne­ten anstel­len. Selbst eine vor­der­grün­dig so bana­le Ange­le­gen­heit wie ein Com­pu­ter-Fan­ta­sy-RPG erscheint in einem ganz ande­ren Licht, wenn man sich klar macht, dass man eigent­lich gera­de in sei­nem eige­nen Unbe­wuss­ten unter­wegs ist.

Irgend­wann war mir klar, dass ich dar­über schrei­ben muss­te. Zwar gab es vor eini­gen Jah­ren die her­vor­ra­gen­de, von Rüdi­ger Sün­ner her­aus­ge­ge­be­ne Inter­net­zeit­schrift Ata­lan­te, aber mir scheint, dass deutsch­spra­chi­ge Bei­trä­ge zum Ver­ständ­nis von Geschich­te, Popu­lär­kul­tur und all­ge­mei­nen The­men der Zeit aus einer dezi­diert jung’schen Per­spek­ti­ve im Inter­net ansons­ten recht rar gesät sind. Des­halb also die­se Hel­den­rei­se, von der ich nicht im Gerings­ten weiß, wohin sie mich füh­ren wird.

Ein Aben­teu­er! Ich füh­le mich wie Gui­sep­pe Berg­mann, kurz bevor er in H.P.s altes Gemäu­er in Vene­dig ein­tritt… Da fällt mir ein, waren Sie schon mal in Sal­va­dor da Bahia? Wenn Sie am Pelour­in­ho die “Kir­che vom Rosen­kranz der Schwar­zen” besu­chen, könn­te es sein, dass Sie der Füh­rer anspricht und fragt, ob Sie nicht am Abend eine Can­dom­blé-Sit­zung besu­chen möch­ten, die sei­ne Freun­de in einem Haus in der Vor­stadt abhal­ten wer­den. In Wirk­lich­keit han­delt es sich natür­lich um eine Bruch­bu­de in der hin­ters­ten Fave­la, aber die aus Afri­ka stam­men­den Tran­ce-Ritua­le, die Sie dort mehr oder weni­ger haut­nah beob­ach­ten kön­nen, sind echt und kein Thea­ter für gelang­weil­te Pau­schal­tou­ris­ten. Oxós­si, Yeman­já und Ogun bestei­gen ihre Pfer­de, die hei­li­gen Kin­der, und rei­ten auf ihnen im Kreis, wäh­rend die Trom­meln schla­gen und die Mut­ter der Hei­li­gen ihre Stim­me erhebt und die alten Lie­der ihrer Yoru­ba-Vor­fah­ren singt… Was das alles mit der Ana­ly­ti­schen Psy­cho­lo­gie zu tun hat? Gera­de kei­ne Zeit, bis zum nächs­ten Mal!