Beim Schrei­ben ist es wie beim Filme­dre­hen – ein nicht unbe­deu­ten­der Teil des Roh­ma­te­ri­als endet in irgend­ei­nem Abfall­ei­mer, weil die Test­le­ser alles zu kom­pli­ziert fan­den, der Lek­tor Red­un­dan­zen bemän­gel­te oder die betref­fen­de Pas­sa­ge dem Autor selbst nicht mehr gefällt. So auch bei »Sechs Tage im Herbst«, wo die eine Sei­te der mög­li­chen Ver­schwö­run­gen viel­leicht etwas zu kurz kam, um die Les­bar­keit nicht zu beein­träch­ti­gen. Aus die­sem Grund hier welt­ex­klu­siv unver­öf­fent­lich­tes Bonus­ma­te­ri­al aus dem Kapi­tel, in dem Hen­ning und Jen­ny von Lenoir in die Geheim­nis­se der Poli­tik im Unter­grund ein­ge­weiht werden:

»Was wäre denn dei­ner Mei­nung nach eine rea­lis­ti­sche Ver­schwö­rung, die in den spä­ten Acht­zi­gern Ein­fluss auf die RAF zu neh­men versucht?«

Lenoir bleibt ste­hen und wirft in komi­scher Ver­zweif­lung die Hän­de in die Luft. »Da gab’s unend­lich vie­le! So vie­le, wie es damals Leu­te und Orga­ni­sa­tio­nen gab, deren Zie­le sich wenigs­tens teil­wei­se mit den euren gedeckt haben!«

»Ein Bei­spiel bitte!«

»Ein Bei­spiel? Also gut! Voll­kom­men ins Blaue hin­ein gespon­nen, aber kei­nes­falls unrea­lis­tisch. Wir schrei­ben die­ses Mal das Jahr 1987 oder 1988. Stell dir vor, du bist Gebiets­lei­ter bei einer bedeu­ten­den deut­schen Bank. Ein wich­ti­ger Typ mit viel Macht, Ein­fluss und diver­sen Auf­sichts­rats­pos­ten in der berühmt-berüch­tig­ten ›Deutsch­land-AG‹. Lei­der hat dein Vor­stands­vor­sit­zen­der gera­de ein Rie­sen­pro­jekt auf den Weg gebracht, in des­sen Ver­lauf die bis­he­ri­ge Gebiets­struk­tur der Bank auf­ge­löst und die Ver­flech­tung mit der ein­hei­mi­schen Indus­trie ver­rin­gert wer­den soll, um einer mehr inter­na­tio­na­len Aus­rich­tung des Geschäfts Platz zu machen. Platz machen musst für die­sen Plan aller­dings auch du, es winkt nur noch ein Pos­ten als Früh­stücks­di­rek­tor, und alles, was sich für dich dann noch irgend­wie ver­bes­sern wird, ist dein Han­di­cap beim Golf.«

Lenoir macht eine Kunst­pau­se. Wie­der hält er sein Publi­kum im Bann. »Gleich­zei­tig«, fährt er dann fort, »macht sich der Vor­stands­vor­sit­zen­de auch noch bei den ame­ri­ka­ni­schen Groß­ban­ken unbe­liebt, weil er öffent­lich für die Redu­zie­rung von Staats­schul­den der Drit­ten Welt plä­diert, wovon haupt­säch­lich eben­die­se Groß­ban­ken betrof­fen wären. Also eine Art Kriegs­er­klä­rung … Jetzt kann Ver­schie­de­nes pas­sie­ren: Viel­leicht stehst du beim Pin­keln in der Toi­let­te im 20. Stock mit Blick auf Frank­furt am Main, und neben dir schüt­telt gera­de ein ande­rer Gebiets­lei­ter sei­nen Pint aus, der genau­so, Ver­zei­hung für den schlech­ten Witz, ange­pisst ist wie du. Oder du bist viel­leicht Mit­glied in einem die­ser trans­at­lan­ti­schen Debat­tier­clubs, mit deren Hil­fe die Ame­ri­ka­ner ihr infor­mel­les Empi­re orga­ni­sie­ren, und triffst dort einen alten Stu­di­en­kol­le­gen aus Bos­ton, der bei einer der erwähn­ten Groß­ban­ken arbei­tet. Jeden­falls fällt irgend­wo irgend­wann ein­mal der nur halb spa­ßig gemein­te Satz: Wo bleibt eigent­lich die Rote Armee Frak­ti­on, wenn man sie wirk­lich mal braucht …?«

Wie­der macht Lenoir eine Pau­se. Dies­mal, um einen Schluck Whis­ky zu nehmen.

»Aber was soll dann die­ser Ban­ker mit der RAF zu tun haben?«, wen­det Jen­ny ein.

Lenoir hebt über­trie­ben dra­ma­tisch einen Zei­ge­fin­ger. »Jetzt kommt der Zufall ins Spiel, aller­dings ist er nicht an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen. Du bist näm­lich, wir befin­den uns wei­ter­hin im ›Rhei­ni­schen Kapi­ta­lis­mus‹, Mit­glied einer exklu­si­ven katho­li­schen Lai­en­ver­ei­ni­gung, die sich der För­de­rung des christ­li­chen Glau­bens im Hei­li­gen Land ver­schrie­ben hat. Das ist im Grun­de wenig mehr als ein inter­na­tio­na­ler Spen­dier­ho­sen-Club, in dem man sich ab und zu trifft und Bezie­hun­gen pflegt, halt auf einer etwas höhe­ren Ebe­ne als die ört­li­chen Rota­ri­er. Aller­dings macht die­ser spe­zi­el­le Club jedes Jahr einen Betriebs­aus­flug nach Jeru­sa­lem, und bei einer die­ser Rei­sen hast du dich mit einem der dor­ti­gen Kir­chen­ver­tre­ter ange­freun­det, der nach dem drit­ten Glas Car­mel-Wein anfing, mit sei­nen exzel­len­ten Bezie­hun­gen zu diver­sen paläs­ti­nen­si­schen Befrei­ungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zu prah­len, die ja teil­wei­se von Chris­ten gelei­tet wer­den. Du hast dir das damals ange­hört, ohne dir wei­ter etwas dabei zu den­ken, aber jetzt fällt es dir wie­der ein, und du hast einen schmut­zi­gen klei­nen Gedanken …«

»Gut, die Ver­bin­dung wäre da«, fällt Hen­ning ihm atem­los ins Wort. »Aber war­um soll­te denn einer von uns sich davon beein­flus­sen lassen?!?«

Lenoir lächelt über­le­gen. »Ja, Geld braucht man doch immer, oder? Der letz­te Bank­über­fall der RAF in Deutsch­land fand 1985 statt, wie habt ihr euch danach finan­ziert? Natür­lich, Gad­da­fi zahlt ab und zu ein biss­chen was, wenn man in sei­nem Auf­trag Hand­gra­na­ten auf US-Sol­da­ten wirft, aber reicht das? Und wäre es nicht bes­ser, eine zwei­te unab­hän­gi­ge Geld­quel­le zu haben, um nicht vom Gna­den­brot der PFLP abhän­gig zu sein? Alles, was du tun musst, ist jeman­den, der sowie­so auf der Abschuss­lis­te steht, von der fünf­ten an die ers­te Stel­le zu setzen …«