Wäh­rend im Netz hef­tig gestrit­ten wird, ob der vor­ges­tern ver­stor­be­ne Máxi­mo Líder der letz­te der roman­ti­schen Revo­lu­tio­nä­re war oder ein fie­ser Tyrann, der die Mei­nungs­frei­heit unter­drück­te, Schwu­le und Chris­ten in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger pferch­te und sich poli­ti­scher Geg­ner durch den Ein­satz von Erschie­ßungs­kom­man­dos ent­le­dig­te, soll­te man nicht ver­ges­sen, dass gro­ße Tei­le der Welt, hät­te er sei­nen Wil­len durch­ge­setzt, seit 1962 ver­mut­lich eine ato­mar ver­strahl­te Wüs­te wären.

Damals hat­te die Sowjet­uni­on, wie all­ge­mein bekannt ist, heim­lich begon­nen, nuklea­re Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten auf der Kari­bik­in­sel zu sta­tio­nie­ren. Das war in gewis­ser Wei­se ver­ständ­lich, schließ­lich hat­ten die USA sei­ner­zeit ähn­li­che Waf­fen­sys­te­me in der Tür­kei auf­ge­stellt, und Chruscht­schow woll­te im Prin­zip nichts wei­ter als das stra­te­gi­sche Gleich­ge­wicht wie­der­her­stel­len. Auch von kuba­ni­scher Sei­te aus gese­hen über­wo­gen die Vor­tei­le, hat­te es doch im Vor­jahr die geschei­ter­te Inva­si­on in der Schwei­ne­bucht gege­ben, und die Sta­tio­nie­rung von Atom­waf­fen schien eine wirk­sa­me Abschre­ckung gegen wei­te­re der­ar­ti­ge Ver­su­che von Sei­ten der USA zu bieten.

Natür­lich flog die Sache auf. Die Ame­ri­ka­ner ent­deck­ten die Rake­ten­stel­lun­gen auf U2-Spio­na­ge­flü­gen und reagier­ten mit einer See­blo­cka­de Kubas, die wie­der­um zur gra­vie­rends­ten Kri­se des gesam­ten Kal­ten Krie­ges führ­te. Meh­re­re Tage lang war nicht klar, ob die USA eine mili­tä­ri­sche Inva­si­on der Insel begin­nen wür­den, und auch die sowje­ti­sche Füh­rung ließ zunächst die Schif­fe mit Mili­tär­aus­rüs­tung, die noch auf dem Weg nach Kuba waren, wei­ter Kurs auf die Insel hal­ten. Heu­te wis­sen wir, dass eine sol­che Inva­si­on von Tei­len der ame­ri­ka­ni­schen Regie­rung und des Mili­tärs gefor­dert und nur durch Ken­ne­dys Beson­nen­heit ver­hin­dert wur­de. Wir wis­sen auch, dass es in die­ser extrem ange­spann­ten Lage min­des­tens zwei­mal aus Ver­se­hen bei­na­he zu einem Atom­krieg gekom­men wäre: Ein sowje­ti­sches U‑Boot ohne Funk­kon­takt mit der Ein­satz­lei­tung wur­de durch ame­ri­ka­ni­sche Übungs-Was­ser­bom­ben zum Auf­tau­chen gezwun­gen, und zwei der drei ver­ant­wort­li­chen Offi­zie­re waren dafür, den an Bord befind­li­chen Atom­tor­pe­do los­zu­schi­cken; nur der Flot­til­len­kom­man­dant Was­si­li Alex­an­d­ro­witsch Archip­ow (ein Held der Mensch­heit, um mal pathe­tisch zu wer­den) ver­hin­der­te dies. Unbe­stä­tig­ten Zeu­gen­aus­sa­gen zufol­ge gab es zu glei­chen Zeit in einer ame­ri­ka­ni­schen Rake­ten­stel­lung auf Oki­na­wa einen Fehl­alarm, der fast zum Start der dor­ti­gen Rake­ten geführt hätte.

In die­ser Lage bewies Coman­dan­te Cas­tro, dass er cojo­nes in der Grö­ße min­des­tens der Sier­ra Maes­tra hat­te: In einem Tele­gramm an Chruscht­schow vom 26. Okto­ber for­der­te er die Sowjet­uni­on (ziem­lich ver­klau­su­liert, aber doch deut­lich erkenn­bar) auf, die befürch­te­te US-Inva­si­on Kubas mit einem ato­ma­ren Erst­schlag zu beant­wor­ten: »Por dura y ter­ri­ble que sea la solu­ción, no hab­ría otra.« – »So hart und schreck­lich die Lösung wäre, es gäbe kei­ne ande­re.« (Quel­le) Womit er sich durch­aus im Ein­klang mit vie­len wei­te­ren Kuba­nern und Mit­re­vo­lu­tio­nä­ren wis­sen konnte:

In den Stra­ßen von Havan­na skan­dier­ten begeis­ter­te Men­schen: »Que ven­gan! Que ven­gan!« — »Sol­len sie doch kom­men! Sol­len sie doch kom­men!« Und Che Gue­va­ra schrieb genau­so berauscht: »Es ist das fie­be­rerre­gen­de Bei­spiel eines Vol­kes, das bereit ist, sich im Atom­krieg zu opfern, damit noch sei­ne Asche als Zement die­ne für eine neue Gesell­schaft … Wor­an wir fest­hal­ten ist, dass wir auf dem Weg der Befrei­ung blei­ben müs­sen, selbst wenn er durch einen Atom­krieg Mil­lio­nen Opfer kos­tet, weil wir im Kampf auf Leben und Tod zwi­schen zwei Sys­te­men nichts ande­res den­ken kön­nen als den end­gül­ti­gen Sieg des Sozia­lis­mus oder den Rück­schritt durch den ato­ma­ren Sieg der impe­ria­lis­ti­schen Aggres­si­on.« (Hoff­mann, Bert: Kuba, Mün­chen 2002, S. 77)

Dazu ist es Gott sei Dank nicht gekom­men. Die Rus­sen lieb­ten, wie es in dem schmal­zi­gen Schla­ger von Sting heißt, ihre Kin­der offen­bar genau­so wie wir und lie­ßen sich hin­ter dem Rücken Cas­tros auf einen Kuh­han­del mit den Ame­ri­ka­nern ein, dem­zu­fol­ge die Rake­ten aus Kuba wie­der abge­zo­gen wur­den, wäh­rend Ken­ne­dy zäh­ne­knir­schend das dor­ti­ge kom­mu­nis­ti­sche Regime akzep­tier­te und schließ­lich etwas spä­ter auch die ame­ri­ka­ni­schen Titan-Rake­ten aus der Tür­kei klamm­heim­lich ver­schwin­den ließ.

Was, wenn Chruscht­schow nicht nach­ge­ge­ben hät­te? Irgend­wann hät­te sich Ken­ne­dy nicht mehr gegen die Fal­ken im eige­nen Lager durch­set­zen kön­nen, und eine Inva­si­on Kubas wäre unum­gäng­lich gewor­den. Ein sowje­ti­scher Erst­schlag (damals stan­den 300 rus­si­sche Spreng­köp­fe gegen 5000 ame­ri­ka­ni­sche) hät­te gro­ße Ver­wüs­tun­gen ange­rich­tet, aber die USA hät­ten zwei­fel­los noch genü­gend Feu­er­kraft gehabt, um alles zwi­schen Ost-Ber­lin und Wla­di­wos­tok (und alles zwi­schen Havan­na und Sant­ia­go de Cuba eben­so) in eine ato­mar ver­seuch­te Wüs­te zu ver­wan­deln. Ob die Über­le­ben­den sich dem Sozia­lis­mus zuge­wandt hät­ten, wis­sen wir nicht, aber es kann uns auch egal sein, weil es uns mit hoher Wahr­schein­lich­keit gar nicht geben würde.

In die­sem Sin­ne: Möge er in Frie­den ruhen! (Mit Beto­nung auf »ruhen« …)