Autorenblog

Monat: November 2015

Quark 83

Ich ertra­ge die Her­vor­brin­gun­gen des deut­schen Fern­se­hens in der Regel nur in homöo­pa­thi­scher Dosie­rung, von daher war ich eini­ger­ma­ßen gespannt, wie sich wohl die all­seits in den Him­mel gelob­te Serie Deutsch­land 83 machen wür­de, die ja dem Ver­neh­men nach die Erzähl­wei­se der neu­en US-Seri­en auf hie­si­ge Ver­hält­nis­se über­tra­gen soll­te und durch „Erfolg in den USA“ geadelt war. Zudem fällt mein eige­nes Gast­spiel bei der Bun­des­wehr in die Zeit kurz nach der dar­ge­stell­ten Hand­lung, da will man natür­lich wis­sen, ob alles kor­rekt dar­ge­stellt ist.

Das Posi­ti­ve zuerst: klas­se Aus­stat­tung! Genau so, mit die­sen Stahl­rohr­bet­ten und den blau­en oder oran­gen Reso­pal­mö­beln, sah damals eine Wehr­pflich­ti­gen­stu­be beim west­deut­schen Mili­tär aus. Womit aber gleich die Pro­ble­me begin­nen, denn natür­lich waren Offi­zie­re, zumal sol­che beim Stab, in Zwei­bett­zim­mern unter­ge­bracht, die eine gewis­se Frei­heit zur per­sön­li­chen Gestal­tung lie­ßen. Und die Art, wie die Jungs ihre Baret­te tru­gen, hät­te unse­ren Spieß sicher zu einer sei­ner berüch­tig­ten „Seid ihr Pizzabäcker?“-Tiraden angestachelt.

Der All­tag beim Barras zeich­net sich eben durch vie­ler­lei Details aus, die man durch ober­fläch­li­ches Recher­chie­ren nicht so schnell in den Griff bekommt. Und genau da liegt die Crux der dra­ma­tur­gi­schen Prä­mis­se: Die Vor­stel­lung, man könn­te einen Ange­hö­ri­gen der bewaff­ne­ten Orga­ne der DDR mal eben durch einen Crash-Kurs bei einem lin­ken Uni-Pro­fes­sor und die Lek­tü­re der Zen­tra­len Dienst­vor­schrift zu einem über­zeu­gend wir­ken­den Bun­des­wehr­of­fi­zier machen, ist so aben­teu­er­lich wie unglaub­wür­dig. Wei­ter­le­sen

Jenseits des kartierten Gebiets

Ich habe mich in jun­gen Jah­ren recht aus­gie­big mit Ruck­sack und Rei­se­schecks aus­ge­rüs­tet in ande­ren Län­dern und auf ande­ren Kon­ti­nen­ten umge­tan. Oft waren es Welt­ge­gen­den, die als nicht beson­ders sicher gal­ten und dies auch tat­säch­lich nicht waren. Ich hat­te immer Glück – der Über­land­bus der­sel­ben Linie wur­de erst am Tag nach mei­ner Fahrt aus­ge­raubt, der Raub­über­fall auf das Beach­vol­ley­ball-Spiel geschah mei­nen zeit­wei­li­gen Mit­rei­sen­den, nicht mir, der Taschen­dieb such­te sich den Mann aus, der vor mir durch die Fuß­gän­ger­zo­ne Rios schlen­der­te. Sogar die Hoodlums, die mich in St. Lou­is auf dem Weg vom Base­ball­sta­di­on zur Unter­kunft dumm anquatsch­ten und „unter­su­chen“ woll­ten, gaben sich schließ­lich mit ein paar blö­den Sprü­chen zufrie­den, weil sie den unver­hofft in ihrem Kiez auf­ge­tauch­ten Deut­schen so ulkig fanden.

Man wuss­te auch bis zu einem gewis­sen Grad, wie man sich schüt­zen konn­te: in alten Kla­mot­ten her­um­lau­fen (mei­ne Stan­dard­kluft: alte Bun­des­wehr­ho­se, schmut­zi­ge Segel­tuch­schu­he, schlabb­ri­ges Polo­hemd), einen Geld­gür­tel tra­gen, die Lan­des­spra­che beherr­schen. Nachts nicht an roten Ampeln hal­ten, auf kei­nen Fall unbe­glei­tet in die Fave­la. Nicht auf Gesprä­che mit komi­schen Leu­ten ein­las­sen, die einem in der Baixa von Lis­sa­bon Dro­gen und gol­de­ne Arm­band­uh­ren ver­kau­fen wol­len. Und vor allem wuss­te man, dass all die­se Vor­sichts­maß­nah­men nicht mehr nötig sein wür­den, sobald man in Mün­chen oder Ber­lin wie­der das Flug­zeug ver­las­sen hat­te. Das eige­ne Land war ein biss­chen lang­wei­lig, man war nicht son­der­lich stolz dar­auf, die Leu­te rann­ten zu sehr dem Geld hin­ter­her, und kul­tu­rell gaben einem New Orleans und Bahia alles, was man brauch­te. Aber eines war die­ses Land ganz bestimmt: sicher und ver­läss­lich. Wei­ter­le­sen

Une marée de merde

Tage wie von Flau­bert ausgedacht:

J’ai tou­jours tâché de viv­re dans une tour d’ivoire ; mais une marée de mer­de en bat les murs, à la fai­re crouler.

Wenn man sich gera­de durch Face­book klickt, wird einem schlecht. Da ster­ben hun­dert­zwei­und­drei­ßig Men­schen, weil sie ein Rock­kon­zert besu­chen oder im Café den war­men Herbst­abend genie­ßen woll­ten. Und die Leu­te strei­ten sich, ob man jetzt Ras­sist ist, weil man sein Pro­fil­fo­to mit der fran­zö­si­schen Flag­ge hin­ter­legt und nicht gleich­zei­tig die Toten von Bei­rut oder in dem über dem Sinai abge­schos­se­nen Flug­zeug betrau­ert. Und die Leu­te ver­lin­ken Vide­os, in den irgend­wel­che selbst­er­nann­ten Ver­schwö­rungs­ex­per­ten alles zu einer Insze­nie­rung der Geheim­diens­te erklä­ren, mit denen wir frie­dens­lie­ben­den Bür­ger gegen­ein­an­der auf­ge­hetzt wer­den sol­len. Und die Leu­te pos­ten gefühls­du­se­li­ge Nach­ru­fe auf Hel­mut Schmidt, den wahr­schein­lich am wenigs­ten gefühls­du­se­li­gen Poli­ti­ker, den Deutsch­land seit Bis­marck gehabt hat. Den­sel­ben Schmidt, der mit unnach­gie­bi­ger Här­te den Tod Schley­ers in Kauf genom­men hat, um nicht die For­de­run­gen der RAF zu erfül­len. Wie er wohl gera­de reagie­ren wür­de, wenn er noch Kanz­ler wäre …?

Ich begin­ne mit Flau­bert, ich ende mit John­ny Cash:

And I wear it for the thousands who have died,
Belie­vin’ that the Lord was on their side,
I wear it for ano­t­her hund­red thousand who have died,
Belie­vin’ that we all were on their side.

Mehr dem­nächst.

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